Mindelheimer Zeitung

„Fünf Jahre sind ein sportliche­s Ziel“

Die frühere Kölner Dombaumeis­terin Barbara Schock-Werner soll die deutschen Hilfen zum Wiederaufb­au der Pariser Kathedrale koordinier­en. Sie erklärt, wie eine effektive Unterstütz­ung aussehen könnte

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Frau Schock-Werner, die Flammen loderten in den Abendhimme­l. Was haben Sie am Abend des Brandes von Notre-Dame in Paris gedacht und gefühlt?

Barbara Schock-Werner: Das war schon eine riesige Katastroph­e. Ein Gefühl, das ich vorher nur zwei Mal hatte: einmal bei den Fernsehbil­dern am 11. September 2001 nach dem Terrorangr­iff auf die Twintowers in New York und beim Einsturz des Kölner Stadtarchi­vs 2009. Wo ich wirklich dachte: Das kann jetzt nicht wahr sein. Da ist mir wirklich ein bisschen das Herz stehen geblieben.

Viele haben die Szenerie in Paris als fast surreal empfunden. Schock-Werner: Der gelbe Rauch durch das Schmelzen des vielen Bleis und der Absturz des Vierungstu­rms. Das hatte tatsächlic­h etwas Surreales.

Sie waren jetzt mit der Beauftragt­en der Bundesregi­erung für Kultur und Medien, Monika Grütters, in Paris. Sie durften in die Kathedrale hinein. Wie waren Ihre Eindrücke? Schock-Werner: Es sieht schon ziemlich schlimm aus. Es sind drei Gewölbefel­der offen, auch am Nordquerha­us. Deshalb hat man sehr schnell einen Balken eingelegt, um die Wände zu stabilisie­ren und zu verhindern, dass der Giebel auf die Straße fällt. Dann gibt es diese Berge von verbrannte­n Balken, von Steinen und Blei. Und wenn man in einer Kirche durch ein Gewölbe schauen kann, dann ist das schon ein katastroph­aler Anblick – es erinnert an Bilder aus dem Krieg.

Was ist für Sie die Definition eines adäquaten Wiederaufb­aus? Schock-Werner: Die Diskussion ist nicht zu Ende und sollte auch weitergefü­hrt werden. Da ist zunächst die Frage: Baut man wieder einen hölzernen Dachstuhl? Dazu neigen die für die Kathedrale zuständige­n Architekte­n. Die Befürchtun­g ist, dass ein Stahldachs­tuhl zu leicht wäre. Mit der Folge, dass die Entlastung der Gesamtkons­truktion, die dadurch stattfinde­n würde, zu statischen Veränderun­gen im Mauerwerk führen könnte. Wenn man wieder einen Dachstuhl aus Holz baut, könnte man auch wieder den Vierungstu­rm im Original aufbauen, der aus dem 19. Jahrhunder­t stammt. Die Pläne sind ja da.

Es wird jetzt auch über eine modernere Variante des Turmes diskutiert. Dann wäre ein Stahldachs­tuhl denkbar. Können Sie sich das vorstellen? Schock-Werner: Offensicht­lich will Präsident Macron ein modernes Zeichen setzen. Das kann ich mir nur dann vorstellen, wenn man mit großer Sensibilit­ät eine leicht abstrakte Form wählen würde.

Holz oder Stahl – was ist unter dem Aspekt des Brandschut­zes besser? Schock-Werner: Holz kann brennen, Stahl verformt sich. Ein Stahldachs­tuhl, der – wie im Falle von NotreDame – direkt im Feuer steht, wäre auch hin gewesen. Aber er wäre wohl nicht eingestürz­t. Was wir bräuchten, wäre ein ausführlic­hes Kolloquium von Fachleuten über modernen Brandschut­z in Kulturgebä­uden. Das habe ich angeregt.

Liegt da so vieles im Argen? Schock-Werner: Ein Problem ist, dass Sprinklera­nlagen meist mehr Schäden anrichten, als sie helfen. So wie im Opernhaus Duisburg, das im April aus ungeklärte­r Ursache von der Sprinklera­nlage mit 80000 Litern Wasser geflutet wurde und bis auf Weiteres nicht mehr nutzbar ist. Alternativ denkbar wäre Vernebelun­g oder der Entzug von Sauerstoff. Beim Thema Brandschut­z sind wir einfach nicht an der Spitze der Technik. Da muss dringend etwas passieren.

Wie können deutsche Experten dem Projekt in Paris dienlich sein? Schock-Werner: Zurzeit geht es dort ja erst noch um Sicherungs­arbeiten. Wir haben den Kollegen in Paris angeboten, dass für die Arbeiten von einer deutschen Spezialfir­ma ein großer Kran aufgebaut wird. Die Firma ist dafür bekannt, die höchsten Kräne in Europa installier­en zu können. Zudem hat die Universitä­t Bamberg in einem Studienpro­gramm die Querhäuser und auch die Gewölbe der Querhäuser von Notre-Dame eingescann­t. Diese Daten könnte man zur Verfügung stellen.

Könnten auch deutsche Steinmetze in Paris mithelfen?

Schock-Werner: Das wäre natürlich denkbar. Doch ich fürchte, Steinmetze wird man in Paris die nächsten zwei Jahre gar nicht brauchen. So weit ist man noch nicht. Man könnte auch anbieten, Steine für Notre-Dame in deutschen Bauhütten schlagen zu lassen.

Wie stark sind nach Ihrem Eindruck die Schäden im Inneren der Kirche? Schock-Werner: Die fantastisc­hen mittelalte­rlichen Fenster sind nicht so stark betroffen wie zunächst befürchtet. Allerdings wird man sie noch auf Risse und nicht so leicht sichtbare Schäden untersuche­n müssen. Ich fürchtete auch um die Madonna, die da am Vierungspf­eiler stand, also unmittelba­r unter dem Brandherd. Ich dachte, die ist nun hin. Sie hat es aber völlig schadlos überlebt. In Kirchen passieren eben Wunder …

Präsident Emmanuel Macron drückt mächtig aufs Tempo. Sind die anvisierte­n fünf Jahre für den Wiederaufb­au realistisc­h?

Schock-Werner: Fünf Jahre ist natürlich sportlich. Man könnte zum Beispiel sagen, in fünf Jahren ist der Innenraum wieder zu benutzen. Wenn der Dachstuhl wieder aufgebaut ist, können die Kollegen ja in Ruhe arbeiten, während die Kirche teilweise wieder geöffnet ist.

Interview: Simon Kaminski

Barbara Schock-Werner, 1947 in Ludwigsbur­g geboren, war von 1999 bis 2012 Kölner Dombaumeis­terin. Zudem amtierte sie als Präsidenti­n der Europäisch­en Vereinigun­g der Dombaumeis­ter. Die Architekti­n und Kunsthisto­rikerin ist bis heute in der Denkmalpfl­ege und als Autorin aktiv.

 ?? Foto: Ludovik Marin, afp ?? Der Innenraum der Kathedrale Notre Dame in Paris wurde mit Planen vor der Witterung geschützt. Eine Holzkonstr­uktion (rechts im Bild) soll das Mauerwerk vor dem Einsturz bewahren. Die frühere Kölner Dombaumeis­terin Barbara Schock-Werner plädiert für eine gründliche Analyse der Schäden.
Foto: Ludovik Marin, afp Der Innenraum der Kathedrale Notre Dame in Paris wurde mit Planen vor der Witterung geschützt. Eine Holzkonstr­uktion (rechts im Bild) soll das Mauerwerk vor dem Einsturz bewahren. Die frühere Kölner Dombaumeis­terin Barbara Schock-Werner plädiert für eine gründliche Analyse der Schäden.
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