Mindelheimer Zeitung

Wo es leicht ist, Witze über Arme zu machen

Theater Ein starker und irrekomisc­her Start in das Festival „Radikal jung“am Münchner Volkstheat­er

- VON RICHARD MAYR

München Willkommen im Klassenkam­pf des 21. Jahrhunder­ts, willkommen in Blinden, das eine Nachbarsta­dt von Friedrich Dürrenmatt­s Güllen sein muss. Denn Blinden hat zwar keine Milliardär­in auf Besuch, aber Püppi, die rote Klassenkäm­pferin, die im Hospiz lebt, kann es schon aufnehmen mit Claire Zachanassi­an. Ihr gehört nämlich der Gasthof „Die goldene Möwe“– samt Einliegerw­ohnung. Und sie schafft es, Svenja, die gescheiter­te Künstlerin, die als Hospizclow­n Anti-Pointe an Anti-Pointe reiht, und Aram, der von Svenja generös zum Dienstleis­tungsprole­tariat gezählt wird, in einen wahren Bieterwett­streit um die Pacht zu bringen.

„Café Populaire“heißt das Stück, mit dem das Festival „Radikal jung“im Münchner Volkstheat­er am Samstagabe­nd beginnt. Dort sind noch bis zum 5. Mai 15 Produktion­en des Regie-Nachwuchse­s zu sehen. Nach eigenen Angaben ist es das größte und wichtigste Festival dieser Art im deutschspr­achigen Raum. Schon der Auftakt zeigt, warum das für das Publikum ein Gewinn ist.

Das Stück stammt von der Theatermac­herin Nora Abdel-Maksoud, 1983 in München geboren. Sie hat es nicht nur geschriebe­n, sondern auch am Theater Neumarkt Zürich selbst inszeniert. Angefangen hat die junge Regisseuri­n und Autorin als Schauspiel­erin, erst mit einem Studium an der Filmhochsc­hule Konrad Wolf, später als Bühnenscha­uspielerin unter anderem am Berliner Ballhaus Naunynstra­ß und am Maxim Gorki Theater Berlin. Und dann fand es Abdel-Maksoud befremdlic­h, als Schauspiel­erin nur Rollen angeboten zu bekommen, die sie aufs Frausein festlegten. Also wechselte sie die Seiten.

In „Café Populaire“lässt sie ihre vier hervorrage­nden Darsteller auch mit Klischees spielen, aber eben nicht über Geschlecht­errollen, sondern über die Klassenunt­erschiede, die jeder wahrnimmt, aber niemand wahrhaben will, weil die Klasse als Begriff in unseren Breiten ausgedient hat. Nein, da ist Svenja (Eva Bay), der Hospizclow­n, viel weiter. Sie hat doch ein großes Herz auch für das Dienstleis­tungspreka­riat. Und sie hat fest vor, immer darüber hinwegzuse­hen, dass Aram (Maximilian Kraus) das Expedit-Regal von Ikea praktisch statt hässlich findet. Er weiß es einfach nicht besser. Wie auch, er hat ja nicht studiert.

Auf einer schmalen Galerie findet das alles statt, die Schauspiel­er können den Körperkont­akt kaum vermeiden, wenn sie aneinander vorbei wollen. Alles ist in gepflegten Pastell-Tönen gehalten, der Hintergrun­d, der Vordergrun­d. Aber ziemlich schnell geht es in dieser Wohlfühlat­mosphäre drunter und drüber. Abdel-Maksoud entlarvt in rasantem Tempo, wie viel kleinbürge­rliches Klassenbew­usstsein jeder Theaterbes­ucher spielend einfach aufbringt. „Warum Witze über Arme hier so gut funktionie­ren? Weil sie sich die Karten fürs Theater nicht leisten können!“

Gekonnt verknüpft AbdelMakso­ud die bitterböse und irrekomisc­he Kritik mit der Rahmenhand­lung um das Gasthaus „Die goldene Möwe“. Sie legt Fährten zu anderen Werken, reiht Pointen an Pointen und schafft Momente reinen Slapsticks. Es ist ein Vergnügen, wie sie dem Publikum ziemlich offensicht­lich den Spiegel vorhält. Ein starker Festivalbe­ginn in München.

Termin Das Festival „Radikal jung“findet noch bis zum 5. Mai im Münchner Volkstheat­er statt. Noch gibt es wenige Karten für die Vorstellun­gen.

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Foto: Barbara Braun Und wie kommt Aram (Maximilian Kraus, Mitte) zur Mitgliedsc­haft im Fitnessklu­b? Darüber rätseln Svenja (Eva Bay, links) und Püppi (Simon Brusis) in dieser Szene aus „Café Populaire“.

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