Mindelheimer Zeitung

Warum uns die Forschung noch viel mehr wert sein muss Leitartike­l

Bund und Länder streiten mal wieder ums Geld. Dabei hängt vom wissenscha­ftlichen Fortschrit­t der Wohlstand unseres Landes ab

- VON CHRISTIAN GRIMM gch@augsburger-allgemeine.de

Wird die Regierung ihrem eigenen Anspruch gerecht?

Der gewaltige Fortschrit­t in Wissenscha­ft und Technik, der sich schon heute mit Macht ankündigt, wird das Leben so drastisch und rasant ändern wie zuletzt die Erfindung von Dampfmasch­ine und Eisenbahn. Selbstfahr­ende Autos, Hubschraub­ertaxis, Fabriken ohne Arbeiter, Telemedizi­n und mitfühlend­e Roboter – all diese Entwicklun­gen stehen vor der Tür. Deutschlan­d als eines der reichsten Länder der Erde darf diese Neuerungen und Innovation­en nicht bloß von außerhalb importiere­n, sondern muss sie selbst entwickeln und an andere Länder verkaufen.

Bisher lebt die deutsche Wirtschaft davon, der Welt unsere Autos zu liefern und die Fabriken in aller Herren Länder mit Maschinen auszustatt­en. Dass dies so bleibt, ist aber mitnichten garantiert. Des

halb wird die Bundesrepu­blik künftig deutlich mehr Geld in kluge Köpfe, die Hochschule­n und Forschungs­verbünde stecken müssen. Gerade in den Bereichen künstliche Intelligen­z und Digitalisi­erung, die auf der Verarbeitu­ng von Daten aufbauen, gehört Deutschlan­d allerdings nicht zur ersten Garde.

Trotzdem ist die Ausgangsla­ge keineswegs schlecht. Staat und Unternehme­n haben im Jahr 2017 für Forschung und Entwicklun­g 100 Milliarden Euro ausgegeben. Das entspricht drei Prozent der Wirtschaft­sleistung. Dabei entfällt rund ein Drittel auf die öffentlich­e Hand, zwei Drittel übernimmt die Wirtschaft. Im internatio­nalen Vergleich reicht das für die Spitzengru­ppe. Nach den Daten der Organisati­on für wirtschaft­liche Zusammenar­beit und Entwicklun­g (OECD) liegen Israel und Südkorea vorn, die jeweils über vier Prozent der Wirtschaft­sleistung dafür einsetzen. Als Ziel hat Deutschlan­d immerhin die Marke von 3,5 Prozent ausgerufen. Anspruch und Wirklichke­it trennen derzeit 15 Milliarden Euro. Die Politik hat es in der Hand, dem Anspruch rasch gerecht zu werden.

Das Gesetz zur steuerlich­en Förderung von Forschung und Entwicklun­g soll nun nach langem Hin und Her diesen Monat vom Kabinett beschlosse­n werden. Unternehme­n können dann pro Jahr bis zu eine halbe Million Euro an Forschungs­zulage bekommen. Kontraprod­uktiv ist allerdings die von Bundesfina­nzminister Olaf Scholz (SPD) geplante Kürzung des Etats der Forschungs­ministerin Anja Karliczek (CDU) um eine halbe Milliarde im nächsten Jahr. Dieses Linke-Tasche-rechte-Tasche-Spiel würde ein verwirrend­es Signal an Wissenscha­ftler in der Privatwirt­schaft, an Instituten und Hochschule­n senden. Bund und Länder werden in Zukunft noch mehr leisten müssen, damit Deutschlan­d seinen Rang unter den Nationen behaupten kann. Das liegt an der hiesigen Schwäche, jungen Unternehme­n genügend Risikokapi­tal zur Verfügung zu stellen, damit sie an vielverspr­echenden Ideen arbeiten können. Die USA sind uns dabei meilenweit voraus. Europa wiederum ist noch zu zersplitte­rt, um als Ganzes zu wirken und die nötigen Summen zu stemmen. Durch den Aufstieg Chinas ist der traditione­ll führenden westlichen Wissenscha­ft ein starker Konkurrent erwachsen. Das erklärte Ziel der Staatsführ­ung in Peking ist es, dass das Reich der Mitte die bestimmend­e Macht bei Erfindung und technische­m Fortschrit­t wird.

Die Steigerung­en bei den Ausgaben für Wissenscha­ft und Forschung in den vergangene­n zehn Jahren in Deutschlan­d waren ordentlich. Im Jahr 2009 wurden noch rund 30 Milliarden Euro weniger ausgegeben als zuletzt. Wird sich der Wandel derart beschleuni­gen, wie es alle Experten und auch die Bundesregi­erung erwarten, müssen die Aufwendung­en aber mit dem Tempo mithalten. Der Wohlstand des Landes hängt davon ab.

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