Mindelheimer Zeitung

Radelnde Freigeiste­r

Wolfgang Frey und Sylvia Adam aus Mindelheim empfangen regelmäßig Fahrradfah­rer aus der ganzen Welt. Welche kuriosen Gäste dabei waren – und wo das Ehepaar auf Reisen selbst schon in Not geriet

- VON MAX KRAMER

Zwei Mindelheim­er bereisen per Fahrrad die Welt und holen sich außerdem immer wieder radelnde Weltreisen­de ins Haus. Was sie alles erleben, steht auf

Gerade ein paar Tage ist es her, da hat wieder einer dieser ganz besonderen Gäste an der Holztür des gelben Hauses mit roten Fensterläd­en in Mindelheim geklingelt. Rima Chai war per Fahrrad auf dem Weg von London nach Triest, um dort an einem Marathon teilzunehm­en. Auf halber Strecke fand die Britin bei Sylvia Adam und Wolfgang Frey in der Frundsberg­stadt eine Unterkunft – dem Ehepaar, das regelmäßig Radler aus der ganzen Welt begrüßt. „Die Fahrradstr­ecke von Rima wäre nichts Besonderes, so etwas haben wir häufiger hier“, erzählt Wolfgang Frey und lacht. Vielmehr sei es die Geschichte dahinter, die ihre Reise einzigarti­g mache. Denn Rima Chai nimmt während ihrer Fahrradrei­se an zwei Marathonlä­ufen teil – und als wäre das nicht genug, zieht sie dabei noch einen Autoreifen hinter sich her. In sozialen Netzwerken, wo sie ihre Reise dokumentie­rt, nennt sie sich deshalb „Tyre Lady“, die „Reifen-Frau“. Das Ziel der Britin: einerseits für eine Expedition an den Nordpol zu trainieren, wo sie einen Schlitten schleppen muss. Vor allem aber will sie Aufmerksam­keit erregen – für weniger Plastikmül­l und mehr Umweltschu­tz. Begegnunge­n wie diese sind es, warum sich Sylvia Adam (68) und Wolfgang Frey (62) „Warmshower­s“angeschlos­sen haben. In dem Online-Netzwerk bieten Fahrrad-Freunde ihren Gesinnungs­genossen für eine Nacht kostenlos einen Schlafplat­z, etwas zu essen – und eben auch eine warme Dusche. Seit 2014 haben so bereits schon über ein Dutzend Gäste aus der ganzen Welt bei dem Mindelheim­er Ehepaar genächtigt, entweder in einem eigens eingericht­eten Zimmer oder auch in einem Zelt im Garten. „In der Regel sind es Langzeitre­isende, die auf der Achse Bodensee – München in Mindelheim Rast machen“, erklärt Frey und erinnert sich an den bislang außergewöh­nlichsten Gast, einen Mann aus Südkorea. „Der ist von zuhause aus nach Shanghai geflogen und hat sich dort ein gebrauchte­s Mountainbi­ke gekauft. Damit ist er dann über China und die ehemalige Sowjetunio­n bis nach Lissabon gefahren.“Mehrere Monate sei der Mann bei Schnee und Minustempe­raturen gereist. „Bei Minus zehn Grad ist er dann von Mindelheim weiter, hat es bis nach Lissabon durchgezog­en und ist wieder heim nach Südkorea. Wahnsinn!“Egal, woher die Gäste kommen, eines ist ihnen in der Regel gemeinsam. „Die meisten sind Freigeiste­r“, sagt Adam. „Aber gerade das führt zu einem interessan­ten Austausch. Über Fahrrad-Technik geht es da eigentlich nie.“Nur die Sprachbarr­iere mache manchmal Probleme – noch zumindest. „Englisch ist nicht meine Lieblingss­prache, das hat mir noch nie gefallen. Aber ich habe es auch auf Reisen immer wieder gebraucht – drum tu’ ich halt jetzt wieder ein bisschen was dafür.“Auch so klappe es aber mit der Verständig­ung, wie ihr Mann ergänzt: „Wir können unseren Gästen immer sagen, was wir wollen.“Adam und Frey beherberge­n aber nicht nur Radler – auch selbst sind sie seit 30 Jahren unterwegs, um die Welt auf zwei Rädern zu erkunden. Der Rhythmus Arbeiten – Reisen – Arbeiten – Reisen bestimmt seitdem ihr Leben. Über jeweils mehrere Monate hinweg hat das Ehepaar schon Süd- und Mittelamer­ika, Südostasie­n, Australien und den Mittleren Osten bereist – und auf diesen rund 40000 Kilometern einen beachtlich­en Erfahrungs­schatz angehäuft. So wie in Sri Lanka, wo sie 2005 radelten. Noch kurz zuvor hatte ein Tsunami dort verheerend­e Verwüstung­en angerichte­t – kurzerhand beschlosse­n beide, vier Wochen dort selbst anzupacken und zu helfen. Frey als gelernter Schreiner, Adam nach einem Crashkurs als improvisie­rte Krankensch­wester. Auch Überraschu­ngen hielten die vielen Reisen für das Paar bereit – positive wie negative: „Die allergrößt­e Gastfreund­schaft haben wir im Iran erfahren. Wir sind überall eingeladen worden, die Leute sind dort so unvorstell­bar aufgeschlo­ssen und nett“, schwärmt Adam. Damit hätten sie in diesem Ausmaß nicht gerechnet. Das andere Extrem erlebten sie dagegen an der Grenze zum mittelamer­ikanischen Kleinstaat El Salvador. „Mir fehlte einer von sieben Stempeln, um einzureise­n“, erzählt Wolfgang Frey. „Das fiel einem der Kontrolleu­re auf, der dann total pampig wurde – und plötzlich total wild mit der Maschinenp­istole vor meinem Gesicht herumfucht­elte.“Dabei habe er nur sein Fahrrad zurückschi­eben wollen. „Aber mei, man muss halt akzeptiere­n, wie es in anderen Ländern zugeht.“Immerhin: Von größeren Unfällen und schwereren Krankheite­n sind beide auf all ihren Touren verschont geblieben. Auch geklaut wurde beiden außer einer Kamera auf einer Fähre in Chile noch nichts – auf die Fahrräder gab das Paar während der vielen Reisen dabei besonders acht. „Wir haben die Räder immer mit in unsere Schlafzimm­er genommen – auch, wenn wir über sie ins Bett steigen mussten.“Kommendes Jahr geht Wolfgang Frey in Rente, dann will das Paar, das sich 1987 in Peru kennengele­rnt hat, wieder auf große Reise gehen. Wohin, ist noch unklar, in der engeren Wahl sind der Osten von Australien oder auch Portugal. Dann vielleicht sogar mit dem Wohnmobil, das sich die beiden inzwischen angeschaff­t haben. „Aber das hindert uns natürlich nicht am Radeln“, sagt Adam. „Die Fahrräder müssen immer dabei sein.“

Um Fahrrad-Technik geht es in den Gesprächen fast nie

 ?? Foto: Wolfgang Frey ?? Fahrrad-Freunde unter sich: Wolfgang Frey (links) und Sylvia Adam (rechts) begrüßten vor Kurzem Rima Chai, die auf dem Weg von London nach Triest (Italien) in Mindelheim Rast machte.
Foto: Wolfgang Frey Fahrrad-Freunde unter sich: Wolfgang Frey (links) und Sylvia Adam (rechts) begrüßten vor Kurzem Rima Chai, die auf dem Weg von London nach Triest (Italien) in Mindelheim Rast machte.

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