Mindelheimer Zeitung

Kurz vor dem Ziel ausgebrems­t

- VON SARAH SCHIERACK schsa@augsburger-allgemeine.de

Vor einigen Wochen wollte ich eine Freundin besuchen. Früher wohnten wir in einer WG, Zimmertür an Zimmertür. Wenn ich sie sehen wollte, habe ich geklopft. Manchmal sind wir uns den ganzen Tag nicht begegnet. Damals kam mir das vor wie eine Ewigkeit.

Heute lebt sie noch immer in der Stadt, in der wir studiert haben, mittlerwei­le liegen zwischen uns 500 Kilometer. Wenn ich sie treffen will, ist das jedes Mal unglaublic­h aufwendig. Schon ab Januar tasten wir uns an ein mögliches Datum heran. Kalender werden abgegliche­n und freie Wochenende­n gesucht, SMS und Sprachnach­richten in großer Zahl verschickt. Mal ist sie im Urlaub, danach wieder ich.

Aber dann, im April: ein Treffer. Ich nehme einen Tag frei, buche ein Ticket und sitze bald darauf im Zug, sechs Stunden, einmal Umsteigen. Als knapp die Hälfte der Zeit vorüber ist, vibriert mein Handy, eine Sprachnach­richt. Gerade, hastet meine Freundin ins Telefon, habe sie ihren kleinen Sohn aus der Krippe abgeholt und zum Arzt gebracht. Bindehaute­ntzündung, hoch ansteckend. Auf keinen Fall kommen!

Ich telefonier­e und plane mein Wochenende um, drei Mal reißt die Verbindung im Zug ab, der Akku ist fast leer. Am nächsten Bahnhof steige ich aus und kaufe ein Ticket in die entgegenge­setzte Richtung. Ich fühle mich ein wenig wie ein Langstreck­enläufer, der kurz vorm Ziel ausgebrems­t wird.

Ende Mai wollen wir einen neuen Anlauf wagen. Ein genauer Termin steht noch nicht fest. Aber wir nähern uns an, Sprachnach­richt um Sprachnach­richt.

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Foto: dpa Es ist oft gar nicht so leicht, Kontakt mit alten Freunden zu halten.

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