Geht’s noch?
Immer wieder kehren Spieler trotz Kopfverletzungen auf das Spielfeld zurück. Sie gelten als echte Kerle. Dabei drohen Spätfolgen, die das Leben auch noch weit nach der Karriere negativ beeinflussen
Augsburg Es war für viele lediglich eine Randnotiz zum Schmunzeln: Am vergangenen Bundesligaspieltag schoss der Mainzer Stürmer Karim Onisiwo ein Tor für seine Mannschaft. Das Besondere daran: An den Treffer zum zwischenzeitlichen 1:2-Anschluss konnte sich der Österreicher schon in der Halbzeit nicht mehr erinnern. Der Grund war eine Gehirnerschütterung, die sich der Stürmer bei einem Zusammenprall mit einem Leipziger Gegenspieler zugezogen hatte. Der Mainzer Trainer Sandro Schwarz sorgte noch für einen Lacher, als er nach dem 3:3 über Onisiwo sagte: „Als ich ihm sagte, er habe seinen Vertrag um drei Jahre verlängert, war er wieder voll da.“Onisiwos Sicht der Szene ist weniger lustig: „Mir war schwarz vor Augen und ich hatte das Gefühl, als ob neben mir zehn Hubschrauber starten würden.“Zur Halbzeit wurde er ausgewechselt.
Auch Wolfgang Klein ist bei solchen Meldungen nicht zum Lachen zumute. Der Mediziner vom Wolfsburger Klinikum ist einer der Organisatoren des Projekts „Schütze deinen Kopf“, das es sich zur Aufgabe gemacht hat, die Öffentlichkeit für die Gefahren und Folgen von Gehirnerschütterungen zu sensibilisieren. Dass in der Bundesliga immer wieder Spieler mit einer Gehirnerschütterung weiterspielen, besorgt den 63-Jährigen. Oft läuft es ab wie bei Onisiwo: Bis die Ärzte den Spieler erreichen, hat er sich schon wieder gefangen, kann Fragen beantworten und wirkt gefasst. Erst nach einigen Minuten wird klar, dass der Kicker nicht mehr spielfähig ist. Das Problem: Kopfverletzungen sind weit schwerer einzuschätzen als eine Bänderverletzung.
Wolfgang Klein ärgert sich aber über die Tendenz zur Bagatellisierung dieser Verletzung: „Ich kann das nicht nachvollziehen. Das Gehirn ist nicht weniger als die Schaltzentrale des Körpers, damit sollte man sorgsam umgehen.“Nicht immer läuft alles sorgsam ab: Beim Spiel zwischen dem 1. FC Nürnberg und Werder Bremen im Februar spielte der Club-Keeper Christian Mathenia durch, obwohl er nach einer Stunde Spielzeit nach einem Zusammenprall kurzzeitig bewusstlos war. Den Einsatz des Schlussmanns wertete der damalige Nürnberger Coach Michael Köllner als Beleg für den guten Zusammenhalt im Team. Klein sieht das etwas anders. Schließlich ist bei einer Bewusstlosigkeit klar, dass der betroffene Spieler eine Gehirnerschütterung „Wer diese Verletzung erlitten hat, ist kurzfristig als nicht mehr geschäftstüchtig zu betrachten.“Konkret bedeutet das: „Teilfunktionen des Gehirns gehen danach zeitweise verloren.“Bei Onisiwo war das Kurzzeitgedächtnis beeinträchtigt. Auch die Koordination und das Sichtfeld oder sonstige motorische Fähigkeiten können eingeschränkt sein – eine gefährliche Voraussetzung für einen Leistungssport, in dem extreme Kräfte wirken.
Wolfgang Klein ist Mannschaftsre, des Eishockey-Klubs Grizzlys Wolfsburg. Der Sport lieferte vor einigen Jahren ein besonders drastisches Beispiel für die verheerenden Folgen einer Gehirnerschütterung – und für den Arzt den Impuls, sich intensiv mit dem Thema auseinanderzusetzen. Im Jahr 2011 wurde Berlins Stefan Ustorf im Spiel gerammt. Der gebürtige Kaufbeurer stand mit einer nicht ausgeheilten Gehirnerschütterung auf dem Eis, hatte Probleme mit den Augen. Als er von seinem Krefelder Gegenspiehat. ler gecheckt wurde, war sich Ustorf sicher, dass dieser von hinten gekommen war. Er kam aber von vorne, als er den Profi erneut auf das Eis beförderte.
Mediziner nennen die Summe der Schläge ein „Second Impact Syndrom“. Für Ustorf begann ab diesem Tag ein jahrelanger Leidensweg: Schwindelgefühle, Schlafstörungen. Zwei Jahre später beendete der ehemalige Kapitän der deutschen Nationalmannschaft seine Karriere mit den Worten: „Ich spüarzt wie nach und nach mein Körper auseinanderfällt.“Heute ist Ustorf Funktionär bei den Eisbären, hat aber noch mit den Folgen der Verletzung zu kämpfen. Sein Vater Peter hat einen Verein mit dem Namen „Kopf hoch“gegründet. Er tritt unter anderen für einen veränderten Umgang mit Gehirnerschütterungen ein.
Im American Football soll ein Concussion Protocol die Folgen von Gehirnerschütterungen eindämmen. Zwei unabhängige Beobachter auf der Tribüne melden sich, sobald ein Spieler Anzeichen zeigt. Wenn er wieder weiterspielen will, muss er einen Test bestehen, wobei die Resultate nicht zu sehr von denen abweichen dürfen, die der vor dem Zusammenstoß hatte. Eine Rückkehr im selben Spiel muss ein Neurologe anordnen. Auch in der Deutschen Eishockey Liga (DEL) sind die Sicherheitsvorkehrungen mittlerweile erhöht worden. Wie Klein betont, wird von jedem DEL-Spieler zu Saisonbeginn ein neurologischer Test erstellt, Betreuer und Trainer erhalten Schulungen.
Dass ein Concussion Protocol im Eishockey oder im Fußball nötig ist, glaubt Klein hingegen nicht – es würde reichen, wenn die bestehenden Erkenntnisse konsequent umgesetzt werden. Derselben Meinung ist Peter Stiller. Der 41-Jährige ist seit neun Jahren einer von drei Mannschaftsärzten des FC Augsburg. Er betont, dass auch in der Bundesliga mit neurologischen Checks genau der Gesundheitszustand des Spielers untersucht wird: „Wir haben da ein sehr genaues Auge auf die Spieler.“Eine genaue Verhaltensrichtlinie gibt es im Fußball zwar nicht. Dafür können die Mediziner auf Wiederholungen der Bildsequenzen zurückgreifen, um die Schwere der Verletzung einschätzen zu können. „Wir haben alle Möglichkeiten und gut ausgebildete Kollegen.“Nach jedem Verdachtsfall wird der Spieler per Computertomograf untersucht.
Dennoch passiert es immer wieder, dass Spieler mit einer Gehirnerschütterung aufs Spielfeld zurückkehren, obwohl sie bei den Mannschaftsärzten besser aufgehoben wären. Besonders augenscheinlich war das zuletzt bei Jan Vertonghen. Der Abwehrspieler der Tottenham Hotspurs wurde minutenlang nach einem Zusammenprall behandelt und kehrte schließlich auf das Feld zurück. Allerdings nur für wenige Sekunden, ehe er sichtlich benommen doch vom Platz taumelte. Ein Problem dabei, schätzt Klein, ist eine Besonderheit des Fußballs: „Bei allen anderen Sportarten kann man Spieler aus- und wieder einwechseln. Im Fußball geht das nicht.“Wer ausgewechselt ist, bleibt auch draußen. Umso größer ist folglich die Hemmschwelle eines Profis, sich auswechseln zu lassen.