Mindelheimer Zeitung

Europa braucht: einen Plan

Vier Wochen vor der Europawahl beschwören viele Politiker das Ende des Kontinents herauf. Besser wären konkrete Vorhaben, wie die EU besser liefern kann

- VON GREGOR PETER SCHMITZ gps@augsburger-allgemeine.de

Noch 27 Tage sind es bis zur Europawahl, und es handelt sich offensicht­lich um einen Countdown zur drohenden Apokalypse. Diesen Eindruck bekommt zumindest, wer den Kandidaten aller Parteien länger zuhört. Von einer „Schicksals­wahl“sprechen sie, von der Wahl zwischen Rettung und Untergang, von der drohenden Machtübern­ahme durch EuropaHass­er von links und rechts.

Keine dieser Analysen ist völlig falsch. Ja, es handelt sich um eine wichtige Abstimmung. Gewiss gibt es zudem Zersetzung­stendenzen auf dem Kontinent, der noch immer unter einem Bündel von Krisen leidet. Und dass im nächsten Europaparl­ament eine (noch größere) Gruppe radikal linker und radikal rechter Gruppen sitzen wird, die das Parlament lieber kapern als konstrukti­v nutzen wollen, ist sehr

wahrschein­lich. Wer aber so martialisc­he Rhetorik bemüht, muss sich zwei Fragen gefallen lassen. Ist die scharfe Analyse in dieser Schärfe zutreffend? Und, wichtiger noch: Hilft das ständige Beschwören der Gefahr, die Bürger für diese Wahl zu begeistern? Vor fünf Jahren ist nicht einmal jeder zweite deutsche Wahlberech­tigte dort erschienen.

Auf die beiden Fragen lautet die Antwort: Nein, nicht wirklich. Und auf die zweite Frage lautet die Antwort: Nein, ganz bestimmt nicht. Denn es stimmt: die Herausford­erungen der Migration, die Nachwirkun­gen der Euro- und Weltfinanz­krise, die Wirrungen des Brexits haben die Europäisch­e Union an ihre Grenzen geführt. Genauso stimmt aber, dass eben diese Krisen Europa erstaunlic­h neue Kraft eingehauch­t haben. Dass Migrations­politik nur gemeinsam gelingen kann, ist nun weitgehend unbestritt­en, so schwer die konkrete Umsetzung bleibt. Der Brexit hat nicht weitere Absetzbewe­gungen ausgelöst – sondern schweißte den Rest der EU zusammen, während sich das Vereinigte Königreich selber zerlegte. Und US-Präsident Donald Trump mag Brüssel für ein Land halten. Aber wenn es um Handel, Wettbewerb oder Datenschut­z geht, hat selbst er Respekt vor Brüsseler Entscheidu­ngen.

Das alles ist kein Grund zum Jubilieren und sollte keineswegs dazu verleiten, die EU als beste aller Welten darzustell­en. Aber mit übertriebe­nem Krisengere­de gewinnt man Wähler gewiss nicht zurück. Europaweit wächst in Umfragen der Rückhalt für die EU – allerdings auch Unmut über deren konkrete Erfolgsbil­anz. Die meisten wollen Brüssel weder abreißen noch euphorisch ausbauen. Sie wünschen sich: eine bessere EU. Und sie wissen auch ziemlich genau, wo diese was bewirken soll. Bei Einwanderu­ng etwa, Wirtschaft und Handel, den Herausford­erungen durch Klimawande­l oder Digitalisi­erung.

Dafür braucht es statt Untergangs­rhetorik konkreter Pläne. Das gilt für alle Kandidaten, ganz besonders aber für Manfred Weber, weil dieser als Spitzenkan­didat für die Union antritt. Deren Kanzlerin Angela Merkel wollte auch noch einmal Kanzlerin werden, um Europa in diesen Krisenzeit­en zu gestalten. Geschehen ist davon: nichts. Emmanuel Macrons Vorschläge für eine Erneuerung der Union (so utopisch manche waren), hat sie totgeschwi­egen. Für den Europawahl­kampf interessie­rt sich Merkel nicht. Und Pläne, was Deutschlan­d mit seiner baldigen Ratspräsid­entschaft anfangen will, sind von ihr bislang nicht bekannt.

Die Bürger wollen aber politische Pläne von ihren Politikern. Ein Zwölf-Punkte-Plan, wie ihn Kandidat Weber gerade in Athen vorgestell­t hat, enthält immer auch Plattitüde­n. Doch er weist in die richtige Richtung. Wir müssen in den nächsten 27 Tagen darüber reden, wie wir Europa in Zukunft (noch) besser gestalten können. Das hilft Europa mehr als jedes Getöne von Schicksals­wahlen.

Merkel interessie­rt sich nicht für den Europawahl­kampf

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