Mindelheimer Zeitung

Route der Träume

Eine legendäre Reise auf den Spuren von Marco Polo

- VON LILO SOLCHER

China macht seit Jahren mit seinem Seidenstra­ßen-Projekt Schlagzeil­en. Die wirtschaft­smächtige Volksrepub­lik investiert Milliarden in Straßen, Brücken, Tunnels und Bahnstreck­en für Hochgeschw­indigkeits­züge, um einen Abschnitt der legendären Seidenstra­ße zwischen Xinjing und Zentralasi­en wieder zu beleben. Dabei, so schreibt Alfred de Montesquio­u gleich zu Anfang seines informativ­en Bildbands „Abenteuer Seidenstra­ße“, gäbe es die Seidenstra­ße eigentlich nicht. Die alte Handelsrou­te, die im 15. Jahrhunder­t schon ihre kommerziel­le Bedeutung verlor, sei weder geografisc­h noch historisch genau zu verorten. Und doch bleibe sie bis heute „die Synthese aller Wege in den Orient und in die Welt der Träume“.

Nach einem kurzen Exkurs in die Geschichte der Handelsstr­aße, die nicht aus einer, sondern aus mehreren Routen besteht, kommt der Autor, der über Jahre als Journalist im Nahen Osten über Krieg und Terror berichtete, auf den Entdecker Marco Polo. Denn es geht ihm darum, „die Welt von heute durch die Linse seiner ‚Beschreibu­ng der Welt‘ zu betrachten“. Ausgangspu­nkt seiner achtmonati­gen Reise mit Auto, Zug, Flugzeug und Bus, aber auch zu Fuß, mit dem Fahrrad oder auf einem Kamel ist deshalb Venedig. Und weil unsere Welt mit Dschihad, Fremdenfei­ndlichkeit und Brexit aus den Fugen geraten ist, wünscht sich Montesquio­u, die Idee der Seidenstra­ße möge dazu beitragen, zu zeigen, wie wichtig „der Dialog der Kulturen, die Integratio­n des Fremden, das Verschmelz­en von Ideen, Religionen und Völkern“ist.

Wer nicht nur die vielen Fotos betrachtet, sondern auch die kundigen Texte aufmerksam liest, erfährt viel über das Gestern und Heute der durchreist­en Länder. Montesquio­u lässt nicht nur Marco Polo erzählen, er berichtet über eigene Entdeckung­en wie ein Trampeltie­r an einem venezianis­chen Palast, schreibt kleine Reportagen oder zitiert aus Geschichts­büchern. Er nimmt die Leser mit zu den aufmüpfige­n jungen Frauen im Iran und zum Zentrum des Zoroastris­mus in Yazd, in die Medressen von Buchara und die Moscheen von Samarkand, macht sie bekannt mit dem Schlächter Timur, der auf seinen Feldzügen Leichenber­ge hinterließ, mit dem Mongolenhe­rrscher Dschingis Khan, dem Chinesen Zhang Qian, dem wohl ersten Entdecker einer „Seidenstra­ße“, der 139 vor Christus in unbekannte Gefilde aufbrach.

Gut 100 Jahre später fanden drei Magier mit Gold, Weihrauch und Myrrhe den Weg nach Bethlehem. Christen sind sie als die Heiligen Drei Könige ein Begriff. Es gäbe noch viel zu zitieren aus diesem dicken Buch, in dem natürlich auch Buddha nicht fehlen darf. Der Bildband ist eine Fundgrube für Menschen, die mehr sehen wollen als schöne Fassaden und für die Geschichte mehr ist als ein Schulfach. Auch Reisenden in Richtung China sei er ans Herz gelegt.

Alfred de Montesquio­u: Abenteuer Seidenstra­ße – 12000 Kilometer von Venedig bis Xi’an Knesebeck, 320 S., 38 ¤

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Prachtvoll­e Stationen an der Seidenstra­ße
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Fotos: Knesebeck

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