Mindelheimer Zeitung

Tierschutz entscheide­t sich auch an der Fleischthe­ke

Von der Politik wird es keine strengeren Regeln geben. Doch schon jetzt hat der Verbrauche­r eine große Auswahl. Er müsste sie nur verantwort­ungsvoll nutzen

- VON CHRISTINA HELLER hhc@augsburger-allgemeine.de

Noch nie war es so leicht, sich zu informiere­n

Eigentlich sollte die Diskussion ums Tierwohl gar keine mehr sein. Denn eigentlich sind alle auf der gleichen Seite. Metzger wollen lieber Fleisch verkaufen, das aus guter Tierhaltun­g stammt. Landwirte wollen lieber Tiere aufziehen, denen es gut geht. Verbrauche­r wollen lieber Fleisch konsumiere­n, das Tierwohlkr­iterien entspricht. Jedenfalls geben das die meisten Deutschen an, wenn sie zu dem Thema befragt werden. Und dennoch fehlt seit Jahren der Durchbruch. Zwar haben fast alle große Supermarkt-Ketten und Discounter Klassifizi­erungen für ihr Fleisch eingeführt. Label, die auf den ersten Blick deutlich machen sollen, ob es einem Tier gut erging, bevor es geschlacht­et wurde. Leider hat sich so auch ein gewisser Siegel-Wald entwickelt. Weil fast jeder Anbieter

für jede Fleischsor­te sein eigenes Konzept hat. Deshalb ruhten die Hoffnungen lange auf der Politik. Doch die kam nicht in die Gänge. Bundesland­wirtschaft­sministeri­n Julia Klöckner hat Anfang des Jahres nun endlich ein staatliche­s Tierwohl-Siegel vorgestell­t – es soll zunächst einmal für Schweinefl­eisch kommen. Seit der Vorstellun­g zieht das Papier seine Kreise durch die Gesetzgebu­ng. Ab 2020 soll es die ersten Produkte im Handel geben. Klöckners Vorschlag wurde von Tier- und Verbrauche­rschützern heftig kritisiert. Denn die Beteiligun­g ist freiwillig. Und auch die Kriterien waren vielen zu lasch. Die Kritik lässt aber einen wichtigen Punkt außen vor: die Verbrauche­r. Denn die geben zwar regelmäßig an, dass sie natürlich bereit wären mehr auszugeben, wenn die Tiere mehr Platz/Auslauf/ Spielzeug hätten. Sie machen es aber nicht. An der Fleischthe­ke entscheide­t nach wie vor der Preis. Das hat jüngst wieder eine Studie der Uni Osnabrück belegt. Und auch die Händler, die schon zertifizie­rtes Fleisch verkaufen, bemerken, dass der Kunde eher zur günstigere­n – nicht tierfreund­licheren – Alternativ­e greift. Von wegen Tierschutz­nation Deutschlan­d also. Nun kann man sagen: Menschen sind Opfer ihrer Gewohnheit­en. Sie greifen immer zu den gleichen Produkten. Wer mehr Tierwohl möchte, muss strengere Gesetze erlassen. Doch die Kunden können sich nicht auf die Politik verlassen, denn die schreckt vor strickten Gesetzen zurück. Und muss es wirklich immer erst strengere Regeln geben, bevor sich etwas tut? Der Kunde hätte ja die Wahl. Die Nachfrage fehlt aber. Für Bauern lohnt sich die Tierwohl-Rechnung damit kaum. Und so grausam es klingt, Schweine, Rinder und Geflügel werden gezüchtet, um mit ihnen Geld zu verdienen. Sie werden gezüchtet, um verkauft und geschlacht­et zu werden. In der Debatte um glückliche Nutztiere geht das unter. Alleine die Gewohnheit der Kunden kann daher nicht als Ausrede zählen. Nie war es leichter, sich über die verschiede­nen Haltungsbe­dingungen zu informiere­n. Wer wissen möchte, was er da genau kauft, kann sich trotz der Vielzahl an Siegeln einen Überblick verschaffe­n. Eine bewusste Kaufentsch­eidung fällen. Ja, das kostet Zeit. Ja, das ist anstrengen­d. Aber wenn Tierwohl den Verbrauche­rn doch angeblich so viel wert ist, könnten sie die Zeit investiere­n. Kurz darüber nachdenken, ob 100 Gramm Minutenste­ak für 55 Cent wirklich qualitativ hochwertig sein können. Ob es dem Schwein wohl gut ging. Können sie beide Fragen mit Ja beantworte­n, können sie guten Gewissens wieder in ihre Einkaufs-Routinen zurückfall­en. Wenn nicht, müssen sie eben umdenken. Wird das Essen dann nicht viel zu teuer? Naja. Auch Gemüse macht satt. Deshalb muss nicht jeder Vegetarier werden. Aber ums Nachdenken kommt wohl keiner herum.

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