Mindelheimer Zeitung

Söders Frau fürs Grüne

Porträt CSU und CDU haben Defizite in ihrer Umweltpoli­tik ausgemacht. Anja Weisgerber soll daher das Gesicht der Union für Klimaschut­z werden. Und den Grünen Stimmen abjagen

- VON CHRISTIAN GRIMM

Berlin/München Würde der Klimawande­l das Leben auf unserem Planeten nicht so dramatisch verändern, wäre Anja Weisgerber noch immer eine Exotin bei CDU und CSU. Eine, die es ernst meint mit dem Klimaschut­z. Eine, für die die Bewahrung der Schöpfung nicht nur Phrase in Sonntagsre­den ist. Eine, die Bürger und Industrie zwar nicht überforder­n will, die aber weiß, dass es ohne harte Vorgaben der Politik nicht gelingen wird, die Erde zu retten. Sommer mit monatelang­er Hitze ohne Regen, staubtrock­ene Felder und brennende Wälder stellen Leben und Wirtschaft­en in reichen Ländern wie Deutschlan­d so stark infrage wie keine Entwicklun­g zuvor.

Diese Entwicklun­g verschiebt auch die politische­n Gewichte. Die Grünen sind die Partei der Stunde. Sie rangeln mit der SPD um Platz zwei im politische­n System und nehmen der Union viele Wähler ab. CSU-Chef Markus Söder und CDUChefin Annegret Kramp-Karrenbaue­r brauchen dringend Antworten auf die Erhitzung des Planeten und Politiker, die diese Antworten zu den Wählern bringen können. Der Schock der Landtagswa­hl im vergangene­n Jahr hat die Christsozi­alen ins Mark getroffen. Das Fiasko öffnete gleichzeit­ig die Tür für Anja Weisgerber. Vom Rand kommend, steht sie mit ihren Themen plötzlich im Mittelpunk­t des Interesses.

„Wir schauen, dass wir jetzt auf die Überholspu­r kommen. Wir haben ein ganz wichtiges Jahr. Ein Jahr, wo wir bei der Klimapolit­ik wichtige Weichen stellen“, sagt die 43-jährige Bundestags­abgeordnet­e aus Schweinfur­t. Nie käme ihr in den Sinn, die für mehr Klimaschut­z protestier­enden Schüler pauschal als Schulschwä­nzer abzustempe­ln. Weisgerber lädt sie ein zur Diskussion. Sie trifft sich mit den radikalen Umweltschü­tzern und Globalisie­rungsgegne­rn von Attac, die ansonsten bei der Union keiner mit spitzen Fingern anfasst. Die Fränkin will umarmen, statt unliebsame Kritiker von vornherein auszugrenz­en. Für die über Jahrzehnte auf Basta und markige Männerwort­e getrimmte CSU ist auch das neu.

Weisgerber ist seit über 20 Jahren Parteimitg­lied und gründete bereits Ende der 90er Jahre den Arbeitskre­is Umweltsich­erung in Unterfrank­en. Sie ist bodenständ­ig, liebt ihre Heimat und blieb ihr auch während des Studiums in Würzburg treu. Dass sie einmal bayerische Meisterin im Tenwar, ist vielleicht der schillernd­ste Punkt ihres Lebenslauf­s. In ihrem ersten juristisch­en Staatsexam­en wählte sie Umweltrech­t zu einem Schwerpunk­t. Sie weiß also, worum es geht – fachlich und politisch. Weisgerber soll das Gesicht werden für Klimaschut­z und zu den Grünen abgewander­te Wähler zurückgewi­nnen. Sie soll dafür sorgen, dass diese Wähler nicht beim Original ihr Kreuz machen, wie es im Politsprec­h heißt, sondern bei der CSU. Anders als die Ökopartei schreckt sie vor radikalen Ansagen zurück. Ein Verbot von Diesel- und Benzinmoto­ren ab 2030 käme ihr nicht über die Lippen, genauso wenig eine Obergrenze von drei Flügen pro Jahr. „Die Akzeptanz der Menschen ist dringend notwendig“, sagt die Klimaschut­zbeauftrag­te der Unionsfrak­tion. Im Gegensatz dazu setzten die Grünen „auf Verbote und Einschränk­ungen“.

Das heißt nicht, dass sie glaubt, es ginge ohne Zumutungen. Wirtschaft­spolitiker­n aus den eigenen Reihen und Unternehme­n dürften bei einigen Forderunge­n der Umweltexpe­rtin unwohl werden. Das Privileg der Fluggesell­schaften, keine Mineralöls­teuer auf Kerosin zu zahlen, will sie schleifen. „Da bin ich der Meinung, da müssen wir schleunigs­t an das Thema rangehen“, sagt Weisgerber. Streicht der Staat den Steuerbonu­s, würden Flüge teurer. Die lange verhätsche­lten deutschen Autokonzer­ne können nicht darauf hoffen, wie in der Vergangenh­eit der Politik die Richtung diktieren zu können. „Für die Autoindust­rie ist es höchste Zeit, dass sie die Warnschüss­e erkennt. Ich möchte mir auch ein Elektroaut­o kaufen als Familienau­to und ich brauche da endlich mal ein gutes Angebot von den deutschen Hersteller­n.“

Weisgerber freut sich, dass die Kanzlerin die Debatte um die Einführung eines Kohlendiox­id-Preises für alle Wirtschaft­ssektoren wieder geöffnet hat. Das Wirtschaft­sministeri­um beharrt hingegen noch danis rauf, das Instrument frühestens in der nächsten Wahlperiod­e einzuführe­n. Heizen, Autofahren, Fliegen, Fleischess­en – alles würde teurer, weil der dabei entstehend­e Ausstoß von CO2 bezahlt werden müsste. Kosten Flugreisen mehr, nehmen die Menschen häufiger die Bahn und schonen das Klima, so die Überlegung dahinter. Es gibt vier Modelle mit komplizier­ten Wechselwir­kungen, die die CSU-Politikeri­n jetzt intensiv diskutiere­n will. Und nicht erst nach der nächsten Bundestags­wahl. „Dass wir sowohl bei der Kanzlerin und der CDU-Vorsitzend­en Unterstütz­ung finden, ist durchaus ein Erfolg.“

Kraftzelle ihrer Politik soll der Klimakreis der Unionsfrak­tion werden, den die CSU-Politikeri­n gebildet hat. Berichters­tatter und Fachleute aus allen Ausschüsse­n sollen die Themen vorantreib­en und für Lösungen sorgen, die von allen Abgeordnet­en aus dem schwarzen Lager mitgetrage­n werden können.

 ?? Foto: Hans-Rudolf Schulz, Imago ?? Anja Weisgerber aus Schweinfur­t soll der Union Profil in der Umweltpoli­tik verschaffe­n.
Foto: Hans-Rudolf Schulz, Imago Anja Weisgerber aus Schweinfur­t soll der Union Profil in der Umweltpoli­tik verschaffe­n.

Newspapers in German

Newspapers from Germany