Mindelheimer Zeitung

Billy und das Regal

Wohnen Billy von Ikea ist 40 Jahre alt. Viele Millionen Haushalte haben das Regal zu Hause. Doch warum trägt Billy diesen Namen? Hier ist die Geschichte – und die einiger anderer berühmter Möbel

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Berlin Billy, den kennt jeder. Genauer gesagt: Das kennt jeder. Es handelt sich um das berühmte BillyRegal von Ikea. Warum heißt es eigentlich so? Das Regal hat einen Namenspate­n: Billy Liljedahl. Dessen Kollege Gillis Lundgren hat das heute weltberühm­te Möbel 1979 für ihn entworfen, da sich Billy nach einem „richtigen“Bücherrega­l sehnte. Heute ist Billy, das Regal, 40 Jahre alt und wird circa 4,5 Millionen mal pro Jahr im schwedisch­en Dorf Kättilstor­p produziert. Dort leben nur 400 Einwohner – die meisten davon sind an der Herstellun­g des Regals beteiligt.

Mit der Zeit ist es so beliebt geworden, dass 1992 ein wahrer Shitstorm auf Ikea niederging, als es das Regal Billy abgeschaff­t hatte. „Sie haben uns beschimpft. Sie haben uns geschmeich­elt. Sie haben uns bestochen. Sie haben es geschafft. Billy ist zurück“, hieß es daraufhin in einer Anzeige von Ikea. Bereits in den 1980er Jahren gab es Proteste, als Ikea die Breite schmälerte, um die Böden nicht zu überladen. Auch diese Veränderun­gen wollten die Fans nicht. Ikea berichtet, dass in einer Stockholme­r Filiale Kunden T-Shirts mit dem Aufdruck „Hände weg von unserem BILLY“trugen.

Zu vielen berühmten Möbeln gibt es solche Geschichte­n. Ihre Entstehung ist meist auch ein Zeugnis der Zeit. Sie sind so häufig gekauft worden, weil es neue Möglichkei­ten der Materialve­rwendung oder der Produktion gab. Ein gutes Beispiel dafür aus dem 19. Jahrhunder­t – der Stuhl 214 von der Firma Thonet. Allein bis 1930 wurde er im Original 50 Millionen Mal verkauft – und natürlich unzählige Male kopiert. Auch heute kennt man den 214 noch gut – den typischen Kaffeehaus­stuhl mit schlichtem Gestell und einer Sitzfläche aus Flechtwerk. Er stand in Hunderten Cafés und auch im Restaurant des Pariser Eiffelturm­s. Von dem soll einer Legende nach, die Thonet selbst weitergibt, 1889 einer dieser Stühle aus 57 Metern nach unten gestürzt und unbeschade­t angekommen sein.

Der Stuhl 214 wurde 1859 von Tischlerme­ister Michael Thonet entworfen. Er schaffte es, mit Hilfe von Druck und Dampf lange Holzstäbe elastisch zu machen – ein Grundstein für die serielle Massenprod­uktion und arbeitstei­lige Fertigung. Bis heute wird der Stuhl auf die gleiche Weise produziert wie früher. Originale haben auf der Unterseite des Sitzes ein Zeichen – einen Brandstemp­el oder einen Frästeller des Unternehme­ns Thonet.

Das Möbelstück wurde auch „Drei-Gulden-Stuhl“genannt, da es sich viele Menschen leisten konnten. Der Stuhl besteht aus sechs Bauteilen, zehn Schrauben und zwei Muttern und konnte zerlegt in einer Kiste in die ganze Welt verschickt werden – eine geniale Vertriebsi­dee zu seiner Entstehung­szeit und Grundlage für seinen Erfolg. Die schlichte Form machte den 214 darüber hinaus zum gestalteri­schen Klassiker: Er passt fast überall hin, bis heute.

Ein anderer Stuhl, der bei vielen Menschen im Original oder als Kopie zu Hause steht, hat eine durchgängi­ge Schale aus Plastik auf dünnen Holz- oder Metallfüße­n. Die Plastic Chairs sind ein Produkt des Designerpa­ares Charles und Ray Eames. Die Designer reichten den Entwurf 1948 bei einem Wettbewerb für kostengüns­tiges Möbeldesig­n ein. Sie wollten einen industriel­l produzierb­aren Stuhl für den privaten Einsatz anbieten. Da die ursprüngli­che Metallscha­le zu teuer war, suchten sie günstigere AlternaJah­ren tiven für die Sitzschale und stießen auf fiberglasv­erstärktes Polyesterh­arz. Sie sind laut der Firma Vitra, die heute in Europa und dem Mittleren Osten die Lizenz für das Produkt hat, die ersten seriell hergestell­ten Kunststoff­stühle.

Nach einer kurzen Pause wurden die Stühle in den 1990er Jahren aus Polypropyl­en gefertigt, das erschwingl­icher und ökologisch­er ist als Fiberglas. Übrigens: Der ursprüngli­che Fuß der Eames-Stühle aus Stahldraht nennt sich Eiffelturm-Untergeste­ll.

Der erste Stuhl, der komplett aus einem Stück Kunststoff gefertigt wurde, also inklusive des Fußes, ist der Panton Chair, ebenfalls von Vitra. Diese Art Stuhl wird auch als Freischwin­ger bezeichnet.

Seine Entwicklun­g dauerte ungewöhnli­ch lang: Der Entwurf entstand bereits in den 1950er Jahren, seit dem Jahr 1999 kann der Stuhl seiner Grundidee entspreche­nd produziert werden. Leider erst nach dem Tod des Designers Verner Panton. Das Problem war in den 1960er zunächst der Kunststoff. Vitra spricht von einer „kaum zu bewältigen­den Herausford­erung“, die Formvorste­llungen des Designers mit den Möglichkei­ten der damaligen Kunststoff­technik in Einklang zu bringen. Die Mitarbeite­r und der Designer hätten ab 1963 gemeinsam hart an der Entwicklun­g eines Prototyps gearbeitet, auch am Abend und am Wochenende.

1967 konnten sie eine kleine Vorserie von rund 150 Stück herstellen – zu wenig für die große Nachfrage, da das Verfahren teuer und aufwendig war. Ab 1968 wurden mit neuem Material zwar mehr Stühle produziert, diese mussten aber aufwendig manuell nachgearbe­itet werden. Da das Material außerdem alters- und witterungs­anfällig war, wurde 1979 die Produktion eingestell­t.

Im Jahr 1990 ging man die Herstellun­g wieder an – mit dauerhafte­rem, aber immer noch aufwendig zu bearbeiten­dem Polyuretha­n-Hartschaum. Erst 1999 konnte eine Lösung produziert werden, die Vernon Panton von Anfang an im Sinn hatte: Dank neuer Spritzguss­verfahren für Polypropyl­en wurde der Stuhl ein preiswerte­s Industriep­rodukt.

Immer wieder haben Stühle die Designgesc­hichte geprägt. So auch der Tulip Chair von Eero Saarinen für Knoll Internatio­nal sowie der gleichnami­ge Tisch (Pedestal Collection). Sie werden von einem einzigen, unten sehr breit auslaufend­en Fuß getragen. Die Form erinnert an den Fuß eines Weinglases oder eben an eine Tulpe.

Von dem Designer ist überliefer­t, dass er der „hässlichen, verwirrend­en, unruhigen Welt“, dem „Slum der Beine“, die er unter anderen Stühlen und Tischen wahrgenomm­en habe, eine Ende setzen wollte. Und er sagte: „Wir haben Stühle mit vier Beinen, mit drei und sogar mit zwei, aber niemand hat je einen mit nur einem Bein entwickelt, also werden wir das machen.“

Fünf Jahre brauchte die Entwicklun­g. Die Möbel gehören zu den bedeutsams­ten Klassikern. Stuhl und Tisch wurden unzählige Male kopiert. Simone Andrea Mayer, dpa

 ??  ?? Ein Klassiker unter den Möbelstück­en: das Billy-Regal (links). Aber auch andere Möbel haben eine lange, spannende Geschichte. Zum Beispiel der weltberühm­te „Panton Chair“(Mitte), der schlichte Kaffeehaus-Stuhl „214“von Thonet (rechts oben), der „Eames Plastic Chair“von Vitra (rechts Mitte) sowie der Tulip Chair von Eero Saarinen und der gleichnami­ge Tisch.
Ein Klassiker unter den Möbelstück­en: das Billy-Regal (links). Aber auch andere Möbel haben eine lange, spannende Geschichte. Zum Beispiel der weltberühm­te „Panton Chair“(Mitte), der schlichte Kaffeehaus-Stuhl „214“von Thonet (rechts oben), der „Eames Plastic Chair“von Vitra (rechts Mitte) sowie der Tulip Chair von Eero Saarinen und der gleichnami­ge Tisch.
 ??  ?? Foto: Arne Dedert, Louis Schnakenbu­rg, Thonet, Eduardo Perez, Knoll Internatio­nal, alle dpa
Foto: Arne Dedert, Louis Schnakenbu­rg, Thonet, Eduardo Perez, Knoll Internatio­nal, alle dpa
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