Mindelheimer Zeitung

„Bildung muss wieder Spaß machen“

Interview Die Digitalisi­erung wird die Wirtschaft verändern. Der DGB-Chef glaubt, dass sich der Wandel nur stemmen lässt, wenn die Unternehme­n mehr Geld in Weiterbild­ung investiere­n

- Aber die Digitalisi­erung hat auch ihre Interview: Thomas Domjahn

Herr Hoffmann, die Arbeitslos­igkeit ist niedrig, die Reallöhne steigen, der Mindestloh­n ist eingeführt und die Arbeitsplä­tze werden ergonomisc­her. Geht es den Arbeitnehm­ern heute so gut wie noch nie?

Reiner Hoffmann: Ja, das kann man so sagen. Aber trotz der robusten Arbeitsmar­ktlage und den größtentei­ls guten Arbeitsbed­ingungen haben wir zwei Baustellen auf dem Arbeitsmar­kt. Zum einen haben wir einen viel zu großen Niedrigloh­nsektor. Nahezu acht Millionen Menschen verdienen in Deutschlan­d weniger als 10,80 Euro pro Stunde. Zum anderen gibt es immer weniger tarifgebun­dene Unternehme­n. Heute sind nur noch 27 Prozent aller Betriebe tarifgebun­den, nur 55 Prozent der Beschäftig­ten fallen unter den Schutz von Tarifvertr­ägen. Der Arbeitsmar­kt ist nach wie vor stark segmentier­t. Wer in der Industrieb­ranche arbeitet, in der die Tarifbindu­ng ja immer noch hoch ist, hat deutlich bessere Arbeitsbed­ingungen. In der Dienstleis­tungsbranc­he hingegen lassen die Arbeitsbed­ingungen oft zu wünschen übrig.

Wie erklären Sie sich die niedrigen Löhne in der Dienstleis­tungsbranc­he?

Hoffmann: Die Strukturen im Dienstleis­tungssekto­r sind meist sehr kleinteili­g. Der Organisati­onsgrad und die Verhandlun­gsmacht

Ist der Fachkräfte­mangel, über den viele Unternehme­n klagen, für Arbeitnehm­er ein Glücksfall?

Hoffmann: Ja. Die Unternehme­n müssen aus Eigeninter­esse höhere Löhne zahlen und gute Arbeitsbed­ingungen bieten. Davon profitiere­n die Arbeitnehm­er.

Welche Veränderun­gen auf dem Arbeitsmar­kt erwarten Sie durch die Digitalisi­erung?

Hoffmann: Die Digitalisi­erung macht vor keiner Branche halt und durchzieht auch unser Privatlebe­n. Damit die Menschen in der Lage sind, mit diesem Wandel Schritt zu halten, müssen sie die nötige Weiterbild­ung erhalten.

Kritiker befürchten eine Zweiteilun­g der Gesellscha­ft in hoch qualifizie­rte Digitalisi­erungsgewi­nner und niedrig qualifizie­rte Digitalisi­erungsverl­ierer. Ist diese Angst real?

Hoffmann: Ja, das ist in der Tat ein großes Risiko. Der digitale Wandel wird uns nur gelingen, wenn wir mehr in betrieblic­he Weiterbild­ung investiere­n. Zum Glück machen immer mehr Unternehme­n einen Sinneswand­el durch und verstehen, dass Weiterbild­ung nicht nur ein Kostenfakt­or ist, sondern eine Investitio­n in die Zukunft.

Wer ist in erster Linie für die Weiterbild­ung verantwort­lich? Der Staat, die Unternehme­n oder der Arbeitnehm­er selber?

Hoffmann: Vor allem sehe ich da die Arbeitgebe­r in der Pflicht. Sie müssen ein Interesse an gut qualifizie­rten Mitarbeite­rn haben. Lebensbegl­eitendes Lernen darf kein Schlagwort bleiben, sondern muss Eingang finden in die betrieblic­he Realität.

Kann man denn wirklich jeden weiterqual­ifizieren? Aus einem 50-jährigen Handwerker oder Busfahrer kann man schließlic­h keinen IT-Experten machen.

Hoffmann: Das halte ich für eine Schimäre. Wir können auch Menschen zwischen 50 und 60 weiterqual­ifizieren. Wir müssen eine Kulturrevo­lution starten. Bildung muss wieder Spaß machen.

Wäre es nicht realistisc­her, ein bedingungs­loses Grundeinko­mmen für die Digitalisi­erungsverl­ierer einzuführe­n?

Hoffmann: Ein bedingungs­loses Grundeinko­mmen ist Unfug. Das ist schlicht und einfach eine Abstellprä­mie, die ich ablehne.

Welche Eigenschaf­ten wird künftig jeder Arbeitnehm­er in der digitalen Welt brauchen?

Hoffmann: Repetitive und monotone Tätigkeite­n werden von Robotern und Algorithme­n übernommen. Deswegen brauchen Arbeitnehm­er künftig eine höhere Problemlös­ungskompet­enz. Das hat auch seinen Reiz, denn die Arbeitswel­t kann so interessan­ter und abwechslun­gsreicher werden.

Schattense­iten, zum Beispiel den Zwang zur ständigen Erreichbar­keit in vielen Unternehme­n.

Hoffmann: Wie viele Studien belegen, führt die Entgrenzun­g von Arbeitszei­t zu psychische­n Erkrankung­en. Da brauchen wir dringend Regelungen für Ruhezeiten und ein Recht auf Nicht-Erreichbar­keit.

Haben Arbeitnehm­er nicht auch eine Selbstvera­ntwortung im Umgang mit dem Diensthand­y? Oft ist die Erreichbar­keit mehr Selbstausb­eutung als Ausbeutung durch das Unternehme­n.

Hoffmann: Es gibt tatsächlic­h dieses Phänomen der Selbstausb­eutung. Aber die Unternehme­n haben eine Verantwort­ung, die Arbeitnehm­er vor einer Selbstausb­eutung zu schützen.

Sollte es ein Recht auf Homeoffice geben, so wie es die SPD in einem Strategiep­apier gefordert hat?

Hoffmann: Nicht in allen Berufen, zum Beispiel im Pflegebere­ich oder in der Industriep­roduktion, ist das Arbeiten von zu Hause aus möglich. Aber dort, wo es möglich ist, sollte es ein Recht auf Homeoffice geben.

Werden solche weichen Themen wie Homeoffice, Sabbatical­s oder flexible Arbeitszei­ten in Zukunft gegenüber dem Gehalt an Gewicht gewinnen?

Hoffmann: Ja, dieser Trend verstärkt sich seit Jahren. Vor allem die Generation Y, die gerade den Arbeitsmar­kt betreten hat, legt im Berufslebe­n mehr Wert auf immateriel­le als auf materielle Werte. Aber auch viele Ältere wünschen sich eine ausgewogen­e Balance zwischen Privatund Berufslebe­n. Vor die Wahl zwischen mehr Freizeit oder mehr Geld gestellt, entscheide­n sich immer mehr Beschäftig­te für mehr Freizeit.

„Das bedingungs­lose Grundeinko­mmen ist schlicht und einfach eine Abstellprä­mie, die ich ablehne.“

Was bedeutet Ihnen der Tag der Arbeit nächste Woche heutzutage noch?

Hoffmann: Der Tag der Arbeit hat in keiner Weise an Bedeutung verloren. Auch heute ist es wichtig, für die Verbesseru­ng der Arbeits- und Lebensbedi­ngungen zu kämpfen. Diese Herausford­erung ist so aktuell wie vor 150 Jahren.

Zum Abschluss ein Blick in die Zukunft: Wie werden wir 2040 arbeiten?

Hoffmann: Ich glaube, dass wir aufgrund von technologi­schen Innovation­en die Chance haben, Arbeit künftig humaner, gesünder und mit mehr Selbstbest­immungsmög­lichkeiten zu gestalten.

 ?? Foto: Wolfgang Kumm, dpa ?? Reiner Hoffmann hat seine Karriere als Auszubilde­nder bei Hoechst begonnen. Seit Mai 2014 ist er Chef des Deutschen Gewerkscha­ftsbundes.
Foto: Wolfgang Kumm, dpa Reiner Hoffmann hat seine Karriere als Auszubilde­nder bei Hoechst begonnen. Seit Mai 2014 ist er Chef des Deutschen Gewerkscha­ftsbundes.

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