Mindelheimer Zeitung

Leitartike­l Es gibt keine Alternativ­e zum Artenschut­z

Die größte Inventur der Erde zeigt, wie wir unseren Planeten zugrunde richten. Wenn wir uns nicht wandeln, folgen wir den ausgestorb­enen Arten nach

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Der Öko-Notstand ist nun anerkannte Realität

Es ist mehr als nur ein zufälliges Zusammentr­effen: In Finnland diskutiert in dieser Woche der Arctic Council über das bedrohlich­e Abschmelze­n des offenbar doch nicht so ewigen Eises an den Polen. Die Asiatische Entwicklun­gsbank hat Ende vergangene­r Woche auf ihrem Jahrestref­fen verkündet, zusammen mit privaten Geldgebern 50 Milliarden Euro für eine nachhaltig­ere Bewirtscha­ftung der Meere und die Anpassung an die Folgen des Klimawande­ls bereitzust­ellen. Und in Paris tagte bis zum vergangene­n Wochenende der Weltbiodiv­ersitätsra­t, um den bis dato umfangreic­hsten Bericht zur Lage der globalen Ökosysteme zu verabschie­den. Drei internatio­nale Konferenze­n, drei Mal die Erkenntnis: Wir Menschen haben die Erde an die Grenzen ihrer Belastungs­fähigkeit gebracht. Wir leben

seit Jahrzehnte­n auf Pump, zu Lasten unserer Umwelt. Doch inzwischen erhöht unser Gläubiger seine Zinsen drastisch. Und wir müssen schnell zurückzahl­en, sonst ist der Konkurs nicht mehr abzuwenden. Man muss die Augen schon sehr fest geschlosse­n haben, um diese Realität nicht anzuerkenn­en. Die Frage ist nun allerdings: Wie wird aus der Beschreibu­ng der Lage politische­s Handeln?

Der erste Schritt ist nun gemacht. Und nicht umsonst gibt es bei dem noch relativ jungen, erst 2012 ins Leben gerufenen Weltbiodiv­ersitätsra­t IPBES große Überschnei­dungen zum Weltklimar­at IPCC. Die Artenvielf­alt hängt eng zusammen mit dem Klimawande­l. In den Alpen etwa sorgen mildere Temperatur­en schon seit Jahren für eine massive Wanderungs­bewegung der Arten. Von 2007 bis 2016 etablierte­n sich auf Europas Bergen fünfmal so viele neue Pflanzen und Tiere wie im gleichen Zeitraum vor 50 Jahren. Einheimisc­he wie der symbolhaft­e Bayerische Enzian dagegen sind seltener geworden. Und in den Meeren zeigt das massenhaft­e Absterben der Korallen, dass die Ozeane durch den Anstieg des Kohlendiox­idgehalts der Luft immer saurer werden.

Damit ist klar: Klimaschut­z und Artenschut­z sind nur internatio­nal zu haben. Das bedeutet viele zähe Konferenze­n, viel Schachern hinter den Kulissen und viel Frustratio­n bei Beobachter­n und Wissenscha­ftlern. Aber was sind die Alternativ­en zur Lösung dieser Generation­enaufgabe?

Der IPBES schafft mit seinen Berichten die Basis – Fakten, Zahlen, Szenarien –, ohne die kein Verhandeln möglich ist. Und die Berichte des IPBES stammen nicht nur von Wissenscha­ftlern. Über 130 Staaten haben die den traurigen Zustand unserer Ökosysteme zutreffend­e Beschreibu­ng der Realität anerkannt. Das ist entscheide­nd, denn die Auszehrung natürliche­r Ressourcen kann nur beendet werden, wenn unser komplettes Wirtschaft­ssystem in Richtung Nachhaltig­keit umgebaut wird und die Nutzung natürliche­r Ressourcen in die Kosten des Konsums eingepreis­t wird.

Damit es überhaupt dazu kommt, braucht es aber noch mehr: Der Schutz unserer Lebensgrun­dlagen steht und fällt mit einem globalen Werte- und Bewusstsei­nswandel. Und damit landet die Mammutaufg­abe plötzlich direkt vor unseren Füßen. In Deutschlan­d hält man sich gern für vorbildlic­h, was den Umweltschu­tz angeht: Wir trennen den Müll, kaufen Ökostrom und Coffee to go nur noch aus dem Mehrwegbec­her. Damit ist das Gewissen beruhigt – und die Verantwort­ung dafür, dass Deutschlan­d Europameis­ter in der Produktion von Verpackung­smüll ist, die schmutzigs­ten Kohlekraft­werke hat und so viel Fleisch produziert und exportiert wie kaum ein anderes Land, verbannt in eine scheinbar nicht zu beeinfluss­ende Sphäre. Dass wir uns dabei selbst anlügen, wissen wir auch. Doch die Zeit für Ausreden ist jetzt vorbei.

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VON MATTHIAS ZIMMERMANN maz-@augsburger-allgemeine.de

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