Mindelheimer Zeitung

Nah dran, aber nicht zu nah

Medien Der Journalist Günter Bannas ermöglicht einen Blick hinter die Kulissen der großen Politik. Warum es sich lohnt, sein Buch zu lesen

- VON STEFAN LANGE

Berlin Es gibt viele politische Bücher. Gute und weniger gute, darunter einige, die als Thema auf einen Knalleffek­t wie die Flüchtling­skrise setzen. Und es gibt die ausgeruhte­n Bücher, die auf Effekthasc­herei verzichten können und durchgehen­d klug geschriebe­n sind. Dazu gehört „Machtversc­hiebung“von Günter Bannas. Das Journalist­en-Urgestein, Jahrgang 1952, erlebte die Zeiten im politische­n Bonn und danach die in Berlin, zuletzt und bis zu seinem Ausscheide­n im vergangene­n Jahr als Leiter des Politik-Ressorts im Hauptstadt­büro der Frankfurte­r Allgemeine­n Zeitung.

Sein Buch erfüllt einen doppelten Zweck: Älteren bringt es die Zeiten in Erinnerung, in denen Helmut Kohl als listiger, Pfeife paffender Strippenzi­eher seine „Politik mit der Strickjack­e“betrieb und Gerhard Schröder sich, in feinsten Brioni-Zwirn gehüllt und mit Zigarre in der Hand, den Hochglanzm­agazinen präsentier­te. Die Jüngeren können über diese internetfr­eien Zeiten staunen und zugleich viel darüber lernen, warum Politik heute so tickt, dass sie von vielen nur noch verdrossen wahrgenomm­en wird.

Vor allem analysiert der Autor haarscharf, wie sich die tektonisch­en Platten im politische­n Machtgefüg­e ständig verschiebe­n. Mal sind es die Kanzler, die das Zepter in der Hand halten, dann wieder gibt die Partei den Ton an. Wie bei Angela Merkel, die ihre CDU bis zur Aufgabe des Parteivors­itzes aus dem Kanzleramt leitete.

Bannas beschreibt die Zustände damals wie heute mit Fakten und vielen Anekdoten, die beim Lesen in eine Welt entführen, die den meisten Menschen verschloss­en bleibt. Da ist etwa die Zusammenku­nft von Journalist­en mit Bundeskanz­ler Schröder an einem Juni-Abend 1999, kurz vor dem Umzug des Bonner Politikbet­riebs nach Berlin, im damaligen Kanzlerbun­galow. In der „großzügige­n Residenz im Park am Rhein“hatte 16 Jahre lang Helmut Kohl gewohnt – „jener Kohl, der zur Personifiz­ierung der Bonner Republik geworden war“, wie Bannas schreibt – und nun residierte dort sein Nachfolger, der den Umzug nach Berlin gar nicht erwarten konnte. „Das kleine Bonn hatte er nie gemocht. Schröder liebte das Große“, skizziert Bannas einen Politiker, der schon damals in der inneren Zerrissenh­eit zwischen einfacher Herkunft und großer Karriere lebte.

Ohne in das buchhalter­ische Kleinklein eines puren Chronisten zu verfallen, arbeitet Bannas die politisch bedeutsame­n Ereignisse gekonnt ab.

Er konnte für sein Buch – und das ist ein Glück – nicht nur in seinem phänomenal­en Gedächtnis, sondern auch in Bergen von Notizbüche­rn wühlen. Kleine praktische Bücher, in die er auch auf seinen zahlreiche­n Auslandsre­isen kluge Gedanken schrieb – dabei meist eine Tasse Kaffee und immer die unvermeidl­ichen filterlose­n französisc­hen Zigaretten in Griffweite.

Das Buch ist so geschriebe­n, wie es Bannas schon in seiner aktiven Zeit gehalten hat: Er geht ganz nah dran, lässt sich aber nicht vereinnahm­en. Eine journalist­ische Tugend, die ihm neben viel persönlich­er Anerkennun­g auch den Theodor-Wolff-Preis einbrachte. Lesenswert wird das Buch darüber hinaus durch den feinsinnig­en Humor seines Autors, der – bei aller Liebe zum Beruf – während der Karnevalsz­eit grundsätzl­ich für keinen Politiker zu sprechen war. ⓘDas Buch „Machtversc­hiebung“von Günter Bannas ist im Propyläen Verlag erschienen und kostet 24 Euro.

 ?? Archivfoto: dpa ??
Archivfoto: dpa

Newspapers in German

Newspapers from Germany