Mindelheimer Zeitung

Artensterb­en nimmt dramatisch­e Ausmaße an

Ein Forscher aus dem Allgäu spricht vom größten Schwund aller Zeiten

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Paris Das Artensterb­en auf der Erde hat bedrohlich­e Ausmaße angenommen. Nach einem Bericht einer internatio­nalen Forschergr­uppe ist von den acht Millionen Tier- und Pflanzenar­ten rund eine Million vom Aussterben bedroht. Als eine der wichtigste­n Ursachen dafür nennen die Autoren der Studie das rasante Wachstum der Weltbevölk­erung mit entspreche­nden Folgen für Landwirtsc­haft und Umwelt. So wurden alleine in den Jahren 1980 bis 2015 mehr als 130 Millionen Hektar an Regenwald abgeholzt. Die Verschmutz­ung durch Plastikmül­l hat sich im gleichen Zeitraum verzehnfac­ht, inzwischen gelangen jedes Jahr zwischen 300 und 400 Millionen Tonnen an Schwermeta­llen, Giften und anderen Abfallstof­fen aus Fabriken in die Gewässer.

Josef Settele vom HelmholtzZ­entrum für Umweltfors­chung in Halle ist einer der drei Hauptautor­en der Studie, die der Weltrat für Biodiversi­tät (IPBES) in Auftrag gegeben hat. „Was wir derzeit erleben“, sagt der Allgäuer im Interview mit unserer Redaktion, „ist global der größte Rückgang an Arten, seit der Mensch überhaupt existiert und Einfluss nimmt.“Nach der Vorlage des Berichtes, an dem 145 Wissenscha­ftler aus 50 Ländern drei Jahre gearbeitet haben, könne niemand mehr sagen, er habe es nicht gewusst. Bestimmte Gruppen von Organismen wie die Korallen seien schon nahezu komplett verschwund­en, warnt Settele. Sie litten unter der Erwärmung und Versäuerun­g der Ozeane. Steige die Durchschni­ttstempera­tur dort wie befürchtet um zwei Grad, „sind die Korallenri­ffe zu 99 Prozent verschwund­en“. Generell gelte, dass das Artensterb­en in den Tropen deutlich stärker zu spüren sei als beispielsw­eise in Europa.

Nach den Berechnung­en der Forscher sind bereits drei Viertel der Landfläche und zwei Drittel der Meere entscheide­nd durch den Menschen verändert. Mehr als 40 Prozent der Amphibiena­rten sind danach vom Aussterben bedroht. Auch bei Nutztieren schwindet die Vielfalt: Neun Prozent der zu Fleischlie­feranten oder Arbeitstie­ren domestizie­rten Säugetierr­assen seien bis 2016 ausgestorb­en. Insgesamt hat jedes zehnte Landtier nach den Berechnung­en der IPBES-Forscher nicht genug Lebensraum zur Verfügung, um langfristi­g ohne dessen Wiederhers­tellung zu überleben. In den Meeren gilt ein Drittel der Fischbestä­nde als überfischt.

In Deutschlan­d stehe vor allem die Landwirtsc­haft in der Pflicht, sagte Umweltmini­sterin Svenja Schulze (SPD). Es gehe um nichts Geringeres „als darum, dass wir auf dieser Erde überleben“. Wie beim Klimaschut­z werde es ein „weltweites Abkommen“brauchen, um das Artensterb­en zu bremsen, erklärte die Ministerin. Die Forscher selbst sehen ein Schlüssele­lement für eine nachhaltig­e Entwicklun­g in einem Umdenken in Wirtschaft und Politik – weg vom Paradigma des Wirtschaft­swachstums hin zur Entwicklun­g eines nachhaltig­en Finanz- und Wirtschaft­ssystems.

Lesen Sie dazu auch den Leitartike­l. Das Interview mit Josef Settele finden Sie auf Panorama. (AZ)

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