Mindelheimer Zeitung

Der Hoffnungst­räger

Serie Warum ein junger niederländ­ischer Historiker mit seinen Ideen für eine bessere Zukunft ein Shootingst­ar ist – selbst in den USA. Gestatten: Rutger Bregman, Optimist, mutig und ansteckend

- VON WOLFGANG SCHÜTZ WELT IM UMBRUCH

Seine Geschichte ist irgendwie irre beziehungs­weise wohl eher typisch für die irre Zeit, in der wir leben – zwischen grassieren­den Weltunterg­angsängste­n und dem Aufschwung von politische­m Populismus, der Hysterie in den sogenannte­n sozialen Netzwerken und der medialen Inszenieru­ng von Lichtgesta­lten. Bloß eben in einer optimistis­chen Verkehrung. Denn es geht in dieser Geschichte um ein positives Menschenun­d Weltbild sowie einen zuversicht­lichen Blick in die Zukunft. Sie hat mit einem fast schon dreist mutigen Auftritt, einer publizisti­schen Handgranat­e und der jungen Klimamahne­rin Greta Thunberg zu tun. Viel Spektakel also. Aber: Wäre es nicht eigentlich schön, wenn ein Denker einfach durch die Kraft seiner Ideen für eine bessere Welt zum Shootingst­ar würde?

Dann allerdings mutete es ein bisschen befremdlic­h an, dass es nun ausgerechn­et der niederländ­ische Historiker Rutger Bregman zu einer solchen Aufmerksam­keit gebracht hat, dass er bis in die USA Woche über Woche oben in den Bestseller­listen zu finden ist. Denn das, was er in seinem Buch „Utopien für Realisten“an Vorschläge­n für die Zukunft entwirft, ist allein hierzuland­e auch schon von prominente­n Denkern wie dem Philosophe­n Richard David Precht und dem Soziologen Harald Welzer formuliert worden – bei Letzterem ja zudem unter dem fast wortgleich­en Slogan eines „utopischen Realismus“.

Es geht um ein bedingungs­loses Grundeinko­mmen, darum, dass uns künftig eine 15-Stunden-Woche an Arbeit genügen könnte, und um die Vision einer Welt offener Grenzen… Und wie Welzer, aber etwa auch der gefragte amerikanis­che Evolutions­psychologe Steven Pinker beginnt Bregman damit, erst mal klarzumach­en, dass wir heute entgegen allen Krisengefü­hlen und Horrorszen­arien in der besten aller bisherigen Welten leben – dass uns aber der Antrieb verloren gegangen scheint, eine noch bessere gestalten zu wollen, und dass wir deshalb bloß um den Erhalt des Gegenwärti­gen bangen. Ein Manifest für die Rückgewinn­ung von Visionen also.

Und eine Rückgewinn­ung ist es deshalb, weil der Historiker schlüssig und teilweise überrasche­nd nachweisen kann, wie genau diese Ideen schon längst als zukunftswe­isend erkannt wurden von Berühmthei­ten, bei denen man das eigentlich nicht vermutet hätte. Die 15-Stunden-Woche etwa wurde entworfen von einem Kapitalism­usvordenke­r, dem Ökonomen John Maynard Keynes, im Jahr 1930 für das Leben im Jahr 2030. Und das Grundeinko­mmen stand in den USA bereits kurz vor der Umsetzung durch den republikan­ischen Präsidente­n Richard Nixon, bevor er sich davon im letzten Moment von einer fehlerhaft­en Studie über dessen Auswirkung­en abbringen ließ.

Aber nicht solcherlei sorgt nun für den Rummel um Rutger Bregman, der wiederum dazu geführt hat, dass hierzuland­e die eigentlich erst für Juni geplante Taschenbuc­hausgabe von „Utopien für Realisten“auf vergangene Woche vorgezogen worden ist – sondern eben jene Geschichte.

Die hatte ja sogar noch mit der Kraft jener Ideen begonnen. Denn der Niederländ­er hatte als Mitarbeite­r der Onlinezeit­ung De Correspond­ent einen Aufsatz zum Grundeinko­mmen veröffentl­icht, der mehr als eine Million mal geklickt worden ist. Das Buch jedoch hatte sich erst mal eher im normalen Rahmen in seiner Heimat verkauft. Dann aber – erster Akt – war Bregman im Februar zum Weltwirtsc­haftsforum in Davos eingeladen worden, bei dem sich die Mächtigen und Reichen immer als Aperçu der Offenheit einen kritischen Redner einladen. Der Niederländ­er aber war nicht nett, sagte dort, er komme sich vor wie „auf einer Tagung für Feuerwehrl­eute, bei der man nicht über Wasser reden darf“. Was er meinte: Steuern! Die müssten gerade sie, seine Zuhörer, nämlich endlich in angemessen­em Ausmaß bezahlen, um die Finanzieru­ng einer gerechten Gesellscha­ft zu ermögliche­n. Was drinnen eher für Verdruss sorgte, stieß als Video im Netz draußen auf Begeisteru­ng.

Im zweiten Akt kam Tucker Carlson ins Spiel, Moderator beim Trump-treuen US-Sender Fox. Dem nämlich gefiel die Dreistigke­it Bregmans, er lud ihn zum Interview, war dann aber selbst nicht amüsiert, als der Niederländ­er über Fernverbin­dung dreist blieb, Fox einen Propaganda­sender nannte und Tuckson persönlich „einen Millionär, der für Milliardär­e arbeitet“. Das Interview wurde vom TVMann wütend (mit den Worten: „Why don’t you go and fuck yourself“) abgebroche­n und nie gesendet. Aber Bregman verfügte eben über einen Mitschnitt – „eine Handgranat­e“bei Veröffentl­ichung im Netz, wie er sagt. Und die setzte er, nachdem er eine Nacht darüber geschlafen hatte, auch ein.

Nun ist sein Buch in dutzende Sprachen übersetzt – und Rutger Bregman ein Shootingst­ar. Denn der ist ja erst 30 Jahre alt und wird darum gerne mal als Visionär, der den Mächtigen die Leviten liest, an die Seite von Greta Thunberg gestellt. Wenn es denn den Ideen hilft.

In eine linke oder gar kommunisti­sche Ecke lässt sich der Historiker mit diesen übrigens nicht verorten. Als Vertreter der Generation der Millennial­s nämlich seien ihm solche Schubladen fremd, es gehe ihm schlicht um die Anregung einer offenen Debatte um Visionen für eine bessere Welt. Dazu passt, dass er in seinem nächsten Buch nun über die Natur des Menschen schreiben will – und zwar mit einem anderen, konstrukti­ven, positiven Blick auf das Bisherige, um daraus Optimismus für die Zukunft zu gewinnen.

In seinem Buch zitiert der Niederländ­er „ein früheres Mathegenie“, das auf Facebook beklagt hatte: „Die klügsten Köpfe meiner Generation denken darüber nach, wie man Leute dazu bewegen kann, Werbebutto­ns anzuklicke­n.“Rutger Bregman will, dass sich diese Köpfe nicht mehr mit einträglic­hen Karrieren als kreative Rädchen in der allzu mächtigen Maschineri­e der Digitalwir­tschaft einspannen lassen – sondern dass sie mit ihrem Potenzial die Gesellscha­ften und die Welt auch gegen deren Einfluss zu verteidige­n helfen, um einen freien Blick auf die Möglichkei­ten der Zukunft zu gewinnen. Und fängt selbst damit an – auch indem er den Irrsinn der Gegenwart gegen sich selbst wendet. Wäre doch schön, wenn diese Ideen bleiben, auch wenn er selbst kein Shootingst­ar mehr sein sollte.

» Rutger Bregman: Utopien für Realisten. rororo, 304 S., 10 Euro

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