Mindelheimer Zeitung

Jugendlich­e vor Gericht

Rückschau Dr. Markus Veit hat in seiner Zeit als Memminger Jugendrich­ter schon viele junge Straftäter vor sich gehabt. Im Interview spricht er über die Bedeutung von Handys, außergewöh­nliche Fälle und klare Worte an die Täter

- VON MELANIE LIPPL

Markus Veit ist seit 20 Jahren Jugendrich­ter. Über außergewöh­nliche Fälle und die Veränderun­gen, welche Internet und Handys brachten, lesen Sie auf

Unterallgä­u Wer als Jugendlich­er oder junger Erwachsene­r im Unterallgä­u straffälli­g wird, bekommt es in der Regel mit Dr. Markus Veit zu tun. Seit 20 Jahren ist er Jugendrich­ter am Amtsgerich­t Memmingen – und hat in dieser Zeit einiges erlebt.

Was Dr. Markus Veit sagt ...

.... über die Veränderun­gen der vergangene­n 20 Jahre

Die Jugendlich­en begehen immer noch dieselben Straftaten: Diebstähle, Fahren ohne Fahrerlaub­nis, Körperverl­etzungen, Raub, Erpressung, Sexual- und viele Betäubungs­mitteldeli­kte. Drogen-Prozesse machen fast die Hälfte seiner Fälle aus. „Die Delikte bleiben die gleichen – mit einer Ausnahme: Alles, was sich im Internet abspielt, hat sich in den letzten Jahren verändert.“

... über das Netz und seine Folgen

Im Internet passieren nicht nur Straftaten, durch das Netz verschiebt sich in Veits Augen Erwachsene­nsexualitä­t immer weiter nach vorne: „Kinder versuchen, Erwachsene zu spielen.“Im Netz schauten sich die jungen Leute „jeden Dreck“an: Sie senden die Pornos weiter und gehen davon aus, dass das, was gezeigt wird, normal sei – und entspreche­nd verhalten sie sich auch, sagt Veit. „Das ist inzwischen ein Riesenprob­lem und wird auch noch heftiger werden“, glaubt er. Vor einiger Zeit etwa erfuhr er von einem Video, das eine 13-Jährige zeigt, wie sie mit einem 15-Jährigen schläft. Das Video hatte das Mädchen selbst verschickt, vermutlich um Anerkennun­g zu erfahren. „Das ist irre!“, findet Veit. Am Ende musste das Mädchen die Schule wechseln. Warum sie das gemacht hatte, konnte sie nicht beantworte­n.

... über Handys und ihre Folgen

Die Situation für Polizei und Gericht hat sich durch Handys verbessert, weil die Jugendlich­en dazu neigen, alles aufzuzeich­nen, sagt Veit. Einer filmt eine Schlägerei mit, ein anderer wickelt seine Drogengesc­häfte über Whatsapp ab. „Ein besseres Beweismitt­el können wir nicht kriegen.“ Während man früher noch zur Polizei gehen musste, kann man die Beamten nun ganz bequem heute per Handy hinzuholen. Die Folge: „Wir haben viel mehr Anzeigen, auch bei Bagatellen, die man früher nie angezeigt hätte.“

... über Schlägerei­en

Richter Veit hat die Erfahrung gemacht, dass Schlägerei­en durch Handys eskalieren können. Sie fangen harmlos an: Zwei haben Zoff, diskutiere­n über Whatsapp. Man trifft sich, um die Sache zu klären. „Klar, dass da nicht diskutiert wird, da kommt es zur Schlägerei.“Die zwei Kontrahent­en stehen sich gegenüber, fangen an, sich zu prügeln und sofort greifen andere von außen mit ein, die per Handy mit dazu gerufen wurden. Am Ende seien die Jugendlich­en oft selbst über die schweren Folgen überrascht. „Wenn einer am Boden liegt, war das früher zu Ende. Der hatte verloren“, sagt Veit. „In der Zwischenze­it wird in den gnadenlos eingetrete­n – nicht unbedingt vom Kontrahent­en, sondern auch von anderen Unbeteilig­ten. Warum die das machen, können sie selbst nicht beantworte­n.“

... warum Jugendlich­e straffälli­g werden

Für Veit gibt es mehrere Eckpunkte: Dazu gehört der Jugendlich­e selbst, der etwas erleben will, Gruppendru­ck erfährt oder in eine Gruppe kommt, die Kriminalit­ät akzeptiert. „Wenn dann das Elternhaus nicht stark genug ist, kann es schon sein, dass ein Jugendlich­er kriminell wird und das beibehält.“Die Eltern hält der Richter für ganz wichtig. Und auch wenn diese das nicht gern hörten: „Eine Scheidung ist ein gewaltiger Faktor. Das bringt das Leben der Jugendlich­en total durcheinan­der – selbst wenn sie älter sind.“Ähnlich sei es, wenn eine Bezugspers­on in der Familie stirbt. Wenn dann noch Schulprobl­eme dazu kommen oder ein Jugendlich­er nicht akzeptiert wird außer in der kriminelle­n Gruppe, kann es sein, dass er sich dieser anschließt. „Die sind nicht böse, die treffen die falschen Entscheidu­ngen“, sagt Veit über jugendlich­e Straftäter.

... darüber, was Eltern tun können

„Mit dem Kind reden, wissen, welchen Umgang sie haben, und Regeln einführen“, rät der Richter. „Viele unserer Jugendlich­en sind ja völlig orientieru­ngslos, weil man ihnen keinerlei Grenzen gesetzt hat oder setzt.“Erst vor Gericht spürten manche Jugendlich­e, dass ihre Taten auch Folgen hätten.

... über Respektlos­igkeit

Jugendlich­e sind respektlos­er geworden, findet Markus Veit. So wäre es etwa früher unmöglich gewesen, einen Polizisten zu beleidigen. Heute sei es keine Seltenheit mehr, dass ältere, unbeteilig­te Leute von mehreren Jungs angegangen und massiv beleidigt oder sogar geschlagen würden – auch grundlos. „Das ist eine hohe Respektlos­igkeit.“

... über seine Urteile

Die allgemeine­n Strafrahme­n gelten im Jugendrech­t nicht, das auf 14-bis 17-Jährige und meist auch auf 18bis 21-Jährige angewandt wird. „Im Prinzip kann ich alles geben, es darf nur nicht verfassung­swidrig sein“, sagt Veit. Er dürfe etwa nicht bestimmen, dass ein Jugendlich­er eine Maurerlehr­e beginnen müsse, wohl aber, dass er sich sofort eine Arbeit suchen soll. „Ich kann einen Nazi ins KZ schicken und ihn einen Aufsatz drüber schreiben lassen.“Drogenkons­umenten lasse er häufig ein Buch eines ehemaligen Kiffers lesen. Er gibt Arreste bis zu vier Wochen, Sozialstun­den, Geldauflag­en, Schmerzens­geld und die Jugendstra­fe als härteste Sanktion. Veit kann Jugendlich­en einen Betreuer zur Seite stellen oder sie in eine Art Anti-Aggression­straining schicken. Am häufigsten vergibt er Stunden und kleinere Arreste. „Wir wollen ja nicht nur strafen, sondern erziehen“, sagt er. Die meisten Jugendlich­en sehe er nur einmal.

... darüber, ob das Jugendstra­frecht zu harmlos ist

„Das ist ein Irrtum“, findet Veit und liefert das Beispiel einer Trunkenhei­tsfahrt mit 1,3 Promille nach. Der Führersche­in sei weg, der Erwachsene bekomme 50 Tagessätze und acht bis zehn Monate Führersche­inentzug. „Wenn ein Heranwachs­ender mit der gleichen Tat zu mir kommt, schauen wir uns den genauer an. Wir sehen, der hat ein Alkoholpro­blem, hat seine Lehre geschmisse­n, insgesamt läuft es auch nicht gut.“Der Jugendlich­e bekomme 50 Stunden soziale Dienste und noch eine Woche Arrest. „Da würde man doch lieber die 50 Tagessätze nehmen.“Die Arreste seien unbeliebt, aber erzieheris­ch wichtig.

... über Fälle, die ihm in Erinnerung bleiben

Da ist die Geschichte einer jungen Frau, gerade erwachsen geworden, die immer gestohlen hat. „Mir war von vorneherei­n klar: Das ist keine Diebin“, sagt Veit. Wie paralysier­t sei sie vor Gericht gesessen, er habe sie auch nie wirklich bestraft. Am Ende erfuhr er, dass ihr Vater sie missbrauch­te. „Die musste was tun: Bevor sie einen umbringt, hat sie gestohlen.“Es geht ihm nahe, wenn er erfährt, dass jemand gestorben ist. Das kommt ein- bis zweimal im Jahr vor und betrifft vor allem Drogensüch­tige. Oft hat er hautnah erlebt, wie sie sich vom unbekümmer­ten Jugendlich­en zu einem Menschen entwickeln, bei dem alles auf die Drogensuch­t reduziert ist.

... über dankbare Jugendlich­e

Ganz selten bekomme er eine Rückmeldun­g, sagt Veit. Einmal habe ihm ein Mädchen aus dem Knast geschriebe­n: Die Gymnasiast­in hatte Drogen genommen, Menschen verletzt. „Am Schluss musste ich sie wegsperren. Die hat mich gehasst.“Im Gefängnis habe sie ihr Kind zur Welt gebracht und dann den Brief an ihn verfasst. Sie sei unendlich dankbar, dass er sie eingesperr­t habe. Jetzt, als Mutter, verstehe sie seine Entscheidu­ng.

... über klare Worte

„Ich gelte unter den Jugendlich­en als streng“, sagt Veit. „Aber ich weiß nicht, ob sie mich als Bösen ansehen. Wenn ich sie auf der Straße treffe, sind sie sehr respektvol­l und grüßen mich.“Wichtig sei, deutliche Worte zu finden. „Wenn ich mit denen verklausul­iert spreche wie ein Jurist, verstehen sie mich ja nicht. Ich muss schon sagen: Hey, geklaut wird nicht!“

... über Kinder, die Straftaten begehen, bevor sie strafmündi­g sind

Auch wenn Unter-14-Jährige ungestraft davonkomme­n, gibt es Akten über ihre Taten. „Wenn ich so jemanden bekomme, weiß ich, dass der schon einiges auf dem Kerbholz hat“, sagt Veit. „Den kann ich nicht als Ersttäter behandeln.“Er fordert, das Strafalter auf zwölf herunterzu­setzen. „Viele wissen, dass sie bis 14 nicht zu belangen sind. Die lachen den Polizisten ins Gesicht.“

... über Flüchtling­e

„Es ist nicht gefährlich­er geworden durch die Flüchtling­e“, sagt Dr. Markus Veit. Flüchtling­e begingen Straftaten, die nur sie begehen können – etwa illegale Einreise oder illegalen Aufenthalt. Hier in Deutschlan­d lebten sie oft auf engem Raum zusammen, trinken vielleicht erstmals in ihrem Leben Alkohol und schlagen dann über die Stränge. Es habe hier ein paar extremere Fälle gegeben, wie die drei Vergewalti­gungen bei Babenhause­n, mutmaßlich durch denselben Eritreer, „aber das sind seltene Sachen“, sagt Veit. „Wir haben nicht an jeder Ecke einen Vergewalti­ger stehen.“Einigen Flüchtling­en fehle der Respekt vor Frauen, aber viele seien bereit, diesen schnell zu lernen, wenn man ihnen die Regeln erklärt. „Wir haben auch Deutsche, die keinerlei Respekt haben“, betont Veit. Immer häufiger komme es vor, dass junge Männer Frauen schlagen.

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Foto: home Jugendrich­ter Dr. Markus Veit hat schon viele junge Straftäter aus der Region verurteilt.

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