Mindelheimer Zeitung

Wenn der schnelle Kredit zur Schuldenfa­lle wird

Ein Auto oder ein neuer Fernseher lassen sich einfach durch Konsumente­nkredite finanziere­n. Doch häufig sind die Kosten kaum absehbar und die Beratung fehlt. Mit fatalen Folgen

- Annika Krempel, dpa

Null-Prozent-Finanzieru­ng, eine Rate geschenkt oder ein Kredit, „wie für dich gemacht“– ein Darlehen erscheint in der Werbung einfach und unkomplizi­ert. Allein 2017 schlossen die Deutschen mehr als acht Millionen Verträge für Ratenkredi­te ab, zeigt der Schufa-Kredit-Kompass. Das waren 4,6 Prozent mehr Konsumente­nkredite als im Vorjahr. „Banken und Verkäufer suggeriere­n den Kunden, dass ein Darlehen überhaupt kein Problem sei“, sagt Dirk Ulbricht, Direktor des Instituts für Finanzdien­stleistung­en. „Dabei müsste so mancher Käufer bei der Kreditaufn­ahme von ihnen eigentlich gebremst werden.“Denn nicht wenige drohen, in eine Schuldenfa­lle zu geraten. Das Problem: Immer häufiger unterschre­iben Verbrauche­r einen Kreditvert­rag nicht mehr in der Kundenbera­tung ihrer Bank, sondern im Verkaufsra­um eines Elektronik­händlers, Möbelhause­s oder Autohändle­rs. „Viele Verkäufer, aber auch Banken beraten nicht oder nicht genug beim Kreditabsc­hluss“, sagt Ulbricht. „Sie müssten eigentlich verantwort­ungsvoll prüfen, ob sich der Kunde die Finanzieru­ng auch langfristi­g leisten kann. Stattdesse­n verkaufen sie ihre Waren und sind an der Kreditbera­tung nicht interessie­rt.“14 Prozent aller Kredite sind laut einer Untersuchu­ng des Marktwächt­ers Finanzen der Verbrauche­rzentralen eine Null-ProzentFin­anzierung, acht Prozent sind an den Kauf einer bestimmten Ware gekoppelt – etwa Möbel oder Unterhaltu­ngselektro­nik – und 20 Prozent finanziere­n einen Autokauf. Die Überschuld­ungsgefahr steige dadurch enorm, resümiert der Experte. Beim Autokauf etwa konzentrie­rten sich die Kunden auf ihr neues Auto, statt die Finanzieru­ng durchzurec­hnen, erzählt Ulbricht. Gerne bieten Autohändle­r beispielsw­eise eine Ballonfina­nzierung an. Sie verspricht günstigere Raten als ein üblicher Kredit. Am Ende der Laufzeit steht aber noch eine Restschuld aus, die der Kunde auf einen Schlag tilgen muss. Autohäuser böten es auch gerne an, dass sie den Kunden den Wagen später wieder abkaufen. Die ganzen Risiken in der Zwischenze­it – etwa ein Unfall oder der Wertverlus­t durch die Nutzung des Autos – sprechen sie aber manchmal nicht an, kritisiert Ulbricht. Ein weiteres Problem bei der Kreditverg­abe ist, dass nicht selten unvorherge­sehene Kosten durch zusätzlich­e Verträge entstehen. Andrea Heyer, Finanzexpe­rtin der Verbrauche­rzentrale Sachsen, kennt Fälle, bei denen gleichzeit­ig eine Unfall- oder Lebensvers­icherung, ein Bausparver­trag oder eine Kreditkart­e mitverkauf­t wurden. Typisch ist aber vor allem der gleichzeit­ige Abschluss einer teuren Restschuld­versicheru­ng, die den Kredit tilgen soll, wenn der Schuldner etwa durch Krankheit die Raten nicht mehr bezahlen kann. Das Problem: Die Prämie der Versicheru­ng wird regelmäßig zusätzlich zur Darlehenss­umme finanziert. Doch die Bank muss diese Kosten nicht in den Effektivzi­ns einrechnen, wenn sie nachweisen kann, dass der Abschluss freiwillig war. Für Verbrauche­r ist es umso schwierige­r, die tatsächlic­hen Kosten, die auf sie zukommen, zu erkennen. Für die Bank ist das ein gutes Geschäft. Sie verdient an der Versicheru­ng, gleichzeit­ig sinkt ihr Risiko, dass der Kredit nicht zurückgeza­hlt wird. Derzeit beobachtet Heyer, dass Angebote an Klein- und Kurzzeitkr­editen zunehmen. „Das sind zum Beispiel Kredite für 30 bis 61 Tage oder über 199 bis 1500 Euro. Für die Zinsen fallen da nur ein paar Euro an. Aber zusätzlich­e Service-Gebühren, etwa für eine schnelle Auszahlung, führen zu Wucher.“Sie kennt Fälle, in denen der effektive Jahreszins rechnerisc­h über 1000 Prozent liegt. „Sobald Verbrauche­r einmal eine erste Finanzieru­ng abgeschlos­sen haben, sinkt die mentale Hürde, für ein weiteres oder höheres Darlehen zur Bank zu gehen“, sagt Heyer. So manche Bank spricht ihre Kunden außerdem regelmäßig aktiv an und überzeugt sie, den Kredit umzuschuld­en und aufzustock­en. Gleichzeit­ig verkauft sie bei solchen Kettenkred­iten erneut eine teure Restschuld­versicheru­ng. Gerade Darlehen oder Null-Prozent-Finanzieru­ngen sind durch solche Praktiken oft ein Einstieg in die Schuldensp­irale, sagt Ulbricht. Laut dem Überschuld­ungsreport des Instituts für Finanzdien­stleistung­en hatten 2017 37 Prozent der überschuld­eten Verbrauche­r weniger als 10000 Euro Kredit abzuzahlen. Die typische Schuldenhö­he liegt der Studie zufolge bei etwa 15000 Euro. „Oft stellen die Kreditnehm­er viel zu spät fest, dass sie zu viele Schulden aufgenomme­n haben“, sagt Ulbricht. Damit das nicht passiert, empfiehlt er: „Wer ein Darlehen haben möchte, muss vorher selbst durchrechn­en, welche Raten und welche Kreditsumm­e er sich leisten kann. Denn der Berater wird es nicht tun.“Dazu gehört auch, darüber nachzudenk­en, ob sich in Zukunft an der finanziell­en Situation etwas ändern kann, etwa durch die Geburt eines Kindes oder einen Pflegefall in der Familie. Jeder sollte außerdem einen Notgrosche­n in Höhe von zwei bis drei Gehältern angespart haben.

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Foto: Franziska Gabbert, dpa Null-Prozent-Finanzieru­ngen sind verlockend. Es ist jedoch etwas Vorsicht geboten.

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