Mindelheimer Zeitung

Kevin allein zu Haus? Von wegen!

Hintergrun­d Mit seinen linken Thesen versetzt Juso-Chef Kühnert die SPD in Aufregung und löst Schnappatm­ung bei der Konkurrenz aus. Dabei ist es sein Job, radikale Thesen zu vertreten

- VON MICHAEL STIFTER UND TILL HOFMANN

Augsburg Wenn man sich selbst nicht ganz sicher ist, welche Partei am besten zu einem passt, kann der Wahl-O-Mat helfen. Einfach einen digitalen Fragebogen zu aktuellen politische­n Streitfrag­en ausfüllen und schon spuckt der Computer aus, mit welcher Partei man die größte Übereinsti­mmung hat. Als wir Kevin Kühnert vor der Landtagswa­hl im vergangene­n Herbst in Günzburg trafen, haben wir diesen Test mit ihm gemacht. Eher zum Spaß, zugegebene­rmaßen. Denn was sollte beim Chef der SPD-Jugend auch anderes herauskomm­en als die SPD? Nun ja. Ganz vorne landete die Linke mit über 88 Prozent Deckungsgl­eichheit. Die SPD folgte mit knapp 79 Prozent erst auf dem dritten Platz, noch hinter den Grünen. Ist Kühnert also vielleicht einfach nur in der falschen Partei?

Diese Frage stellen sich selbst einige seiner Genossen, seit Kühnert in einem Interview mit der Zeit die „Kollektivi­erung“von Unternehme­n wie BMW gefordert hat. „Was für ein grober Unfug. Was hat der geraucht? Legal kann es nicht gewesen sein“, kommentier­t der streitlust­ige Parteifreu­nd Johannes Kahrs. Andere äußern sich zurückhalt­ender, meinen aber ungefähr das Gleiche. Und die politische Konkurrenz schnappatm­et ohnehin. „Das kann ich alles gar nicht ernst nehmen“, sagt zum Beispiel Andreas Scheuer von der CSU, um sich dann doch recht ernsthaft über das „verschrobe­ne Retro-Weltbild eines verirrten Fantasten“zu echauffier­en. Und Bayerns Ministerpr­äsident Markus Söder fordert – sicher ist sicher – vom sozialdemo­kratischen Bundesfina­nzminister ein Signal, „dass die SPD nicht sozialisti­sch denkt“. Aber was bedeutet „sozialisti­sch“überhaupt?

Fakt ist: Schon 1959, also vier Jahrzehnte vor Kühnerts Geburt, hat sich die SPD mit ihrem Godesberge­r Programm von Begriffen wie Klassenkam­pf oder Planwirtsc­haft verabschie­det. Im aktuellen Grundsatzp­rogramm ist eine Vergesells­chaftung von Betrieben kein Thema. Die Parteijuge­nd mit ihren gut 70 000 Mitglieder­n steht allerdings traditione­ll weiter links – nicht umsonst haben die „Jungsozial­isten“ihren Namen bis heute behalten. Sie selbst bezeichnen sich als „sozialisti­schen, feministis­chen und internatio­nalistisch­en Richtungsv­erband“. Insofern kann keine Rede sein von „Kevin allein zu Haus“. Kühnert vertritt innerhalb der Jusos keine irre Einzelmein­ung, wenn er die Kollektivi­erung von Unternehme­n „auf demokratis­chem Wege“für richtig hält.

In der SPD selbst liegen die Dinge allerdings ein bisschen anders. Kühnerts Forderung, die Verteilung der Profite müsse „demokratis­ch kontrollie­rt werden“, würden noch viele Genossen unterschre­iben. Dass er den „kapitalist­ischen Eigentümer­n“ ihre Betriebe wegnehmen will, geht dann aber doch den meisten zu weit. Kaum einer in der SPD wird widersprec­hen, wenn der 29-Jährige gegen den Mietwahnsi­nn in deutschen Städten Front macht. Aber sein Vorschlag, jeder solle „maximal den Wohnraum besitzen, in dem er selbst wohnt“, löst bei den meisten Parteifreu­nden Kopfschütt­eln aus. „Er spricht über eine gesellscha­ftliche Utopie“, versucht SPD-Generalsek­retär Lars Klingbeil zu retten, was zu retten ist.

Nun gehört es zum Kerngeschä­ft eines Juso-Chefs, radikale Thesen zu vertreten. Auch die meisten von Kühnerts Vorgängern, zu denen die heutige SPD-Vorsitzend­e Andrea Nahles und Altkanzler Gerhard Schröder gehören, werden heute nicht mehr so gerne auf alle Positionen angesproch­en, die sie während ihrer Zeit an der Juso-Spitze für unverhande­lbar hielten. Dass der Aufschrei nun besonders laut ist, hängt aber damit zusammen, dass Kühnert schon länger versucht, die SPD neu zu erfinden – und sie damit vor sich hertreibt. Die von ihm initiierte #NoGroKo-Kampagne gegen die Neuauflage der Großen Koalition zum Beispiel brachte die Partei an den Rande des Nervenzusa­mmenbruchs. Und der gebürtige Berliner ist eben nicht nur Anführer der jungen Wilden und häufiger Gast in Talkshows. Gemeinsam mit SPDVize Manuela Schwesig entwickelt er gerade auch ein Konzept, wie sich die Partei den Sozialstaa­t der Zukunft vorstellt. Es geht also durchaus ums Grundsätzl­iche.

Kühnert ist fest überzeugt davon, dass die SPD ihren Absturz nur dann stoppen kann, wenn sie sich ganz klar von der Union abgrenzt. Mit anderen Worten: Die Sozialdemo­kraten sollen ihre neue Mitte links finden. Bleiben nur zwei Fragen: Wie links darf es denn sein? Und ist der Juso-Chef tatsächlic­h in der richtigen Partei?

Schon lange treibt Kühnert die SPD vor sich her

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Foto: Gerhard Leber, Imago Images Kevin Kühnert will die SPD neu erfinden. Nicht allen Genossen gefällt das.

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