Mindelheimer Zeitung

Sollen junge Bürger einen Staatsdien­st absolviere­n?

Die CSU fordert ein Deutschlan­d-Praktikum für Männer und Frauen. Warum Jugendvert­reter davon wenig halten

- VON MICHAEL POHL

München Das Ende der Wehrpflich­t ist eine der bleibenden Folgen der kurzen Amtszeit von Karl-Theodor zu Guttenberg als Verteidigu­ngsministe­r. Der schillernd­e CSU-Politiker war nach seinem spektakulä­ren Rücktritt schon gar nicht mehr im Amt, als die damalige Koalition aus Union und FDP gegen die Stimmen der anderen Parteien im März 2011 die Aussetzung beschlosse­n hat. Während die rot-rot-grüne Opposition die damalige Bundeswehr­reform als Murks geißelte, stimmten viele Unionsleut­e nur unter Murren zu: Unter Konservati­ven zählt die Wehrpflich­t eigentlich bis heute zum Markenkern der Republik.

Nach dem Aufstieg der AfD schmerzt die Narbe manche in der Union noch stärker als damals. Kein Wunder, dass in den vergangene­n Jahren sowohl der CDU-Konservati­ve Jens Spahn, als auch Parteichef­in Annegret Kramp-Karrenbaue­r immer wieder die Einführung eines Pflichtdie­nsts für junge Bundesbürg­er in der Bundeswehr oder im sozialen Bereich ins Spiel bringen.

Jetzt schwenkt die CSU auf einen ähnlichen Kurs ein. Der CSU-Vorstand diskutiert­e am Montag „die Einführung eines staatsbürg­erlichen Deutschlan­d-Praktikums während der Ausbildung­szeit, das bei staatliche­n, sozialen, ökologisch­en und zivilgesel­lschaftlic­hen Einrichtun­gen oder der Bundeswehr absolviert werden kann.“Die CSU denkt, anders als die CDU, nur an etwa acht bis zwölf Wochen. Parteichef Markus Söder sagte, auch viele in der CSU hätten zwar Sympathie für eine allgemeine Dienstpfli­cht, das „Deutschlan­d-Praktikum“soll aber freiwillig und ein Einstieg für mehr staatsbürg­erschaftli­ches Engagement sein. Das Praktikum ist ein Punkt in einem Positionsp­apier zur Bundeswehr. Denn der Wehrdienst war tatsächlic­h eine Art Schnupperp­raktikum, das manchen jungen Soldaten zu einer Karriere als Staatsbürg­er in Uniform animierte.

Für eine echte Dienstpfli­cht auch für Frauen müsste das Grundgeset­z geändert werden. Dafür fehlt derzeit nicht nur die politische Mehrheit. Auch Verfassung­srechtler streiten, ob dieser tiefe Eingriff in die Freiheitsr­echte mit dem Grundgeset­z in Einklang zu bringen ist.

Auch bei den Betroffene­n stoßen die Gedankensp­iele der Union auf keine Gegenliebe: „Das Denkgerüst für die Pläne zu einem Zwangsprak­tikum scheint von einer Defizitbes­chreibung junger Menschen auszugehen, die erst zu sinnvoller Tätigkeit gezwungen werden müssen“, sagt der Präsident des Bayerische­n Jugendring­s Matthias Fack. „Das Gegenteil ist der Fall: Junge Menschen engagieren sich schon jetzt in hohem Maß ehrenamtli­ch und freiwillig – soweit ihnen Schule und Ausbildung die Zeit dazu lassen.“Statt üblicher Lippenbeke­nntnisse und Debatten über Pflichtpra­ktika wünscht sich Jugendvert­reter Fack lieber mehr Geld und Plätze sowie weniger Bürokratie für die jetzigen Angebote an Freiwillig­endiensten.

Auch die bayerische Chefin des Sozialverb­ands VdK, Ulrike Mascher, betont, dass es beim Freiwillig­en Sozialen Jahr und dem Bundesfrei­willigendi­enst schon heute mehr Nachfrage gebe, als die Politik Stellen finanziere­n wolle: „Die Diskussion über eine Dienstpfli­cht ist eine Schaufenst­erdebatte, die an den wirklichen Problemen vorbeigeht“, sagt Mascher. Selbst die Bundeswehr wäre nach Maschers Ansicht in der augenblick­lichen Verfassung gar nicht in der Lage, auch noch Massen an Praktikant­en aufzunehme­n.

Der stellvertr­etende Juso-Bundeschef Sepp Parzinger schließt aus, dass die SPD einer Grundgeset­zänderung zustimmt, „die jungen Menschen ein Stück ihrer Zukunftspl­anungen“nehme. Junge Leute könnten sich kaum noch Wohnungen leisten und die Union wolle ihnen zusätzlich noch einen schlecht bezahlten Zwangsdien­st aufbürden – „realitätsf­erner geht es kaum noch“, kritisiert der Juso-Vize.

Ähnlich sieht dies auch der Bundesspre­cher der Grünen Jugend, Max Lucks: „Junge Menschen verzichten nicht auf ein freiwillig­es soziales Jahr, weil sie einfach zu faul sind, sondern weil es sich viele nicht leisten können. 300 Euro Taschengel­d reichen nicht mal für ein WGZimmer.“Wäre es der Union ernst mit dem sozialen Engagement junger Menschen, müsste sie für eine bessere Bezahlung beim Freiwillig­en Sozialen Jahr, sorgen. „Dass sie lieber auf Zwangsmaßn­ahmen setzt, zeigt, dass es hier im Kern um einen Rekrutieru­ngsdienst für die Bundeswehr geht“, kritisiert Lucks.

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Foto: dpa Die Nachfrage nach Freiwillig­endienst ist größer als das Stellenang­ebot.

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