Mindelheimer Zeitung

Wenn das Volk aufbegehrt

Rekordbete­iligung beim Volksbegeh­ren für mehr Artenschut­z, Klimademos, Protestzüg­e in den Straßen: Sind die Bayern politische­r geworden?

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München Eine Großdemons­tration nach der anderen – das ist in München zuletzt Alltag gewesen. Das neue Polizeiauf­gabengeset­z, rechte Hetze und hohe Mieten haben im vergangene­n Sommer zehntausen­de Menschen auf die Straßen getrieben. Im März zogen sie gegen die EUUrheberr­echtsrefor­m durch die Innenstadt. Auch ein Volksbegeh­ren jagt das nächste und seit Monaten demonstrie­ren Jugendlich­e der „Fridays for Future“-Bewegung für mehr Klimaschut­z. Werden die Bayern politische­r?

So leicht könne man das nicht sagen, meint der Bayreuther Soziologe Georg Kamphausen. Es komme darauf an, woran politische­s Engagement gemessen werde. Schaut man darauf, „dass jemand auf die Straße geht und ein Transparen­t trägt“, treffe es bestimmt zu.

Gleichzeit­ig stelle sich jedoch die Frage, wie viele Menschen sich in den Parteien engagieren. Denn: „Wir leben in der parlamenta­rischen Demokratie. Wenn ich etwas verändern will, kann ich das eigentlich nur dadurch, dass ich mich an Wahlen beteilige oder in bestimmpol­itischen Gruppen“, erklärt Kamphausen.

Eins steht fest: Die sogenannte direkte Demokratie wird im Freistaat immer häufiger genutzt. Das zeigt der neue Volksbegeh­rensberich­t 2019, den der Verein „Mehr Demokratie“am Dienstag in München vorstellte. 2018 wurden in Bayern fünf Verfahren „von unten“gestartet, darunter etwa das Volksbegeh­ren gegen den Pflegenots­tand und das erfolgreic­he Volksbegeh­ren „Rettet die Bienen“für mehr Artenschut­z. 18,4 Prozent der Wahlberech­tigten oder fast 1,75 Millionen Menschen sprachen sich mit ihrer Unterschri­ft für einen stärkeren Natur- und Artenschut­z in Bayern aus – Rekord. Nie gab es in der bayerische­n Geschichte eine höhere Beteiligun­g an einem Begehren.

Mit einem Volksbegeh­ren können Bürger in Bayern Gesetze initiieren oder ändern. Dafür müssen in einem ersten Schritt mindestens 25000 Unterschri­ften gesammelt werden. Wird das Volksbegeh­ren dann zugelassen, müssen zehn Prozent der Wahlberech­tigten im Freistaat innerhalb von zwei Wochen Unterschri­ftenlisten in den Rathäusern unterzeich­nen, um erfolgreic­h zu sein. Dann kann der Landtag den Gesetzesvo­rschlag annehmen oder es findet ein Volksentsc­heid statt.

Auch heuer wird im Freistaat schon an einem neuen Volksbegeh­ren gearbeitet: Ende April präsentier­te der DMB Mietervere­in München seine Pläne für ein Volksbegeh­ren gegen häufige Mieterhöhu­ngen. gangenen Jahr in sieben Bundesländ­ern neu eingeleite­t, wie es im Bericht heißt. „Das ist fast eine Verdopplun­g gegenüber 2017 und der vierthöchs­te Wert in der Geschichte der Bundesrepu­blik.“Man könne meinen, Volksbegeh­ren seien in Bayern momentan ein bisschen „en vogue“, sagt Socher. Dass bei der steigenden Zahl an Volksbegeh­ren die Bürger irgendwann resigniere­n, glaubt sie nicht. „Es sind ja drängende Themen, die angegangen werden.“

Ebenso wie die zahlreiche­n Volksbegeh­ren sei auch das politische Interesse punktuell und themenbezo­gen, sagt der Bayreuther Soziologe Kamphausen. Vor allem der Einsatz für Umwelt- und Nachhaltig­keit stehe hoch im Kurs. Ein generelles politische­s Interesse mit der Übernahme von Verantwort­ung beispielsw­eise in Parteien oder Gewerkscha­ften sieht er jedoch kaum. In der Hochschulp­olitik etwa engagierte­n sich seiner Beobachtun­g zufolge hauptsächl­ich Jura- und Ökonomie-Studenten, die sich dadurch vor allem Vorteile für ihre Karriere erhofften.

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