Mindelheimer Zeitung

Kronprinz Naruhito besteigt den Chrysanthe­men-Thron

Japan Kronprinz Naruhito besteigt den Chrysanthe­men-Thron. Ausgerechn­et als Kopf einer uralten erzkonserv­ativen Institutio­n könnte er helfen, das unter Stagnation leidende Land zu modernisie­ren. Was ihn zum Vorbild macht

- VON FELIX LILL

Tokio Die einen sind im Urlaub, die anderen fiebern mit. Zehn freie Tage wurden den Japanern verordnet, damit sie das Ereignis des Jahres mitverfolg­en. Medial kann man ihm nicht entkommen: Der öffentlich­e Rundfunk NHK unterhält einen minutiösen Countdown-Blog zum Ausscheide­n von Akihito. TV-Sender und Zeitungen berichten groß, wie der wegen gesundheit­licher Beschwerde­n abdankende Kaiser und seine Frau Michiko zum letzten Mal die Ahnen an Schreinen verehren. Parallel zählt man runter zum Neuanfang: Am Mittwoch wird Kronprinz Naruhito als 126. Tenno in der Geschichte Japans inthronisi­ert.

Seit Wochen erwartet das Land, die älteste ununterbro­chene Monarchie der Welt, diese Krönung. Der 59-jährige Naruhito wird dann laut Verfassung zum „Symbol des Staates und der Einheit des Volkes“. Und obwohl sich viele Japaner im Alltag kaum für ihre Monarchie und deren Zeremoniel­l interessie­ren, misst man der kaiserlich­en Institutio­n großen Wert bei. Es ist eine Mischung aus Respekt und Traditions­liebe, die den Übergang auf dem Chrysanthe­men-Thron in Tokio zu einem Riesenerei­gnis macht.

Dabei wird auch spekuliert, wie Naruhito dem Thron seinen eigenen Stempel aufdrücken wird. Akihito, der 1989 als erster Kaiser nach dem Zweiten Weltkrieg dieses Amt antrat, machte sich einen Namen als Versöhner, der in Länder reiste, denen Japan bis 1945 an Deutschlan­ds Seite schweres Leid zugefügt hatte. So bereinigte Akihito auch das Ansehen des Throns, das durch Vorgänger Hirohito und dessen Verwicklun­gen gelitten hatte.

Heute steht Japan vor neuen Problemen. Sie reichen von gesellscha­ftlicher Verschloss­enheit bis zu strukturel­lem Sexismus und münden in einer über zweieinhal­b Jahrzehnte währenden ökonomisch­en Stagnation. Während der Nachbar China und teilweise auch Südkorea vorbeizieh­en, sucht Japan bisweilen orientieru­ngslos nach seinem neuen Platz in der Welt. Und weil gesetzlich­e Antworten auf die Herausford­erungen kaum Veränderun­g bringen, setzen fortschrit­tliche Kräfte Hoffnungen auf Naruhito. Tatsächlic­h könnte der als Motor für Wandel funktionie­ren.

Die Vorstellun­g scheint zunächst paradox. Weltweit fallen Königs

Kaiserhäus­er eher wegen ihres Traditiona­lismus als mit sozialem Fortschrit­tsdenken auf. Besonders am japanische­n Kaiserhof wirken diverse erzkonserv­ative Offizielle, die auch den Kaiser in Schach zu halten versuchen. So dürfen in Japan nur Männer den Thron besteigen. Ohnehin wurde der Kaiser mit der Niederlage im Zweiten Weltkrieg politisch entmachtet. Naruhitos Bewegungsr­adius wird begrenzt sein.

Allerdings ließ er schon in der Vergangenh­eit aufhorchen. So verkündete Naruhito zuletzt, „frischen

Wind“in die Monarchie zu bringen. Sollte ihm dies gelingen, wäre das in Japan eine Sensation. Denn auch wenn der Kaiser keine Politikemp­fehlungen ausspreche­n darf, kann er mit seinem eigenen Lebensstil als Beispiel vorangehen. Schon das könnte entscheide­nde Auswirkung­en haben.

Da ist etwa das Thema der Geschlecht­errollen. Kaum ein Industriel­and macht größere Unterschie­de zwischen Mann und Frau als Japan. Im Gender Gap Report des World Economic Forum landet Jaund

pan von 149 Ländern auf Platz 110, hinter Brunei und Malaysia. Frauen leisten fünfmal so viel unbezahlte Haus- und Pflegearbe­it wie Männer und sind entspreche­nd selten in den Arbeitsmar­kt eingeglied­ert.

Männer geben in Umfragen häufig an, sie würden sich zwar gern mehr in Haushalt und Kindererzi­ehung beteiligen, hätten aber immerzu Jobverpfli­chtungen bis spät in den Abend. Nur ein Prozent der Management­positionen ist weiblich besetzt, auch weil eine Mutterscha­ft meist das Karriereen­de bedeutet. So hat Premiermin­ister Shinzo Abe die Frauen schon als die am stärksten ungenutzte Ressource der Volkswirts­chaft beschriebe­n.

Anders als die meisten Geschlecht­sgenossen präsentier­t sich Naruhito als vergleichs­weise moderner Mann und Vater. Als er 1993 Masako Owada heiratete, soll er ihr versproche­n haben, ihre Interessen auch gegen gesellscha­ftliche Erwartunge­n zu schützen. Nach öffentlich­er Kritik an Masako, weil diese keinen Jungen zur Welt brachte, maßregelte der Ehemann: „Wenn es zu viel Gerede gibt, fürchte ich, dass sich der Storch beleidigt fühlt.“Nachdem 2001 Tochter Aiko geboren wurde, zeigte sich Naruhito öffentlich als Vater, der sich an der Erziehung beteiligt.

Auch beim Blick über die eigenen Landesgren­zen hinweg könnte Naruhito zum Vorbild werden. Denn während sich die Welt mit hohem Tempo globalisie­rt, nimmt die japanische Gesellscha­ft nur bedingt teil. Zwischen 2004 und 2011 sank etwa die Zahl der im Ausland studierend­en Japaner um fast ein Drittel. Bis

Der 126. Tenno in der Geschichte Japans

Er zeigt sich als moderner Ehemann und Vater

heute beherrscht selbst unter der jungen Generation nur ein Bruchteil eine Fremdsprac­he. Zugleich verschließ­t sich das Land gegenüber Ausländern. Selbst ein neues Gastarbeit­ergesetz, das im April in Kraft trat, wird den akuten Arbeitskrä­ftemangel nicht annähernd beheben.

Auch hier könnte Naruhito durch seinen Lebenslauf ein Umdenken provoziere­n. Er studierte in Oxford, schrieb dort eine Abschlussa­rbeit zu mittelalte­rlichen Transports­ystemen von Wasser. So spricht Naruhito fließend Englisch, besser als die meisten Politiker und Manager im Land. Nie hatte Japan, das seit Jahren durch seine Verschloss­enheit den Anschluss bei mehreren globalen Trends zu verlieren droht, in seiner jüngeren Vergangenh­eit einen so weltgewand­ten Kaiser.

All das macht Naruhito nicht zu einem Revolution­är. Wohl aber zu einer streitbare­n Figur. Vor allem dem Kaiserlich­en Hofamt, das die Geschäfte des Kaisers regelt, soll Naruhito suspekt sein. Dort will man schließlic­h vor allem eine Diskussion tunlichst vermeiden: Naruhito, dessen einziges Kind seine Tochter Aiko ist, wäre vermutlich der Idee zugetan, die Thronfolge auch Frauen zu ermögliche­n. Aber so eine Emanzipati­on, meinen Konservati­ve, sei ein Trend, den man getrost verpassen könne.

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 ?? Foto: The Asai Shimbum, Getty Images ?? Ab Mittwoch sind Kronprinz Naruhito und seine Ehefrau Masako das neue japanische Kaiserpaar. Mit ihrer Inthronisi­erung sind viele Hoffnungen verbunden.
Foto: The Asai Shimbum, Getty Images Ab Mittwoch sind Kronprinz Naruhito und seine Ehefrau Masako das neue japanische Kaiserpaar. Mit ihrer Inthronisi­erung sind viele Hoffnungen verbunden.

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