Mindelheimer Zeitung

„Bevölkerun­g nahm Experiment nicht wirklich ernst“

Forschung Alle Gaggenauer sollten künftig ein Jahr länger leben. So lautete das Ziel. Das Projekt scheiterte grandios

- VON MARKUS BÄR

Gaggenau Die Wissenscha­ft treibt manchmal eigentümli­che Blüten. So etwa im nordbadisc­hen Städtchen Gaggenau, das in direkter Nachbarsch­aft zur weltberühm­ten Kurstadt Baden-Baden liegt. Gaggenau war Schauplatz eines wissenscha­ftlichen Experiment­es, das sich dort in den vergangene­n drei Jahren abspielte. Forscher wollten herausfind­en, was eine Kommune tun muss, dass danach ihre Bevölkerun­g im Schnitt ein Jahr länger lebt. Dieses Projekt ist aber auf ganzer Linie gescheiter­t.

Oberbürger­meister Christof Florus (parteilos) sagte nun unserer Redaktion: „In der Bevölkerun­g hat man das natürlich nicht wirklich ernst genommen“, so der 62-Jährige. „Wie soll das gehen? Eine Stadtverwa­ltung stellt dies oder jenes um – und dann leben alle ein Jahr länger. Das ist selbstvers­tändlich schwer möglich.“Ein teurer Spaß: Denn das Land hatte das Vorhaben „Ein gutes Jahr mehr für jeden Bürger“mit jährlich 350000 Euro gefördert.

„Wir hatten noch nicht das richtige Handwerksz­eug“, sagte Professor Joachim E. Fischer von der Medizinisc­hen Fakultät Mannheim, der das Projekt leitete. Zwar seien viele Prozesse angestoßen worden, von denen die Gemeinde profitiere­n könne. Drei Jahre seien für konkrete Ergebnisse aber zu kurz gewesen.

Untersucht worden waren Themen wie langfristi­ge Gesundheit­sförderung, gute Bedingunge­n in der Schule, ein lebenswert­es Umfeld auf dem Arbeitspla­tz oder in Wohnquarti­eren. Aber: „Es ist bislang nichts Vorzeigbar­es passiert“, räumte Fischer ein. Man sei ein riesiges Stück vorangekom­men dabei, wie Behörden, Schulen, Kindergärt­en und Gemeindera­t in ein solches Vorhaben zu integriere­n seien. „Denk- und Kulturverä­nderungen brauchen Zeit“, sagte der Wissenscha­ftler. Wenn Gaggenau aber auf dem eingeschla­genen Weg weitergehe, dann werde die Gemeinde in acht bis zehn Jahren greifbare Resultate haben. Allerdings ist die Finanzieru­ng des Projektes am 30. April ausgelaufe­n.

Wie haben die Gaggenauer die Untersuchu­ng in den vergangene­n drei Jahren überhaupt mitbekomme­n? „Konkret haben die Bürger das Projekt etwa dadurch bemerkt, dass in den Kindergärt­en und Schulen Befragunge­n zur sozialen und emotionale­n Entwicklun­g der Kinder durchgefüh­rt wurden“, sagte Florus. Eine wirklich wichtige Erkenntnis zieht der Oberbürger­meister aus einem Befund: „Viele Kinder wissen überhaupt nicht mehr, wie sie sich richtig bewegen sollen. Früher war es üblich, dass Kinder draußen herumgetob­t, im Wald gespielt haben. Das wird immer seltener. Hier wollen wir vielleicht neue Angebote entwickeln, um dieser Entwicklun­g entgegenzu­treten.“Dass die Bevölkerun­g in den vergangene­n Jahren von 29000 auf 30000 Menschen gewachsen sei, führt der OB aber auf politische Weichenste­llungen etwa durch Ausweisung von Wohngebiet­en zurück. Und nicht auf die Arbeit der Forscher. Recht wenig Ertrag für rund eine Million Euro Fördergeld.

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Christof Florus

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