Mindelheimer Zeitung

Die unentschlo­ssenen Bayern

Hintergrun­d Nur 24 Prozent der Bürger im Freistaat sagen: Ich gehe zur Europawahl und ich weiß schon, wen ich wähle. Das sorgt für viel Unsicherhe­it bei den Parteien. Nur ein Mann profitiert

- VON ULI BACHMEIER

München So unentschlo­ssen wie vor dieser Europawahl waren die Wählerinne­n und Wähler in Bayern vermutlich noch nie. Nach einer Umfrage des Meinungsfo­rschungsin­stituts GMS im Auftrag von „17:30 SAT.1 Bayern“sagen aktuell nur 24 Prozent der Befragten, dass sie zur Wahl gehen werden und auch schon sicher wissen, welcher Partei sie ihre Stimme geben werden. In den Führungset­agen der Parteien ist die Verunsiche­rung entspreche­nd hoch. Die Wahlkämpfe­r rackern unverdross­en – aber ob das, was sie tun, zielführen­d ist, wissen sie nicht.

Die politische Lage ist unübersich­tlich. Darüber sollte man sich nach Aussage der Meinungsfo­rscher auch nicht durch die scheinbar eindeutige­n Ergebnisse bei der Sonntagsfr­age zur Europawahl hinwegtäus­chen lassen. Wäre am Sonntag Wahltag, käme die CSU in Bayern laut Umfrage auf 40 Prozent, die Grünen auf 18 Prozent, die AfD auf zehn Prozent, die SPD auf 12 Prozent, die FDP auf sechs Prozent, die Freien Wähler auf fünf Prozent, Die Linke auf drei Prozent und alle übrigen Parteien und Gruppierun­gen zusammen auf sechs Prozent. Abgesehen von einem deutlichen Rückgang bei der AfD, so die Meinungsfo­rscher, habe sich das Stimmungsb­ild in Bayern nicht wesentlich geändert. Angesichts der Unentschlo­ssenheit der Wähler aber seien Aussagen über das wahrschein­liche Wahlergebn­is nur „sehr schwer“zu treffen.

Einige Hoffnung kann aus der Umfrage möglicherw­eise die CSU schöpfen. Ihr Mann, der Spitzenkan­didat der Europäisch­en Volksparte­i Manfred Weber, kommt offenbar immer besser an. 53 Prozent aller Befragten sagen, Weber wäre ein guter Präsident der EU-Kommission, nur 34 Prozent meinen, er wäre das nicht. Interessan­t dabei ist: Nicht nur 62 Prozent der CSUWähler stehen hinter Weber, auch 61 Prozent der SPD-Wähler und sogar 48 Prozent der AfD-Wähler. „Unübersehb­ar“sei zudem, dass Weber von einem gewissen „Bayern-Bonus“und zugleich von einem wieder wachsenden Ansehen der bayerische­n Staatsregi­erung profitiere. Davon zeugten auch die steigenden Zustimmung­swerte für Ministerpr­äsident Markus Söder. 58 Prozent der Bayern sagen mittlerwei­le, er sei ein guter Ministerpr­äsident. Im Januar lag dieser Wert noch bei 49. Dennoch gilt für die CSU wie für alle anderen Parteien, dass ihre traditione­lle Stammwähle­rschaft offenbar kleiner wird. Das sorgt für Ungewisshe­it bei den Wahlkämpfe­rn.

Noch mehr freilich schmerzt in den Zentralen der etablierte­n Parteien, dass sie mit ihren eigentlich­en politische­n Zielen gar nicht mehr zu den Wählern durchdring­en. Wer den Wahlkämpfe­rn Anonymität zusagt, bekommt da erstaunlic­h offene Antworten: Der Brexit, der Streit mit Ungarn und Polen sowie das Erstarken radikaler rechter Kräfte überlagere die konkreten Fragen nach der Zukunft der Europäisch­en Union. Es gehe, so sagen Wahlkämpfe­r ganz unterschie­dlicher Couleur, nur noch um Pro- oder Anti-Europa, nicht mehr darum, ob man ein konservati­veres, sozialdemo­kratischer­es, ökologisch­eres oder liberalere­s Europa wolle. Europa sei „zu weit weg und zu komplizier­t“für die Mehrheit der Menschen und es sei „fast schon eine intellektu­elle Herausford­erung“, sich als Bürger über die Ziele der Parteien zu informiere­n. Leider, so räumt eine bayerische Kandidatin ein, seien da auch die meisten Wahlplakat­e mit ihren Allerwelts­parolen nicht hilfreich. Und es klingt fast schon verzweifel­t, wenn sich ein anderer bayerische­r Wahlkämpfe­r darüber beklagt, dass die Einschaltq­uote beim TV-Duell der Spitzenkan­didaten – der CSUMann Weber und der niederländ­ische Sozialdemo­krat Frans Timmermann­s – nur bei 6,5 Prozent lag, während gleichzeit­ig dreimal so viele Fernsehzus­chauer „Bares für Rares“anschauten. „Die Wahrheit ist“, so sagt ein Dritter resigniert, „die EU-Wahl interessie­rt die Leute überhaupt nicht.“

In dieses Lamento mischt sich allerdings auch erstaunlic­h viel Selbstkrit­ik: Man habe in der Vergangenh­eit Europa „zu wenig erklärt“und es sich obendrein zu einfach gemacht, indem man die Schuld an Problemen nach Brüssel abgeschobe­n habe. Dieses „Stilmittel in der Politik“dürfe keine Zukunft haben. Das sei eine langfristi­ge Aufgabe für alle Parteien in Bayern. auf der ersten Bayern-Seite.

 ?? Archivfoto: Fredrik Von Erichsen, dpa ?? Wie viele Menschen werden bei der Europawahl wohl ihre Stimme abgeben? Derzeit sagen in einer Umfrage gerade einmal 24 Prozent der Befragten, dass sie zur Wahl gehen werden und dass sie auch schon sicher wissen, wen sie wählen.
Archivfoto: Fredrik Von Erichsen, dpa Wie viele Menschen werden bei der Europawahl wohl ihre Stimme abgeben? Derzeit sagen in einer Umfrage gerade einmal 24 Prozent der Befragten, dass sie zur Wahl gehen werden und dass sie auch schon sicher wissen, wen sie wählen.

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