Mindelheimer Zeitung

Diese verrückte Spargellie­be

In diesen Wochen wird um das Edelgemüse wieder ein riesiger Kult gemacht. Woher kommt diese Spargelbeg­eisterung nur? Eine Geschichte über den kleinen Luxus, deutsche Eigenheite­n und Dinge, die sich wohl nie ändern

- VON SONJA DÜRR

Jennifer Drieschner hat sich schon den ganzen Tag auf diesen Moment gefreut. Auf das, was sie ihren „kleinen Luxus“nennt. Zielstrebi­g hat die junge Frau gerade ihren Kleinwagen auf den Parkplatz gesteuert, hier, an der Straße zwischen Stadtberge­n und Leitershof­en westlich von Augsburg, und blickt jetzt gespannt in die Auslage. Dorthin, wo eigentlich der Babysparge­l liegen sollte. „Oh, ist der schon aus? Da bin ich wohl zu spät“, sagt Jennifer Drieschner und zuckt mit den Schultern. Die Frau auf der anderen Seite der Theke, Alexandra Lutz-Aronis, hört diese Enttäuschu­ng heute nicht zum ersten Mal. Sie lächelt, zeigt auf die Kisten vor ihr und zählt auf, was noch da ist. Premium-Spargel Klasse A für 13 Euro, Klasse C mit den aufgeblüht­en Köpfen, grünen Spargel oder, zum Sonderprei­s, die krummen Dinger. „Dann nehm ich A, ein Kilo“, sagt Drieschner. „Und bitte geschält.“Alexandra Lutz-Aronis kennt ihre Kunden. Die, die Ende März schon hierher pilgern, wenn der Stand von Spargel Lohner öffnet. Die, die morgens um kurz vor acht darauf warten, dass sie das Häuschen aufmacht. Und die, die alle paar Tage wiederkomm­en und Spargelspi­tzen kaufen. Einfach, weil jetzt die Zeit dafür ist. Alexandra Lutz-Aronis streicht sich die Schürze glatt, auf der „Wir lieben Spargel“steht, und sagt: „Diese Zeit ist schon etwas Besonderes.“In diesen Wochen jedenfalls ist der Spargel allgegenwä­rtig. In den Buden am Straßenran­d. Auf Wochenmärk­ten und im Supermarkt. In Restaurant­s und Kantinen. Es gibt Spargel mit Sauce Hollandais­e, mit zerlassene­r Butter oder im Schinken, aus dem Ofen oder vom Grill, gratiniert in der Pfanne, mariniert im Salat, gekocht in der Suppe. Manche legen ihn sogar auf die Pizza. Irgendwie scheint es kaum ein Gericht zu geben, zu dem das Edelgemüse nicht passt. Wobei zur Wahrheit ja auch gehört, dass Spargel die Gesellscha­ft spaltet. In die einen, die davon schwärmen, dass sie „angesparge­lt“haben, und die anderen, die sich fast schon dafür rechtferti­gen müssen, dass sie ihn nicht mögen. Woher also kommt diese Begeisteru­ng? Klar, Spargel schmeckt (vielen) gut, er ist gesund, kalorienar­m, entwässert und entgiftet. Aber erklärt das dieses Spargelfie­ber? Oder diesen Kult, der um das Gemüse gemacht wird und über den böse Zungen sagen, dass er völlig überzogen sei. Mit blanken Zahlen lässt sich das Phänomen jedenfalls nicht erklären. 1,9 Milliarden Spargelsta­ngen essen die Deutschen im Jahr, hat die Bundesanst­alt für Landwirtsc­haft und Ernährung gezählt. Das macht, auf den Einzelnen gerechnet, gerade einmal 1,6 Kilo. Rein statistisc­h ist das weniger, als wir Blumenkohl oder Bohnen im Jahr essen. Aber Begeisteru­ng für Bohnen? Danach müsste man lange suchen. Claudia Neu ist Ernährungs­wissenscha­ftlerin. Sie sagt, dass man Spargel ohnehin nicht mit anderem Gemüse vergleiche­n könne, weil er eine Sonderroll­e einnehme. Entscheide­nd sei vielmehr der Gedanke: „Das gönn ich mir jetzt.“Ein Gemüse, für das man gern auch mal mehr zahlt. Im Schnitt 6,38 Euro fürs Kilo 2018. Spargel, das sei ausgeprägt­er Luxus, sagt Neu. „Er war schon elitär und exklusiv, als es noch gar keine Supermärkt­e gab.“Dabei ist die Spargelbeg­eisterung noch viel, viel älter. Sagt Daniel Kofahl, Ernährungs­soziologe aus Trier. Bereits vor 5000 Jahren soll Spargel den Pharaonen in Ägypten als Delikatess­e serviert worden sein. Kultiviert wurde das Edelgemüse aber von den Römern. Ein teures Produkt war es schon damals, aufwendig im Anbau und komplizier­t zu ernten. Wohl deshalb ließ der römische Kaiser Diokletian im Jahr 304 den Preis per Erlass regeln. Spargel sollte auch für das normale Bürgertum erschwingl­ich werden. Doch im Mittelalte­r verschwand das Edelgemüse, erst der Adel entdeckte es im 19. Jahrhunder­t wieder. Was aber hat es mit der heutigen Begeisteru­ng auf sich, dem „Spargelhyp­e“, wie Kofahl ihn nennt? Da kommt einiges zusammen, erklärt er: Der Trend hin zu saisonalen Produkten, der zum Zeitgeist passt. Die Tatsache, dass man so lange verzichtet hat und sich jetzt wieder etwas gönnen will. Die damit einhergehe­nden Frühlingsg­efühle und die aphrodisie­rende Wirkung, die den Stangen nachgesagt wird. Und wie viel ist geschickte­s Marketing? Weil die Spargelbau­ern ja erreicht haben, was sich andere Landwirte sehnlichst wünschen – Wertschätz­ung für ihr Produkt. Während es Milch heute schwer hat, Butter und Zucker in Verruf geraten sind, gilt Spargel als Superfood. „Die Spargelbau­ern haben es sicher geschafft, diesen Hype zu verstärken“, sagt Kofahl. Letztlich habe die Sache mit dem Spargel eine Eigendynam­ik angenommen. Spargel, sagt er, ist aufgeladen­er Status. Aber zugleich auch Massenware. Alexandra Lutz-Aronis zeigt den Acker hinunter, dort, wo damals die Bude stand, als sie 2007 als Verkäuferi­n angefangen hat. „Eine kleine, weiße Hütte war das, in der man sich kaum umdrehen konnte.“Heute steht sie in einem großen, hübschen Holzhaus – „ein Palast“, wie die 56-Jährige sagt. In den Regalen werden Wein, Rohschinke­n aus Südtirol und Erdbeerlim­es angeboten, im hinteren Bereich steht ein silbernes Edelstahl-Monstrum. Dieses Gerät, sagt Lutz-Aronis, ist so teuer wie ein Mittelklas­sewagen. Vorne legt man den Spargel rein, hinten kommt er geschält im Wasserbad raus. Heute, wo das Gerät stillsteht, weil die Kollegin frei hat, schaut so mancher Kunde am Stand verdutzt, manche meinen gar, dass sie ein Kilo Spargel nicht selbst schälen könnten. Alexandra LutzAronis schält einfach per Hand. Und sagt dann später: „Äpfel und Gurken schälen die Leute doch auch. Jessas, ist der Mensch verwöhnt.“So würde Josef Lohner das nicht sagen. Und doch weiß der 56-Jährige, der mit seinem Bruder Georg den gleichnami­gen Spargelhof in Inchenhofe­n nahe Aichach führt, dass die Kunden wählerisch sind. Das fängt ja schon beim Wetter an. Spargel mögen sie, wenn es nicht zu heiß ist, aber auch nicht regnet. Und sie kaufen am liebsten geraden, perfekten Spargel. Das jedenfalls fordere der Handel, sagt Lohner. „Dabei ist ein Spargel keine Schraube. Aber er wird so angeboten.“Weil eine Stange so sein soll wie die andere. „Der Hang zur Perfektion, der ist brutal.“Lohner kennt die Zeiten, als es noch anders war. Als Spargel rar war und die Bauern den Ärzten in der Stadt ein paar Stangen mitgebrach­t haben. Er will irgendwann ein Buch darüber schreiben, wie alles angefangen hat, 1985. Der elterliche Hof mit 15 Hektar Land und 15 Kühen warf damals nicht viel ab. Also probierten die Brüder es mit Spargel, ohne sich groß damit auszukenne­n. Wo sonst vom Strukturwa­ndel die Rede ist, ist den Lohners ein Landwirtsc­haftswunde­r gelungen. Heute nennen sie sich die größten Spargelpro­duzenten Bayerns. 100 Mitarbeite­r arbeiten fest auf dem Hof, dazu kommen während der Saison um die 650 Erntehelfe­r aus Rumänien und Polen und 250 Verkäufer in den Buden am Straßenran­d. 130 davon gibt es zwischen Stuttgart und Rosenheim. Was nun den Spargel ausmacht? Lohner überlegt, erzählt vom Frühjahrsb­oten, dem einzigarti­gen Geschmack und sagt dann: „Sonst gibt es heute alles 365 Tage im Jahr. Beim Spargel ist das anders.“Und das ist nicht die einzige Besonderhe­it, erklärt Michael Koch vom Agrarinfor­mationsdie­nst AMI. Kein anderes Gemüse ist so regional. In keinem anderen Fall kaufen die Kunden so häufig direkt beim Erzeuger. 80 Prozent der Ware, die hierzuland­e verkauft wird, wird auch hier angebaut. Das erklärt, warum in Deutschlan­d kein anderes Gemüse mehr Fläche einnimmt als Spargel – 23 400 Hektar. Wobei, auch das muss man wissen, der weiße Spargel eine deutsche Besonderhe­it ist. Eine Begründung dafür hat auch Ernährungs­soziologe Kofahl nicht. Nur dass der Bleichspar­gel eben in Deutschlan­d erfunden wurde. Und sich so eine eigene Esskultur entwickelt hat, während man in anderen Ländern viel mehr die grüne Variante schätzt. Koch sagt: „Wir sind eine Spargellie­bhaber-Nation wie kaum eine andere.“Wenn man so will, ist Schrobenha­usen wohl eine der Metropolen. Keiner weiß das so gut wie Josef Plöckl, den sie hier den „Spargelpap­st“nennen. Der 76-Jährige war Bürgermeis­ter, Landwirt, vor allem aber der Mann, der aus einer Ackerfruch­t eine Marke, den „Schrobenha­usener Spargel“, gemacht hat. 1975 hat er den Spargelerz­eugerverba­nd Südbayern gegründet und ihn bis vor wenigen Monaten geführt. „Wir sind draufgekom­men, dass man Werbung braucht.“Denn als gewiefter Geschäftsm­ann wusste er: „Wer nicht wirbt, der stirbt.“Mit Spargel hat Plöckl Türen geöffnet. Wie die in die bayerische Staatskanz­lei, als dort Franz Josef Strauß regierte. Mehrere Jahre in Folge bekam er eine Dreivierte­lstunde Zeit bei ihm. Und stattete auch seinen Nachfolger­n jedes Jahr einen Besuch ab. „Ich hab immer einen Korb Spargel mitgebrach­t.“Und heute? „Heute haben die Leute Geld, früher hat sich nicht jeder Spargel leisten können“, sagt Plöckl. Manche Dinge aber ändern sich nicht. Wie die Tatsache, dass die Saison am 24. Juni endet. Oder dass der Anbau mit viel Handarbeit verbunden ist. Vor ein paar Jahren hätten sie im Schrobenha­usener Land automatisc­he Stechmasch­inen ausprobier­t. Aber die hätten die Stangen mal kurz, mal lang abgeschnit­ten. „Gott sei Dank funktionie­rt das nicht“, sagt Plöckl. „Spargel muss rar sein.“

Wer Spargel nicht mag, muss sich fast schon rechtferti­gen Franz Josef Strauß bekam immer einen Korb Spargel

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Fotos: Ralf Lienert/Sonja Dürr Spargel über Spargel: Im Frühjahr dominiert das Stangengem­üse den Speiseplan. Manche sagen gar, die Deutschen seien besessen davon.
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Alexandra Lutz-Aronis kennt ihre Stammkunde­n. Seit zwölf Jahren verkauft sie um diese Jahreszeit Spargel.

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