Der Minimalismus der Möbeldesigner sucht neue Grenzen
Trends Stilvolle Radikal-Diät auf dürren Beinen: Warum die Kreativen das Material an vielen Möbeln so weit wie möglich reduzieren
Es klingt ein wenig wie eine Klage, wenn man Philippe Starck so zuhört: „Ich bin ein Arbeiter, ich bin ehrlich, das wisst ihr“, sagt der Stardesigner. „Wenn ich mir nach all den Jahren meine Sachen ansehe, und auch das, was andere machen, dann habe ich das seltsame Gefühl, es ist immer das Gleiche“, urteilt Starck. „Mal machen wir schwarze Stühle, mal machen wir rote Stühle.“Wo bleibe denn da das Wunder?
Philipp Starck spricht damit einen Eindruck aus, der sich in den vergangenen Jahren aufdrängt, wenn man auf die Kollektionen der Möbelhersteller blickt: Wo ist das wirklich Neue? Denn gerade sehen viele neue Stühle eben aus wie Stühle in ihrer einfachsten Form – keine sichtbaren Extras, kein Chichi. Und noch mehr: So weit wie möglich wird das Material an vielen Möbeln Jahr für Jahr reduziert. Jetzt stehen Sofas, Sessel und Betten auf dünnen, sogar dürren Beinen. Regale setzen sich aus hauchdünnen Platten zusammen. Und sogar wenn Sofas noch Rundungen gegönnt werden, fehlen schon mal die Armlehnen, auf denen sich auch mal der Kopf ablegen ließe. Der Designer Naoto Fukasawa, der sich sowieso der Einfachheit von Produkten widmet, verschmälert die Taille des eleganten Longchairs Land für Plank so weit, dass man sich unweigerlich fragt: Fehlt da nicht etwas?
Und genauso geht es bei vielen anderen Produkten, bei denen man sich beim ersten Anblick unweigerlich fragt: Ist das bequem? Oder gar: Ist das stabil? Die Unternehmen gehen bei ihren Präsentationen diese Fragen an, denn genau das ist das Neue: Sie setzen ihre Möbel bewusst auf Radikaldiät, bieten dabei aber großen Komfort und Praktikabilität. Der Reiz daran: Das Minimalistische sieht stilvoll und schick aus.
Und so macht es dann doch neugierig, was die Umsetzung des Designs angeht. Denn dahinter steckt nicht einfach nur der Bau zum Beispiel eines Tisches in seiner einfachsten Form – also aus einer Platte und vier Füßen. Die Kreativ- und Fertigungsprozesse sind aufwendig. Und in manchen Möbeln steckt mehr als auf den ersten Blick ersichtlich. Weit mehr. Zum Beispiel im hauchdünnen Tisch Fila von Konstantin Grcic für Plank, der auf geradezu dürren Beinen stehen kann, ist es ein Rahmen mit vier massiven Aluminium-Winkeln. Sie verbinden die Beine und Traversen miteinander und sorgen so für Stabilität. Damit das nicht auffällt und die Elemente scheinbar keine Nähte haben, sind die Winkelverbinder akkurat gefräst statt gegossen.
Für die italienische Möbelmarke Moroso hat Stardesignerin Patricia Urquiola übertragen gesprochen mit Steinen gespielt – die man vorsichtig ausbalanciert stapeln kann. Herausgekommen ist das Sofa Gogan, das in grauer Farbe auch an die Steinskulptur erinnert. Da die Sitzfläche am Schwerpunkt leicht nach hinten geneigt ist, soll sich der Komfort beim Sitzen erhöhen.
Beim Bett namens Friday Night für Zeitraum hat das Designduo Formstelle zu einem anderen Kniff gegriffen: Die Rückenlehne geht auf halbem Weg in eine Biegung über und wird unten zugleich zu den schlanken Hinterfüßen des Bettes. Das verschlankt die Seite optisch. Außerdem sind die vorderen Füße etwas nach hinten versetzt, wodurch das Bett je nach Blickwinkel wirkt, als würde es schweben.
Auch Stardesigner Philippe Starck setzt für den italienischen Möbelproduzenten Kartell auf eine verschlankte Produktentwicklung. Dafür hat er sogar mal kurz seine Rolle als Designer abgegeben. Auf seine Anregung hin erhielt eine künstliche Intelligenz den Auftrag, einen Stuhl zu formen, der mit so wenig Material wie möglich auskommt. Dabei soll er aber komfortabel, stabil und solide sein sowie ästhetische Grundvoraussetzungen erfüllen.
Kooperationspartner dabei ist Autodesk, ein US-Unternehmen für 3D-Software. „A.I.“ist das Ergebnis – ein Stuhl, der nur zwei übliche gerade Beine vorne hat. Hinten gehen die schrägen Beine bis hoch zur Lehne. Kartell spricht davon, dass dies das „das erste durch künstliche Intelligenz konzipierte Designobjekt“sei.
Keine sichtbaren Extras, kein Chichi, nicht mal Sofalehnen