„Bevölkerung nahm Experiment nicht wirklich ernst“
Forschung Alle Gaggenauer sollten künftig ein Jahr länger leben. So lautete das Ziel. Das Projekt scheiterte grandios
Gaggenau Die Wissenschaft treibt manchmal eigentümliche Blüten. So etwa im nordbadischen Städtchen Gaggenau, das in direkter Nachbarschaft zur weltberühmten Kurstadt Baden-Baden liegt. Gaggenau war Schauplatz eines wissenschaftlichen Experimentes, das sich dort in den vergangenen drei Jahren abspielte. Forscher wollten herausfinden, was eine Kommune tun muss, dass danach ihre Bevölkerung im Schnitt ein Jahr länger lebt. Dieses Projekt ist aber auf ganzer Linie gescheitert.
Oberbürgermeister Christof Florus (parteilos) sagte nun unserer Redaktion: „In der Bevölkerung hat man das natürlich nicht wirklich ernst genommen“, so der 62-Jährige. „Wie soll das gehen? Eine Stadtverwaltung stellt dies oder jenes um – und dann leben alle ein Jahr länger. Das ist selbstverständlich schwer möglich.“Ein teurer Spaß: Denn das Land hatte das Vorhaben „Ein gutes Jahr mehr für jeden Bürger“mit jährlich 350000 Euro gefördert.
„Wir hatten noch nicht das richtige Handwerkszeug“, sagte Professor Joachim E. Fischer von der Medizinischen Fakultät Mannheim, der das Projekt leitete. Zwar seien viele Prozesse angestoßen worden, von denen die Gemeinde profitieren könne. Drei Jahre seien für konkrete Ergebnisse aber zu kurz gewesen.
Untersucht worden waren Themen wie langfristige Gesundheitsförderung, gute Bedingungen in der Schule, ein lebenswertes Umfeld auf dem Arbeitsplatz oder in Wohnquartieren. Aber: „Es ist bislang nichts Vorzeigbares passiert“, räumte Fischer ein. Man sei ein riesiges Stück vorangekommen dabei, wie Behörden, Schulen, Kindergärten und Gemeinderat in ein solches Vorhaben zu integrieren seien. „Denk- und Kulturveränderungen brauchen Zeit“, sagte der Wissenschaftler. Wenn Gaggenau aber auf dem eingeschlagenen Weg weitergehe, dann werde die Gemeinde in acht bis zehn Jahren greifbare Resultate haben. Allerdings ist die Finanzierung des Projektes am 30. April ausgelaufen.
Wie haben die Gaggenauer die Untersuchung in den vergangenen drei Jahren überhaupt mitbekommen? „Konkret haben die Bürger das Projekt etwa dadurch bemerkt, dass in den Kindergärten und Schulen Befragungen zur sozialen und emotionalen Entwicklung der Kinder durchgeführt wurden“, sagte Florus. Eine wirklich wichtige Erkenntnis zieht der Oberbürgermeister aus einem Befund: „Viele Kinder wissen überhaupt nicht mehr, wie sie sich richtig bewegen sollen. Früher war es üblich, dass Kinder draußen herumgetobt, im Wald gespielt haben. Das wird immer seltener. Hier wollen wir vielleicht neue Angebote entwickeln, um dieser Entwicklung entgegenzutreten.“Dass die Bevölkerung in den vergangenen Jahren von 29000 auf 30000 Menschen gewachsen sei, führt der OB aber auf politische Weichenstellungen etwa durch Ausweisung von Wohngebieten zurück. Und nicht auf die Arbeit der Forscher. Recht wenig Ertrag für rund eine Million Euro Fördergeld.