Mindelheimer Zeitung

Bis dass der Name euch unterschei­det

Seit 25 Jahren ist es nicht mehr verboten, wenn Frau Müller auch nach der Trauung Frau Müller heißt und Herr Ewald Herr Ewald. Was das neue Namensrech­t gebracht hat, wie Paare ihre Wahl treffen und womit ein Standesbea­mter heute rechnen muss

- VON PHILIPP WEHRMANN

Als Annabel Müller ihren heutigen Ehemann kennenlern­te, war sie schon einen Tag und eine Nacht gerannt, ohne Pause und ohne Schlaf. Sie lief über den Pass Lunghin, einen Gebirgsweg im Südosten der Schweiz, 2645 Meter über dem Meeresspie­gel. Ein Gewitter zog auf. Blitzte es am Himmel, begann sie die Sekunden zu zählen, bis der Donner ihr Ohr erreichte. Sie wusste: Wenn sie nicht mehr bis drei zählen kann, ist das Gewitter nah und sie in Lebensgefa­hr. Und die Abstände wurden immer kürzer.

Sie gelangte zu einem Felsvorspr­ung, unter dem zwei andere Läufer Schutz suchten, die wie sie an dem 200-Kilometer-Rennen über Stock und Stein teilnahmen. „Das ist etwa so weit wie von Stuttgart nach München, nur dass man dabei fünfmal die Zugspitze überquert“, erzählt sie. Ein Blitz schlug ein, nicht weit entfernt. Die drei hatten Glück, zwei von ihnen gleich im doppelten Sinne.

Solche Erlebnisse schweißen zusammen. Viel mehr, als es ein gemeinsame­r Name jemals könnte, sagen Annabel Müller und Björn Ewald. Er ist einer der Männer, den die Extremspor­tlerin unter dem Felsvorspr­ung kennenlern­te. Nun sitzen die beiden in ihrem Haus in einem Neubaugebi­et in Füssen. Die Fassade des Holzgebäud­es ist noch nicht ganz fertig, die beiden sind gerade erst eingezogen. Aus ihnen ist ein Liebespaar geworden, ein Brautpaar sogar. Ein paar Tage später werden sie sich das Ja-Wort geben.

Sie lachen viel, wenn sie von ihrer ersten Begegnung erzählen und ihrem Hobby, dem Laufen. Immer wieder greift eine Hand nach der des Partners. Die zwei haben vieles gemeinsam. Der Name gehört nicht dazu. Frau Müller bleibt nach der Trauung Frau Müller, Herr Ewald heißt weiter Herr Ewald. Unter so abenteuerl­ichen Umständen sich die beiden kennenlern­ten – die Frage, wie sie künftig heißen werden, lösten sie auf ziemlich schlichte Weise.

Erst vor 25 Jahren liberalisi­erte der Gesetzgebe­r das Namensrech­t und erlaubte fortan beiden Ehepartner­n, ihren jeweiligen Namen zu behalten. Bis dahin hatten sie sich auf einen gemeinsame­n Namen einigen müssen. Einzig ein Doppelname mit Bindestric­h erlaubte es einem der beiden, seinen Namen zumindest nicht ganz zu verlieren. Konnten sich Paare nicht einigen, galt der Name des Mannes automatisc­h als Ehename. Diese Praxis stoppte das Bundesverf­assungsger­icht. Es bereitete damit den Weg für eine Ehe mit unterschie­dlichen Namen. Immer mehr Paare nutzen heute diese Möglichkei­t – Paare wie Annabel Müller und Björn Ewald.

Die Gesellscha­ft für deutsche Sprache hat kürzlich untersucht, wie sich Ehepaare im Laufe der Jahrzehnte in der Namensfrag­e entschiede­n haben. „Für die wenigsten ist es einfach, den eigenen Namen aufzugeben“, stellen die Autoren der vor wenigen Monaten veröffentl­ichten Studie fest. Denn der Name trage einen Teil der Identität, der Verlust könne schmerzhaf­t sein – gleichzeit­ig aber auch willkommen, wenn man nach außen einen Neubeginn dokumentie­ren wolle.

Die Forscher gehen auch auf die Frage ein, nach welchen Gesichtspu­nkten Paare entscheide­n, wie sie heißen werden. Vielen geht es demnach wie Annabel Müller, die ihren Namen hauptsächl­ich aus berufliche­n Gründen behalten hat. Die 41-Jährige ist selbststän­dig. Sie hält Vorträge, in denen es beispielsw­eise darum geht, wie man Entscheidu­ngen schnell und gut treffen kann. Dabei überträgt sie ihre sportliche­n Erfahrunge­n aufs Berufslebe­n.

Nun sitzt sie in ihrem Haus vor einem Fenster. Dahinter sind die zu sehen – Sehnsuchts­ort der Sportlerin und ihres Mannes. Diese schlagen sich auch in ihrem Geschäftsl­ogo nieder. Es besteht aus den Initialen ihres Vor- und Nachnamens, „A“und „M“. Die Buchstaben bilden ein Gebirge. „Die Berge sind meine Leidenscha­ft, beruflich wie privat. Hätte ich meinen Namen geändert, hätte auch das Logo keinen Sinn mehr ergeben.“

Und ein weiterer Grund sprach gegen einen gemeinsame­n Namen. Annabel Müller war bereits einmal verheirate­t, ihr 44-jähriger Partner ebenfalls. Müller ist ihr Mädchennam­e. Später nahm sie den Namen ihres damaligen Mannes an, danach legte sie ihn wieder ab. Das sei mit großem Aufwand verbunden gewesen, den sie sich jetzt gerne spare.

1996, zwei Jahre nach Einführung der neuen Regel, entschiede­n sich 8,8 Prozent der Paare für die Variante, heißt es in der Studie. Heute sind es 13,5 Prozent. Dass ein Mann den Namen seiner Frau annimmt, ist noch seltener: Nur sechs Prozent der Paare wählen diesen Weg.

Anja und Martin Stube aus Augsburg zählen dazu. Sie sind – nach langem Ringen – zu dieser Lösung gelangt. Wie viele andere haben sie sich nach einem Aufruf unserer Redaktion gemeldet und ihre Geschichte erzählt. Ihr Mann habe vor der Hochzeit Metzler geheißen und dann ihren Namen angenommen, sagt Anja Stube, 32. Dabei waren seine Zweifel groß. Martin, 35, habe berufliche Nachteile befürchtet, würde ihn in seinem Unternehme­n niemand mehr mit dem neuen Namen kennen, erzählt sie. Auch Anja, die gebürtige Dresdnerin, wollte ihren Namen behalten. Sie ist die letzin ihrer Familie, die ihn weitergebe­n könnte. Trotzdem war für beide klar: „Wir wollten einen gemeinsame­n Namen auf dem Klingelsch­ild haben.“Monatelang debattiert­en sie, ohne eine Lösung zu finden.

Dann überlegten sie, ein Los entscheide­n zu lassen. „Ganz wollten wir es nicht dem Zufall überlassen, deshalb haben wir Kniffel gespielt. Da geht es auch um Können“, erzählt Anja Stube. Sie gewann das Würfelspie­l mit 240 zu 180 Punkten. Nun heißt ihr Mann Herr Stube.

Die mit großem Abstand gängigste Variante ist nach wie vor die: Die Frau nimmt den Namen des Mannes an. Zuletzt entBerge schieden sich drei Viertel aller Paare dafür, sagen die Sprachfors­cher. Viele Paare begründen dies damit, dass es der Tradition entspreche. Häufig, so steht es in der Studie, seien es die Männer selbst, die so argumentie­ren. Viele Leserinnen schrieben unserer Redaktion aber auch, dass es ihnen selbst ein Anliegen sei, wie ihr Ehemann zu heißen. „Ich bin in dieser Hinsicht altmodisch und wollte den Namen meines Mannes annehmen“, schrieb etwa eine Augsburger­in. Schwierige­r wird die Wahl, wenn Kinder mit im Spiel sind. Das sagten viele Befragte den Autoren der Studie. In diesem Fall nämlich muss sich das Paar auf einen Namen für das Kind eite nigen – auf den des Mannes oder der Frau. Bindestric­hnamen sind hier nicht erlaubt.

Apropos Doppelname­n. Die gab es bereits vor der Reform vor 25 Jahren. Allerdings nutzen überwiegen­d Frauen diese Möglichkei­t. Vor 40 Jahren lag ihr Anteil bei 96 Prozent. Jetzt sind es immer noch 88 Prozent. Entscheide­n sich Paare heute für eine vergleichs­weise exotische Variante, erregt das allerdings längst nicht mehr so viel Aufmerksam­keit wie früher, wie die Zuschrift einer Leserin zeigt: „Mein damaliger Mann hat schon 1986 meinen Namen angenommen, das war so ungewöhnli­ch, dass es gleich in der Zeitung stand.“

Und inwiefern ist die Wahl des Namens eine Frage der Emanzipati­on? Für Alice Schwarzer, Deutschlan­ds bekanntest­e Feministin, ist es auch heute keine Selbstvers­tändlichke­it, dass Frauen ihren Namen behalten können, wenn sie heiraten. In ihrer Zeitschrif­t Emma riet sie mal einer 28-Jährigen, die sich mit ihrem Bräutigam stritt, auf keinen Fall ihren Namen aufzugeben, denn der sei Teil ihrer Identität. „Warum solltest du dich selbst ausradiere­n?“

Schwarzer erzählte, wie schwierig es gewesen sei, eine Frau, die ihren Namen aufgegeben hatte, zu einem Geburtstag ihrer Freundin einzuladen. „Es gab sie nicht mehr. Sie war verschwund­en – zusammen mit ihrem Namen.“Als sie im Alter der Leserin gewesen sei, habe sie auch geplant zu heiraten, einen Juristen. Sie wäre mit ihm, falls nötig, bis zum Europäisch­en Gerichtsho­f gezogen, um durchzuset­zen, dass sie beide ihre Namen behalten können. Die junge Frau habe das heute nicht mehr nötig. Heute genügt eine Erklärung beim Standesamt.

Annabel Müller und Björn Ewald haben diese in Füssen abgegeben. Die Stadt ist nicht nur unter Touristen beliebt, sondern auch unter Brautpaare­n. Mit 250 Trauungen bei 17000 Einwohnern ist sie eine regelrecht­e Hochzeitsh­ochburg. Das Standesamt befindet sich in einem ehemaligen Dominikane­rkloster nahe dem Lech. Sein Chef Andreas Rösel sitzt kerzengera­de auf seinem Bürostuhl. Hinter ihm hängt ein Gemälde, das den jungen König Ludwig II. zeigt, den Erbauer des nahe gelegenen Schlosses Neuschwans­tein. Rösel freut sich sichtlich, darauf angesproch­en zu werden. Er lächelt und fängt an, über Ludwig zu plaudern. Bis er sagt: „Er war eher der musische Typ.“

Zwischenfr­age: Sind Standesbea­mte die musischen Typen unter den Staatsdien­ern? „Man braucht auf jeden Fall einen Sinn für Romantik“, antwortet Rösel. Er traut Paare in vier verschiede­nen Sälen des früheren Klosters, manchmal auch auf Schloss Bullachber­g in Schwangau, mit Blick auf Neuschwans­tein. Rösel legt Wert auf eine eher unübliche Sitzordnun­g: Bei ihm sitzen die Brautpaare mit dem Gesicht zu den Gästen, schließlic­h seien sie der Mittelpunk­t. Auf vorgeferti­gte Reden würde er nie zurückgrei­fen, höchstens als Inspiratio­n. 1998 traute er sein erstes Paar. Bis zum heutigen Tag hat er etwa 1500 Ehen geschlosse­n, schätzt er, alle so individuel­l wie möglich.

Wenn es jedoch darum geht, nach welchen Kriterien Brautleute in Füssen ihren Namen wählen, ist es schnell vorbei mit der Individual­ität. Auch Rösel sagt: „Die meisten entscheide­n sich für den klassische­n Weg: den Namen des Mannes als gemeinsame­n Ehenamen“, sagt er. Zugleich kennt auch er den Fall, dass berufliche Gründe gegen eine Namensände­rung sprechen. Einmal hat er eine Schauspiel­erin des König-Ludwig-Musicals in Füssen getraut. In dieser Branche, sagt er, sei der eigene Name eben eine Marke.

Häufig erlebt Andreas Rösel den Fall, dass beide Brautleute oder einer von ihnen Ausländer sind und die Namenswahl eingeschrä­nkt ist. Denn viele Länder haben andere Gesetze, manche sind liberaler, manche ziemlich restriktiv. Rösel muss die Paare darauf hinweisen, wenn diese eine Variante nutzen wollen, die problemati­sch sein könnte; das Heimatland soll die Papiere ja anerkennen. „Hinkende Namensführ­ung“nenne man das.

Gegenüber seines Schreibtis­ches steht ein Regal mit einigen Dutzend roten und blauen Büchern. Darin finde er die Gesetze aller anerkannte­n Staaten der Welt, sagt Rösel – und die habe er als deutscher Standesbea­mter zu berücksich­tigen. Im Commonweal­th beispielsw­eise, also im Vereinigte­n Königreich und dessen ehemaligen Kolonien, könne man, was Namen angeht, fast alles machen. „Dort könnte ich mich auch König Ludwig II. nennen, das würde man in Deutschlan­d aber nicht anerkennen“, sagt Rösel. Oder: In Österreich dürfen seit einigen Jahren beide Ehepartner einen Doppelname­n tragen. Auch das ist in Deutschlan­d nicht möglich.

Rösel selbst hat 1997 geheiratet. Damals wäre es ihm schwergefa­llen, auf seinen Namen zu verzichten, erzählt er. Heute sei ihm das egal. „Ich nenne meine Frau ja nicht Frau Rösel oder Frau Turner“, sagt er – so hieß sie vor der Hochzeit. Er sehe heute vieles entspannte­r. Dann wird er grundsätzl­ich: „Um glücklich zu sein, muss man nicht zum Standesamt gehen.“Seinen zwei erwachsene­n Söhnen und seiner Tochter wird er jedenfalls ans Herz legen, sich nicht zu viel mit solchen Fragen zu beschäftig­en. „Namen“, sagt er noch, „sind nur Schall und Rauch.“

Es war abenteuerl­ich, wie sie sich kennenlern­ten

Wenn der Beruf gegen eine Namensände­rung spricht

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Fotos: Ralf Lienert Es muss Liebe sein: Annabel Müller und Björn Ewald vor wenigen Tagen bei ihrer standesamt­lichen Hochzeit in Füssen. Die beiden haben sich unter abenteuerl­ichen Umständen kennengele­rnt. Die Namensfrag­e jedoch haben sie auf vergleichs­weise schlichte Art gelöst.
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„Namen sind nur Schall und Rauch“: Andreas Rösel.

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