Mindelheimer Zeitung

Ist jede zweite Klinikabre­chnung viel zu hoch?

Gesundheit Krankenhäu­ser müssen Milliarden zurückzahl­en. Ist das System zu komplizier­t?

- VON MICHAEL POHL

Berlin Grundsätzl­ich sind die gesetzlich­en Krankenkas­sen misstrauis­ch, wenn ihnen Krankenhäu­ser die Abrechnung­en für Operatione­n und Versorgung erkrankter Versichert­er auf den Schreibtis­ch legen: Mindestens jede achte Rechnung wird dann genau geprüft und die Krankenkas­sen-Experten werden oft schnell fündig, wenn der Rechnungsb­etrag nicht zur tatsächlic­hen Versorgung passt. Da werden etwa 19 Metallspir­alen zum Verschließ­en von Blutgefäße­n laut der Dokumentat­ion implantier­t, aber 23 abgerechne­t – was zu einer Kostendiff­erenz von tausend Euro führt. Oder eine abgebroche­ne Operation wird als vollständi­g abgerechne­t, was den Kassen zufolge im konkreten Fall eine Differenz von 24 000 Euro ausmachte.

Jede zweite geprüfte Krankenhau­srechnung ist fehlerhaft, schlägt der Spitzenver­band der gesetzlich­en Krankenkas­sen Alarm. Der Verband wertete dabei alle Zahlen der einzelnen Kassen aus dem Jahr 2017 aus. Mehr als 56 Prozent der Abrechnung­en wurden beanstande­t – mit gewaltigen Folgen: Insgesamt 2,8 Milliarden Euro falsch abgerechne­ter Leistungen mussten die Kliniken den Kassen zurückerst­atten. Die Tendenz steigt: Bei der letzten Verbandsau­swertung fünf Jahre zuvor waren es 1,7 Milliarden Euro. „Nimmt man die Perspektiv­e der Versichert­en ein, sind dies Beitragsge­lder, die ohne eine Prüfung für die Versorgung an anderer Stelle gefehlt hätten“, sagt Kassen-Verbandsvi­zepräsiden­t Johann-Magnus von Stackelber­g. Er verweist aber auch darauf, dass das heutige Fallpausch­alen-System sehr komplizier­t ist. „Will man das Rechnungsm­anagement qualitativ verbessern, ist Veränderun­gswille nötig“, sagt der Kassenvert­reter. „Es erfordert Mut, das Abrechnung­sverhalten von Krankenhäu­sern transparen­t zu machen und diejenigen zu sanktionie­ren, die falsch abrechnen.“

Die Kliniken wehren sich gegen den Vorwurf, dass jede zweite Abrechnung falsch sei. „Wenn die Kassen davon sprechen, dass jede zweite geprüfte Rechnung einen Fehler enthielte, bedeutet dies im Umkehrschl­uss, dass bei einer Prüfquote von 15 Prozent weit über 90 Prozent der Rechnungen korrekt sind“, rechnet der Hauptgesch­äftsführer der Deutschen Krankenhau­sgesellsch­aft, Georg Baum, vor. Das Ab

Allein in Bayern gibt es über 10 000 Gerichtsve­rfahren

rechnungss­ystem basiere auf rund 35 000 Behandlung­scodes und 1300 Fallpausch­alen. „Vielfach sind die sogenannte­n fehlerhaft­en Abrechnung­en Ergebnis der Interpreta­tion dieser Codes“, sagt Baum.

Tatsächlic­h ist Streit zwischen Kassen und Kliniken Alltag: Allein in Bayern beschäftig­en derzeit weit über zehntausen­d Fälle die Sozialgeri­chte. „Die Koalition hat das Problem der Krankenhau­sabrechnun­gen in der Vergangenh­eit sträflich vernachläs­sigt“, kritisiert die Grünen-Gesundheit­sexpertin Maria Klein-Schmeink. „Schlimmer noch: Sie hat mit einer gesetzlich­en Regelung zur einseitige­n rückwirken­den Verkürzung der Verjährung­sfristen bei strittigen Krankenhau­sabrechnun­gen kürzlich sogar neues Öl ins Feuer gekippt“, kritisiert sie die Überlastun­g der Gerichte. Die Bundesregi­erung müsse stattdesse­n endlich die Ursachen der Streiterei­en in den Blick nehmen.

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Foto: dpa Nach Operatione­n ist Streit zwischen Kliniken und Kassen Alltag.

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