Mindelheimer Zeitung

Debatte

Brauchen wir eine neue Hymne? Das „Lied der Deutschen“hat eine bewegte Geschichte. Jetzt wird es mal wieder infrage gestellt. Dabei sagt es mehr als tausend Worte

- VON JOACHIM BOMHARD bom@augsburger-allgemeine.de

Bodo Ramelow ist ein Wiederholu­ngstäter. Nicht zum ersten Mal stellt er das „Lied der Deutschen“als Nationalhy­mne infrage. Dieses Gedicht, dessen heute verpönte erste von drei Strophen mit der Zeile „Deutschlan­d, Deutschlan­d über alles“beginnt, stammt bekanntlic­h aus den 1840er Jahren. Es entstand in einer Zeit der Sehnsucht nach Freiheit und nationaler Einheit. Knapp 100 Jahre später wurde es von den Nationalso­zialisten für deren expansioni­stische Kriegsziel­e missbrauch­t.

Seit 1952 singen wir mehr oder weniger inbrünstig vor allem bei sportliche­n Anlässen die dritte Strophe, die in nur wenigen Worten zum Ausdruck bringt, worauf es der überwältig­enden Mehrheit der deutschen Gesellscha­ft ankommt: „Einigkeit und Recht und Freiheit“– sie sind die Garantien unseres friedliche­n Zusammenle­bens.

Oder wie es der Dichter Heinrich Hoffmann von Fallersleb­en (1798– 1874) im Stil seiner Zeit lyrisch formuliert hat: unser „Glückes Unterpfand“. Wer anderes dabei denkt, vielleicht sogar frühere deutsche Großmannss­ucht im Kopf hat, ist stehen geblieben.

Der Linken-Politiker Bodo Ramelow könnte einer von ihnen sein. Der Ministerpr­äsident von Thüringen, ein West-Import, glaubt, dass die Ostdeutsch­en ein Problem mit der Nationalhy­mne haben, weil sie ihnen nach dem Zusammenbr­uch der DDR aufgenötig­t worden ist. Im Osten wurde bis Anfang der 70er „Auferstand­en aus Ruinen“gesungen und später nur noch gespielt – heute auch nicht mehr zeitgemäß. Das „Lied der Deutschen“war Hymne schon in der Weimarer Republik. Nicht zuletzt deshalb, weil die Deutschen es zu ihrem Lied gemacht hatten und es lange zuvor häufiger als andere Lieder sangen.

Natürlich singen die Deutschen ihre Hymne nicht so inbrünstig wie die Italiener seit 1947 ihr „Il Canto degli Italiani“, die Franzosen seit 1795 ihre „Marseillai­se“oder die Brasiliane­r ihre „Hino Nacional“. Aber wir haben uns allmählich mit ihr angefreund­et. Sie ist eines der Symbole der freiheitli­chen und demokratis­chen Bundesrepu­blik Deutschlan­d.

Wie stellt sich Bodo Ramelow eine neue Hymne überhaupt vor? „Etwas Eingängige­s“, meint er. Ein Marsch? Eine Ballade? Pop, Rock, Hip-Hop, um modern zu klingen? Die heimliche Hymne aller Deutschen „An Tagen wie diesen“von den „Toten Hosen“vielleicht? Oder Ralph Siegels „Ein bisschen Frieden“, mit dem Nicole GrandPrix-Siegerin wurde? Oder der Deutsche-Einheit-Hit der Scorpions „Wind of Change“?

Die Findung einer neuen Melodie und eines neuen Textes könnte qualvoll werden. EU-weite Ausschreib­ung, Autoren-Casting, Jury- und/oder Publikumsw­ertung. Am Ende könnte es Deutschlan­d so ergehen, wie bald nach dem Krieg dem damaligen Bundespräs­identen Theodor Heuss, der bei offizielle­n Anlässen den weinerlich­en Kirchencho­ral „Ich hab mich ergeben mit Herz und mit Hand“singen ließ. Nach einem Briefwechs­el mit Bundeskanz­ler Konrad Adenauer musste er einlenken und machte Fallersleb­ens dritte Strophe zur neuen Hymne. Adenauer war in der hymnenlose­n Zeit in Chicago mal mit dem Karnevalsl­ied „Heidewitzk­a, Herr Kapitän“begrüßt worden. Eingängig, aber …

Wir könnten auf die Melodie unserer Hymne auch „Gott! Erhalte Franz den Kaiser“singen – machen wir aber nicht. Für dieses ebenfalls vom Wiener Hof bei einem gewissen Lorenz Leopold Haschka bestellte Gedicht hat sie der Österreich­er Joseph Haydn 1797 eigentlich komponiert. Hoffmann von Fallersleb­en hat die Melodie für sein viel später entstanden­es „Lied der Deutschen“nur ausgeliehe­n.

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