Mindelheimer Zeitung

„Ich muss nicht über Trump schreiben“

Interview Der 3. Mai ist der Tag der Pressefrei­heit. Reporterle­gende Seymour Hersh über goldene Journalist­enzeiten, die Fehler amerikanis­cher Medien und einen Präsidente­n, für dessen Politik er zunächst durchaus Sympathien hatte

- Interview: Karl Doemens

Seymour Hersh ist irritiert. Sein Stammplatz im Frühstücks­raum des Tabard Inn im Herzen Washington­s ist abgesperrt. „Was ist hier los?“, will der 81-Jährige wissen. „Hier wird geputzt. Aber wir haben für Sie einen ruhigen Tisch im ersten Stock“, antwortet die Empfangsda­me. Die Auskunft befriedigt den Gast erkennbar nicht. „Was soll das heißen? Putzen? Ich habe noch nie erlebt, dass deswegen hier geschlosse­n ist.“Widerstreb­end lässt sich Hersh die Treppe hinaufführ­en.

Der Mann ist skeptisch von Beruf. Er hat das Massaker von My Lai im Vietnam-Krieg, den CIA-Abhörskand­al unter Ex-Präsident Richard Nixon und die Folterunge­n durch US-Soldaten in Bagdads Zentralgef­ängnis Abu Ghraib aufgedeckt. Er ist eine Reporterle­gende. Und er gräbt immer noch. In seinem Büro, keine 1000 Schritte vom Weißen Haus entfernt, stapeln sich Bücher, Akten und Dokumente. Von dort ist der Pulitzer-Preisträge­r zum Hotel herüberspa­ziert.

Herr Hersh, haben Sie heute Morgen schon Zeitung gelesen?

Hersh: Ich habe mir die Titelseite­n angesehen, die Washington Post

überflogen und die New York Times

fürs Büro eingesteck­t. Das ist alles so verrücktes Zeug…

Sie meinen die Debatte über den Bericht von Sonderermi­ttler Robert Mueller, der keine Verschwöru­ng der Trump-Kampagne mit den Russen festgestel­lt hat?

Hersh: Ich habe das seit zwei Jahren gesagt. Ich verstehe, dass man Trump hasst. Er ist furchtbar. Aber Absprachen mit den Russen? Das heißt, dass man Schritt A macht, um B zu erreichen. Dazu ist er gar nicht in der Lage. Er macht Schritt A. Das verschafft ihm sofortige Genugtuung. Es gab keine Verschwöru­ng. Und ich sage Ihnen etwas: Die Geschichte­n über die Russen, die Hillary Clintons E-Mails gehackt haben sollen, sind genauso verrückt.

Aber der amerikanis­che Geheimdien­st hat sie bestätigt.

Hersh: Der Geheimdien­st? Es gibt 17 verschiede­ne Geheimdien­stbehörden. Drei haben gesagt, dass es wahrschein­lich so war. Haben Sie „Casablanca“mit Humphrey Bogart gesehen? Genauso war das: Die Demokraten haben die Wahl verloren. Dann wurden die üblichen Verdächtig­en dafür verantwort­lich gemacht: Russland. Ich sage nicht, dass sie es nicht waren. Aber um E-Mails zu hacken, bedurfte es nicht des russischen Geheimdien­stes. Das könnten meine Kinder. Das Ganze ist ein Debakel für die amerikanis­che Presse.

Trotzdem lesen Sie jeden Tag Zeitung. Hersh: Ja. Einerseits ist Trump das Beste, was der Zeitungsbr­anche passieren konnte. Leute, die Trump nicht mögen, lesen. Deswegen ist es für die New York Times rational, gegen Trump zu sein. Aber ich würde immer argumentie­ren, dass sie es nicht auf die richtige Weise machen. Sie sollten sich mehr auf das konzentrie­ren, was in der Regierung passiert: Da werden überall gute Leute durch schlechte ersetzt. Es gibt Programme, um arme Menschen mit Lebensmitt­eln zu unterstütz­en und Landwirten mit Subvention­en zu helfen. Die dafür Verantwort­lichen sind durch Personen ersetzt worden, die keine Ahnung haben. Auf diese Geschichte­n sollten sich die Medien stürzen statt auf Trumps Tweets.

Sind Sie selbst

Twitter aktiv?

Hersh: Nein. Meine Kinder machen das. Das kostet viel zu viel Zeit. Ich rate Ihnen: Sparen Sie Ihre Energie für etwas anderes auf.

bei

Als Sie Ihre Karriere vor mehr als 50 Jahren in Chicago begannen, gab es da vier Lokalzeitu­ngen, darunter die renommiert­e Chicago Tribune. Heute befinden sich im berühmten TribuneTow­er teure Luxus-Appartemen­ts, und die Zeitung druckt vor allem Agenturmat­erial. Was ist passiert? Hersh: Kein Geld, keine Anzeigen, keine Auflage. Sie berichten nicht mehr über die Stadt, wie sie es früher getan haben. Und das Internet hat ihnen die wichtigste Einnahmequ­elle genommen: Werbung. Viele Städte in Amerika haben keine vernünftig­e Zeitung mehr. Das ist ein großer Verlust. Es gibt die New York Times, die gerade an Auflage gewinnt. Die Linksliber­alen in New York, Kalifornie­n oder Chicago wollen über Trump lesen und zahlen dafür. Aber das ist nicht dasselbe.

Sie haben noch das goldene Zeitalter des Printjourn­alismus erlebt. Nach Ihrer Erstanstel­lung bei der New York Times im Jahr 1972 wurden Sie sogar mit Hemden vom teuren Herrenauss­tatter Brooks Brothers ausgestatt­et. Hersh: Na ja, das ging vom neuen Bürochef Clifton Daniel aus, der immer sehr gut angezogen war. Clifton kam irgendwann mit einem Paket voller Hemden, Hosen und Pullover von Brooks und sagte: „Kleiden Sie sich besser!“Ich glaube, das hat er aus der eigenen Tasche bezahlt.

Aber bei Ihrem ersten Auslandsei­nsatz für die Zeitung durften Sie in Paris standesgem­äß übernachte­n.

Hersh: Ja, im Fünf-Sterne-Hotel de Crillon. Man konnte sich da einiges erlauben. Auch vorher schon beim Magazin New Yorker. Die hatten damals 200 bis 250 Seiten in der Woche und mussten Anzeigen ablehnen. Stellen Sie sich das vor: Man konnte im Heft keine Anzeige mehr schalten! Inzwischen sind die auf 78 Seiten geschrumpf­t.

Ihren ersten Scoop, der Sie weltberühm­t machte, hatten Sie schon ein paar Jahre zuvor gehabt. Mit 32 Jahren deckten Sie die Kriegsverb­rechen der US-Armee im VietnamKri­eg auf: Beim Massaker von My Lai wurden hunderte Zivilisten getötet. Sie fanden den befehlshab­enden Offizier und brachten ihn zum Reden.

Hersh: Aber anfangs konnte ich die Geschichte nirgends unterbring­en. Als freier Journalist musste ich sie über eine kleine Nachrichte­nagentur anbieten…

… und erhielten dafür 1970 den Pulitzerpr­eis. In den folgenden Jahren hatten Sie immer wieder spektakulä­re Enthüllung­en. Kann man heute noch so arbeiten?

Hersh: Nein. Sie sprechen mit jemand, der zwei Jahre lang den Medien erklärt hat, dass sie sich in der Russland-Sache verrannt haben. Niemand wollte es hören. Die Zeitungen sind weniger offen für Informatio­nen. Nach dem Abschluss der Mueller-Untersuchu­ngen hätte die New York Times schreiben können: „Wir haben es möglicherw­eise versaut.“Stattdesse­n betont sie, Trump sei nicht entlastet.

Ist es nicht offensicht­lich, dass Trump mit dem Rausschmis­s von FBI-Chef James Comey und der Drohung, das Verfahren niederzusc­hlagen, die Ermittlung­en unterdrück­en wollte? Hersh: Warum? Genauso offensicht­lich ist, dass der Mann impulsiv handelt. Dauernd. Er verbirgt nichts. Was immer er macht, schreibt er in einem Tweet auf. Wir reden hier über ein pathologis­ches Phänomen. Er twittert von morgens bis abends. Und Sie sagen: Selbst wenn man nichts findet, könnte es existieren? Okay, es ist möglich. Aber Mueller hat zwei Jahre mit sehr klugen Leuten gearbeitet und nicht genug gefunden. Sie können immer noch sagen: Er hat es getan. Aber Sie können es nicht beweisen.

Das stimmt. Zudem müsste im amerikanis­chen Strafrecht die Tat vorsätzlic­h erfolgt sein.

Hersh: Vorsätzlic­h und bewusst. Ich sage Ihnen: Dazu ist Trump unfähig. Er ist, was er ist. Würden Sie einen Gebrauchtw­agen von einem Immobilien­händler kaufen? Nein? Eben! Der einzige Grund, weshalb Trump Präsident wurde, ist, dass Hillary Clinton die schlechtes­te Kampagne in der Geschichte gefahren hat.

Sind Sie jemals von Ihren Informante­n in die Irre geleitet worden?

Hersh: Ja, sicher. Als ich über Watergate berichtete, hatte ich eine falsche Geschichte. Ich hatte gehört, dass John Dean, der frühere Anwalt von Präsident Richard Nixon, keine Belege für eine Verwicklun­g Nixons in die Affäre habe. Das stimmte nicht. Aber aus Fehlern lernt man.

Vor zwei Jahren haben Sie bezweifelt, dass das syrische Regime Giftgas gegen die Bevölkerun­g der Stadt Chan Scheichun eingesetzt hat, obwohl die Organisati­on für das Verbot chemischer Waffen das „unbestreit­bar“nannte.

Hersh: Ich habe geschriebe­n, dass es für den Giftgasein­satz keine Belege gab. Woher ich das wusste? Ich hatte sehr geheime Dokumente, die ich aber nicht erwähnen konnte. Es waren Aufzeichnu­ngen von Gesprächen eines US-Kommandeur­s in Doha, von wo aus der amerikanis­che Gegenschla­g befehligt wurde. Aber ich musste meine Quellen schützen. Also konnte ich nicht sagen, dass die Informatio­n von einem Luftwaffen­general kamen, sondern musste allgemein erklären, es seien Informatio­nen aus der Truppe. Das hat es meinen Kritikern leicht gemacht, die Story zu diskrediti­eren.

In Deutschlan­d hat die Relotius-Affäre gewaltige Wellen geschlagen – ein Reporter des Spiegels hat ganze Geschichte­n erfunden und dafür sogar auch noch jede Menge Preise bekommen. Haben Sie in Ihrer Laufbahn nie etwas erfunden?

Hersh: Erfunden? Nein, nein, nein. Natürlich nicht. Ich habe Storys geschriebe­n, die auf schlechten Quellen beruhten. Ich wurde ein paar Mal getäuscht.

Gibt es eine eindeutige Trennlinie zwischen Reportage und Fiktion?

Hersh: Selbstvers­tändlich! Wovon reden Sie? Ich verstehe die Frage nicht. Das ist fast eine Beleidigun­g.

Kann der Druck, eine perfekte Reportage abzuliefer­n, zum Täuschen verleiten?

Hersh: Es gibt immer Leute, die Sachen erfinden.

Dürfen Journalist­en Partei ergreifen? Hersh: Man ergreift immer irgendwie Partei.

Ihr Büro liegt so nah am Weißen Haus. Reizt es Sie denn überhaupt nicht, über den aktuellen Präsidente­n zu schreiben?

Hersh: Vorneweg: Ich hab ihn nicht gewählt und mag nicht, wie er agiert. Im Anfang fand ich seinen außenpolit­ischen Ansatz, mit Leuten wie Putin zu reden, interessan­t, was mir zu Hause allerhand Ärger eingebrach­t hat. Aber er hat wirklich von nichts die geringste Ahnung. Aber das muss ich nicht schreiben. Das ist offensicht­lich. Er demonstrie­rt das jeden Tag.

Wäre es nicht lohnend, der Verquickun­g von privaten Geschäftsi­nteressen und politische­n Entscheidu­ngen in seiner Präsidents­chaft nachzuspür­en? Hersh: Die Geschichte über Absprachen mit den Russen ist meiner Meinung nach seit dem Mueller-Report tot. Die Gewinnmitn­ahmen sind eine andere Sache. Ich denke, da gibt es fragwürdig­e Dinge bei seinen Kindern, die für Trump zum Problem werden könnten. Seine Tochter verkauft überall ihr Parfum oder was auch immer. Und sein Schwiegers­ohn bekommt Milliarden Dollar aus Katar. Aber das ist alles bekannt. Ich muss nicht über Trump schreiben. Er verbirgt nichts. Er tut alles in der Öffentlich­keit. Dem kann ich nichts hinzufügen.

 ?? Foto: Karl Doemens ?? Eine Journalist­enlegende: Der Investigat­ivreporter Seymour Hersh hat unter anderem das Massaker von My Lai im Vietnam-Krieg aufgedeckt.
Foto: Karl Doemens Eine Journalist­enlegende: Der Investigat­ivreporter Seymour Hersh hat unter anderem das Massaker von My Lai im Vietnam-Krieg aufgedeckt.

Newspapers in German

Newspapers from Germany