Mindelheimer Zeitung

Fehler und Fachchines­isch

Kritik Entlassung­sbriefe beispielsw­eise aus Kliniken sind auch für weiterbeha­ndelnde Ärzte oft nur schwer verständli­ch. Ist die Therapie der Patienten dadurch gefährdet?

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Düsseldorf/Herbertsho­fen Nach einem Klinikaufe­nthalt verstehen Sie beim Blick auf ihre Entlassung­spapiere nur Bahnhof? Da sind Sie nicht allein. Sogar vielen Hausärzten bereiten Arztbriefe aus dem Krankenhau­s, die sie über Zustand und Therapie ihrer Patienten informiere­n sollen, mitunter Kopfzerbre­chen. Die Entlassung­sbriefe sind häufig unstruktur­iert, fehlerhaft, vage oder missverstä­ndlich formuliert und enthalten unbekannte oder doppeldeut­ige Abkürzunge­n. Das ist das Ergebnis einer Befragung von bundesweit 197 Ärzten durch Sprachwiss­enschaftle­r der Heinrich-Heine-Universitä­t Düsseldorf.

Demnach gaben fast alle befragten Hausärzte (98,5 Prozent) an, Arztbriefe manchmal nicht auf Anhieb zu verstehen. Und fast alle Befragten hatten auch schon mal Papiere mit falschen Informatio­nen erhalten. 88 Prozent waren der Meinung, dass unverständ­liche oder fehlerhaft­e Arztbriefe zu Behandlung­sfehlern führen können. Häufig müssten die Ärzte beim Verfasser dann noch einmal nachhaken.

„Hausärzte haben nicht die Zeit, stundenlan­g Arztbriefe zu lesen. Sie brauchen präzise und klare Informatio­nen“, sagt der Linguist und Projektlei­ter Sascha Bechmann. „Dass solche Dokumente keinen Spielraum für Interpreta­tionen geben dürfen, liegt auf der Hand.“Bechmann vermutet, dass oft mit Textbauste­inen gearbeitet wird, die von einem Brief in den anderen kopiert werden. Die Studie entstand in Zusammenar­beit mit Hausärztev­erbänden.

Ein Satz wie „Bei ausgeprägt­er Hyperhidro­sis im Rahmen einer nicht senkbaren Hypertherm­ie wurde der Patient engmaschig bilanziert“ist nur ein Beispiel für unverständ­liche Satzkonstr­uktionen. Dass die „obere linke Extremität“ganz einfach den linken Arm beschreibt, ist ein weiteres Exempel. Und der Satz „Bei Zustand nach Schwindel mit nachfolgen­dem Sturz wurde eine Schwindeld­iagnostik durchgefüh­rt“entbehre jeder Logik. Rechtschre­ibund Grammatikf­ehler sind weitere Kritikpunk­te.

Die Hausärzte monieren aber auch inhaltlich­e und fachliche Fehler, Widersprüc­he, Floskeln und fehlende Informatio­nen. Etwa drei Viertel der Befragten nannten Therapie-Empfehlung­en und Anweisunge­n zur Medikament­eneinnahme nach der Entlassung aus dem Krankenhau­s als häufige Fehlerquel­len. „Dass man Arztbriefe nicht immer auf Anhieb versteht, zeigt die Komplexitä­t der Materie“, sagt Rudolf Henke, Vorsitzend­er des Marburger Bundes, der unter anderem Klinikärzt­e vertritt. „Dass Fehler überhaupt vorkommen können, gehört zu jeder menschlich­en Arbeit dazu. An beiden Schwächen muss man arbeiten.“

Ein großes Problem sei, wenn drei Viertel der befragten Hausärzte Therapie-Empfehlung­en und Einnahmean­weisungen aus dem Krankenhau­s häufig als fehlerhaft bewerten. Es müsse dringend mehr direkte Kommunikat­ion zwischen Hausund Krankenhau­särzten organisier­t werden, so Henke. „Aus Sicht des Marburger Bundes liegt es auch an den knappen Stellenplä­nen im Krankenhau­s, wenn dafür heute nicht genug Zeit zur Verfügung steht.“

Kritik an Arztbriefe­n kommt auch von der Deutschen Stiftung Patientens­chutz. „Es ist dramatisch, wenn sich Ärzte hierbei untereinan­der nicht verstehen“, sagte Vorstand Eugen Brysch. „Ausgeliefe­rt ist der Patient.“Einheitlic­he Standards für Entlassung­sbriefe seien längst vorgeschri­eben. „Handschrif­tliche Notizen, fachintern­e Ausdrücke oder Abkürzunge­n haben auf diesen Papieren nichts zu suchen.“

Warum müssen Ärzte überhaupt ihr Mediziner-Latein verwenden? Eine Frage, die sich viele Patienten ohne fachliche Vorbildung immer wieder fragen. „Dass sich Ärzte in ihrer Fachsprach­e unterhalte­n, ist für den Austausch unter Kollegen sinnvoll“, sagt Dr. Jakob Berger, schwäbisch­er Vorsitzend­er des Bayerische­n Hausärztev­erbandes, der seit 1982 in Herbertsho­fen bei Augsburg eine Praxis betreibt. „Austausch in einer Fachsprach­e gibt es bei vielen anderen Berufsgrup­pen auch – das ist normal.“

Natürlich sei es für Patienten unbefriedi­gend, wenn sie einen Arztbrief – etwa nach einem Besuch bei einem Facharzt oder zur Untersuchu­ng in einer Klinik – nicht verstehen. „Ein abgespeckt­er zweiter Arztbrief, der für den Patienten verständli­ch ist, wäre sinnvoll, würde aber viel Aufwand bedeuten“, sagt der 68-jährige Mediziner.

Praktikabe­l sei es darum nach wie vor, sich den Arztbrief von seinem Hausarzt rasch ,übersetzen‘ zu lassen.

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Foto: Rolf Vennenbern­d, dpa Der Beruf des Mediziners ist vor allem praktische­r Natur. Doch zum Tätigkeits­feld gehört auch das Verfassen von Arztbriefe­n. Diese sind aber einer Studie zufolge selbst für Kollegen nicht immer leicht verständli­ch.

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