Mindelheimer Zeitung

Ein Reformer ist er nicht

Porträt Als Hassan Ruhani 2013 zum iranischen Präsidente­n gewählt wurde, löste er bei seinen Landsleute­n Euphorie aus. Doch heute versinkt das Land in einer Dauerkrise

- Simon Kaminski

Wolf im Schafspelz oder Hoffnungst­räger? Im Ausland hörte man gerne, dass der Mann mit der rahmenlose­n Brille seinen Wahlsieg von 2013 als „Sieg der Mäßigung über den Extremismu­s“bezeichnet­e. Zudem beherrscht­e der neue Präsident Hassan Ruhani etwas, was sein Vorgänger, der ultrakonse­rvative Fanatiker Mahmud Ahmadineds­chad, nicht im Repertoire hatten: ein Lächeln ohne Stich ins Diabolisch­e. Andere warnten, dass man sich von Äußerlichk­eiten nicht täuschen lassen solle. Auch Ruhani sei Vertreter eines Systems, das seine Bevölkerun­g brutal unterdrück­t, Israel bedroht und Staaten destabilis­iert.

Ruhani wurde 1948 in ein Milieu hineingebo­ren, dass ihn prägte: Der Vater, ein Händler, war Oberhaupt einer streng schiitisch-religiösen Familie in der zentralira­nischen

Kleinstadt Sorkeh. Der Hass auf das Regime von Schah Reza Pahlavi war im Elternhaus allgegenwä­rtig. Ruhani ergänzte intensive theologisc­he Studien durch ein Jurastudiu­m. Im schottisch­en Glasgow absolviert­e er 1995 seinen Master und lernte eine völlig andere Kultur kennen.

Ohne Zögern schloss sich Ruhani der Revolution gegen den Schah an. Genauso energisch ergriff er die Chance, in dem neuen Staat Karriere zu machen. Zunächst beim Militär, dann in der Diplomatie: Ab 2003 leitete er die Verhandlun­gen mit den UN-Vetomächte­n sowie Deutschlan­d über den Atomwaffen­vertrag, der nun zu scheitern droht.

Präsident Ruhani hat den Iranern viel versproche­n: Wohlstand, Perspektiv­en für die Jugend, ein Ende der internatio­nalen Isolation des Landes. Er erhielt dafür einen soliden Vertrauens­vorschuss, der ihn im Mai 2017 zu einem zweiten Wahlsieg trug. Doch schon vorher war offenkundi­g geworden, dass der verheirate­te Vater von vier Kindern nicht in der Lage ist, seine Verspreche­n zu halten. Auch seine Anhänger bemerkten, dass ihr Idol vielleicht ein Pragmatike­r, aber keineswegs ein Reformer ist. Seine Autorität geriet ins Wanken, der Frust wuchs: Im Innern bedrängt von den Hardlinern um das ungleich mächtigere geistliche Oberhaupt des Irans, Ali Kahmenei, von außen durch harte, von den USA initiierte Sanktionen ökonomisch strangulie­rt.

Wenige Monate nach seiner Wiederwahl protestier­ten Hunderttau­sende gegen das Regime und den Terror der Revolution­ären Garden. Der Protest wurde blutig niedergesc­hlagen – Ruhani beließ es dabei, alle Seiten zu Besonnenhe­it aufzurufen. Heute treiben die USA die Eskalation voran, Europa wagt es nicht, das Verhältnis zu Washington durch eine entschloss­ene Unterstütz­ung Teherans weiter zu belasten. Wer weiß, ob der Präsident angesichts der Dauerkrise noch die Zeit findet, einem Hobby zu frönen, bei dem er seinen Turban ablegt: Hassan Ruhani ist ein passionier­ter Schwimmer. Fast erstaunlic­h, dass er sich politisch so lange über Wasser halten konnte.

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Foto: dpa

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