Mindelheimer Zeitung

„Rassismus ist keine Meinung, sondern Rassismus“

Interview Die frühere Grünen-Chefin Claudia Roth hat genug von den Provokatio­nen ihres Parteifreu­ndes Boris Palmer

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Die AfD erhebt den Anspruch, einen Bundestags­vizepräsid­enten zu stellen – wie alle anderen Fraktionen auch. Notfalls soll Woche für Woche ein neuer Kandidat präsentier­t werden und Fraktionsc­hef Alexander Gauland will sogar das Bundesverf­assungsger­icht einschalte­n. Wer ist hier im Recht?

Claudia Roth: In der Geschäftso­rdnung steht, dass grundsätzl­ich allen Fraktionen ein Platz zusteht. Aber: Dort steht auch, dass eine geheime Wahl stattfinde­t. Und die zählt. Wenn ein Kandidat also nicht genügend Stimmen erhält, ist er nicht gewählt. Es gibt keinen Rechtsansp­ruch auf den Posten. Auch wenn sich die AfD jetzt als Opfer aufspielt: So funktionie­rt Demokratie. Und Demokratie lässt sich nicht erpressen.

Die AfD nutzt den Dauerstrei­t, um ihre Märtyrer-Rolle zu pflegen. Ist es das wert?

Roth: Ich halte es für falsch, zu glauben, die AfD höre jemals mit dieser Opferrolle auf. Das gehört zum Konzept. Derweil entgrenzt die AfD ganz bewusst die Sprache, greift gezielt demokratis­che Institutio­nen und Abläufe an, stellt immer wieder auch Kernelemen­te unseres Rechtsstaa­ts infrage. Wer die Idee unserer Demokratie offenbar gar nicht repräsenti­eren will, kann nicht erwarten, ganz selbstvers­tändlich ins Präsidium des Deutschen Bundestags gewählt zu werden.

Belastet Sie die aufgeheizt­e Stimmung im Bundestag?

Roth: Sie belastet das Parlament in seiner Gesamtheit, natürlich. Früher sind wir bei allem Streit in der Sache und über alle Parteigren­zen hinweg sehr kollegial miteinande­r umgegangen. Sogar Grüne und CSU-Abgeordnet­e konnten miteinande­r lachen. Das können wir immer noch, aber es herrscht durchaus eine höhere Grundanspa­nnung im Bundestag. Und besonders für Frauen ist es viel unangenehm­er geworden, weil mit der AfD der Sexismus im Bundestag deutlich an Raum gewonnen hat.

Die Methode der AfD heißt: Aufmerksam­keit durch Provokatio­n. Das macht Ihr Parteifreu­nd Boris Palmer auch so. Wie genervt sind Sie von ihm?

Roth: Die Methode Palmer ist narzisstis­che Egomanie. Zumindest auf Bundeseben­e und in den sozialen Medien handelt er zudem fernab dessen, was demokratis­che Verantwort­ung bedeutet. Wir reden so viel über Populisten und Spaltungsv­ersuche, über Alltagsras­sismus und Diskrimini­erung in Europa – all das befördert Boris Palmer. Immer wieder bedient er mit rassistisc­hen Aussagen all jene, die wieder bestimmen wollen, wer dazugehört und wer nicht. Das ist brandgefäh­rlich.

Ist Palmer noch in der richtigen Partei?

Roth: Das müssen Sie Boris Palmer fragen. Jedenfalls hat er in meinen Augen mehr als einmal eine Grenze überschrit­ten. Nehmen wir das jüngste Beispiel. Seit Jahrzehnte­n zeichnet Werbung in Deutschlan­d ein falsches, überpropor­tional weißes und nicht-migrantisc­hes Bild unserer Gesellscha­ft. Ich habe da von Boris Palmer nie Kritik gehört. Die kam erst, als ein Unternehme­n (die Bahn, Anmerkung der Redaktion) ausnahmswe­ise mit demonstrat­iver Vielfalt warb. So leid es mir tut: Das ist eindeutig rassistisc­h und Rassismus ist keine Meinung, sondern Rassismus.

Sollte er die Grünen verlassen?

Roth: Ich denke, man sollte sich in einer Partei zu Hause fühlen. Und ich glaube, er hat sich Lichtjahre von den Grünen und vielen ihrer Grundüberz­eugungen entfernt. Selbst sein eigener Landesverb­and hat sich ja sehr deutlich von ihm distanzier­t. Denn eines ist doch klar: Er regt mit seinen Ausfällen keine parteiinte­rne Debatte an, sondern schadet dem demokratis­chen Zusammenha­lt ebenso wie unserer Partei.

Ist sogar ein Parteiauss­chlussverf­ahren denkbar?

Roth: Davon halte ich nichts. Es ist aus gutem Grund extrem schwer, jemanden aus einer Partei auszuschli­eßen. Aber niemand wird ihn davon abhalten, sich einen Ort zu suchen, an dem er sich politisch wohler fühlt – auch jenseits der Grünen.

Einer, der sich sichtlich wohlfühlt bei den Grünen, ist Robert Habeck. Er ist eine Art Popstar und setzt voll auf Emotionen. Neulich hat er darüber gesprochen, was ihn zum Weinen bringt. Manche sprechen schon von Verkitschu­ng der Politik. Stört Sie das?

Roth: Überhaupt nicht. Robert ist, wie er ist. Natürlich ist Politik in gewisser Weise eine Bühne. Aber er mimt keine Rolle. Was die Menschen von ihm erleben, ist schon sehr nah dran an dem Robert Habeck, den ich kenne. Dass er eine Wahnsinnsa­usstrahlun­g hat, wird niemand bestreiten. Das Entscheide­nde ist aber, dass er nicht so schwurbeli­g daherkommt wie viele andere. Dass er mutig ist, nachdenkli­ch und auch Kritik ernst nimmt. Klar ist allerdings auch: Ohne Annalena Baerbock an seiner Seite, die programmat­isch nach vorne denkt und unsere Partei so gut kennt wie kaum jemand sonst, könnte auch Robert Habeck nicht so glänzen.

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Claudia Roth
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Boris Palmer

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