Nah dran, aber nicht zu nah
Medien Der Journalist Günter Bannas ermöglicht einen Blick hinter die Kulissen der großen Politik. Warum es sich lohnt, sein Buch zu lesen
Berlin Es gibt viele politische Bücher. Gute und weniger gute, darunter einige, die als Thema auf einen Knalleffekt wie die Flüchtlingskrise setzen. Und es gibt die ausgeruhten Bücher, die auf Effekthascherei verzichten können und durchgehend klug geschrieben sind. Dazu gehört „Machtverschiebung“von Günter Bannas. Das Journalisten-Urgestein, Jahrgang 1952, erlebte die Zeiten im politischen Bonn und danach die in Berlin, zuletzt und bis zu seinem Ausscheiden im vergangenen Jahr als Leiter des Politik-Ressorts im Hauptstadtbüro der Frankfurter Allgemeinen Zeitung.
Sein Buch erfüllt einen doppelten Zweck: Älteren bringt es die Zeiten in Erinnerung, in denen Helmut Kohl als listiger, Pfeife paffender Strippenzieher seine „Politik mit der Strickjacke“betrieb und Gerhard Schröder sich, in feinsten Brioni-Zwirn gehüllt und mit Zigarre in der Hand, den Hochglanzmagazinen präsentierte. Die Jüngeren können über diese internetfreien Zeiten staunen und zugleich viel darüber lernen, warum Politik heute so tickt, dass sie von vielen nur noch verdrossen wahrgenommen wird.
Vor allem analysiert der Autor haarscharf, wie sich die tektonischen Platten im politischen Machtgefüge ständig verschieben. Mal sind es die Kanzler, die das Zepter in der Hand halten, dann wieder gibt die Partei den Ton an. Wie bei Angela Merkel, die ihre CDU bis zur Aufgabe des Parteivorsitzes aus dem Kanzleramt leitete.
Bannas beschreibt die Zustände damals wie heute mit Fakten und vielen Anekdoten, die beim Lesen in eine Welt entführen, die den meisten Menschen verschlossen bleibt. Da ist etwa die Zusammenkunft von Journalisten mit Bundeskanzler Schröder an einem Juni-Abend 1999, kurz vor dem Umzug des Bonner Politikbetriebs nach Berlin, im damaligen Kanzlerbungalow. In der „großzügigen Residenz im Park am Rhein“hatte 16 Jahre lang Helmut Kohl gewohnt – „jener Kohl, der zur Personifizierung der Bonner Republik geworden war“, wie Bannas schreibt – und nun residierte dort sein Nachfolger, der den Umzug nach Berlin gar nicht erwarten konnte. „Das kleine Bonn hatte er nie gemocht. Schröder liebte das Große“, skizziert Bannas einen Politiker, der schon damals in der inneren Zerrissenheit zwischen einfacher Herkunft und großer Karriere lebte.
Ohne in das buchhalterische Kleinklein eines puren Chronisten zu verfallen, arbeitet Bannas die politisch bedeutsamen Ereignisse gekonnt ab.
Er konnte für sein Buch – und das ist ein Glück – nicht nur in seinem phänomenalen Gedächtnis, sondern auch in Bergen von Notizbüchern wühlen. Kleine praktische Bücher, in die er auch auf seinen zahlreichen Auslandsreisen kluge Gedanken schrieb – dabei meist eine Tasse Kaffee und immer die unvermeidlichen filterlosen französischen Zigaretten in Griffweite.
Das Buch ist so geschrieben, wie es Bannas schon in seiner aktiven Zeit gehalten hat: Er geht ganz nah dran, lässt sich aber nicht vereinnahmen. Eine journalistische Tugend, die ihm neben viel persönlicher Anerkennung auch den Theodor-Wolff-Preis einbrachte. Lesenswert wird das Buch darüber hinaus durch den feinsinnigen Humor seines Autors, der – bei aller Liebe zum Beruf – während der Karnevalszeit grundsätzlich für keinen Politiker zu sprechen war. ⓘDas Buch „Machtverschiebung“von Günter Bannas ist im Propyläen Verlag erschienen und kostet 24 Euro.