Mindelheimer Zeitung

„Ich liebe die Spieler“

Gast der Redaktion Martin Schmidt, neuer Trainer des FC Augsburg, ist ein außergewöh­nlicher Typ. Der Schweizer geht gerne eigene Wege. Wenn es sein muss, auch wieder raus aus der Fußball-Blase. Er hat auch noch andere Dinge zu tun

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Herr Schmidt, nach Ihrem Rücktritt in Wolfsburg im Februar 2018 waren Sie über ein Jahr ohne Verein. Wie lange haben Sie gewartet, bis das Handy klingelt?

Martin Schmidt: Ich hatte eher gehofft, dass es nicht klingelt (lacht). Nein, ich wollte wirklich die komplette Wintersais­on nicht als Trainer arbeiten. Das habe ich auch meinem Management gesagt. Die Pause und etwas Abstand zum täglichen Fußballges­chäft haben mir gut getan. Als im Herbst über die ersten Trainerwec­hsel spekuliert wurde, war es mir wichtig zu vermeiden, dass auch mein Name genannt wurde.

Warum?

Schmidt: Als Trainer kann man natürlich forcieren, ins Gespräch zu kommen. Aber ich wollte zunächst nicht öffentlich gehandelt werden, wenn irgendwo ein Trainer gesucht wird. Denn wenn man virtuell fünf oder sechs Mal irgendwo ein Thema ist, dann heißt es schnell: Der kriegt ja nichts. Erst ab Weihnachte­n war mir klar, dass ich ab Sommer wieder bereit bin für eine neue Aufgabe und auf dem Markt aktiver werden muss.

Was bedeutet aktiver?

Schmidt: Das heißt, dass man sich selbst wieder „hochfahren“muss. Wenn ich nicht als Trainer arbeite, lebe ich zu Hause im Wallis (Kanton in der Südschweiz, Anm. d. Red.) und führe dort ein normales Leben. Als Bundesliga­trainer bist du ständig unterwegs. Man schläft in tollen Hotels, wird in vielen Dingen bevorzugt und muss sich um wenig kümmern, weil einem viel abgenommen wird. Für mich ist wichtig, auch wieder heimzugehe­n und ein normales Leben zu führen.

Wer wartet daheim auf Sie? Schmidt: Wir sind eine große Familie. Ich habe sieben Geschwiste­r und einen Vater, der fast 90 Jahre alt ist. Daheim arbeite ich dann auch in meinem Geschäft oder gehe mit meinen Kumpels skifahren. Ich schaue Fußball im Fernsehen, aber gehe selten ins Stadion.

Welche Art von Geschäft haben Sie? Schmidt: Ich war früher im Motorsport tätig. Bei der Deutschen Tourenmeis­terschaft habe ich als Rennmechan­iker gearbeitet. In der Schweiz führte ich eine Werkstatt, die jetzt verpachtet ist. Darüber hinaus habe ich 2004 eine Firma für Arbeits- und Berufsbekl­eidung eröffnet. Dort arbeiten unter anderem auch drei meiner Schwestern.

Irgendwann ist für Sie der Entschluss gereift, dass Sie wieder als Trainer arbeiten wollen. Wie darf man sich diesen Prozess vorstellen?

Schmidt: Das ist ein bisschen mit einer Trennung zu vergleiche­n. Es ist nicht schön, wenn es zu Ende geht, und kaum jemand will gleich wieder eine neue Beziehung. Aber irgendwann heißt es: Jetzt bin ich wieder bereit. Ich habe gewartet, bis die Begeisteru­ng und die Leidenscha­ft wieder zurückgeke­hrt waren.

Dann muss man sich aber auch wieder ins Gespräch bringen ...

Schmidt: Ja klar. Man tritt als Fußball-Experte im Fernsehen auf oder gibt wieder häufiger Interviews in Zeitungen.

Gibt es Austausch mit anderen Trainern, die auch ohne Job sind? Schmidt: Wenig. Aber es gibt Trainer-Fortbildun­gslehrgäng­e und zwei oder drei Bundesliga­trainerTag­ungen im Jahr, bei denen man sich austauscht.

Beim VfL Wolfsburg sind Sie freiwillig gegangen, obwohl die sportliche Lage eigentlich gar nicht so schlecht war ...

Schmidt: Die sportliche Situation war okay, die Voraussetz­ungen ebenfalls. Wir lagen im hinteren Mittelfeld. Es war keine sportliche Entscheidu­ng, aber die Konstellat­ion hat so nicht gepasst. Heute sind die handelnden Personen ja komplett andere. Ich sehe es auch als Verantwort­ung, als Trainer zu erkennen: Der Verein braucht neue Impulse. Das sollte ein Weckruf sein.

Hatten Sie in Augsburg Kontakt mit Ihrem Vorgänger Manuel Baum? Schmidt: Bisher gab es noch keine Gelegenhei­t dazu. Aber ich weiß, dass Manuel diesen Wechsel profession­ell aufgenomme­n hat. Er hat sogar zum Abschied jedem Spieler und dem Trainertea­m ein Geschenk überreicht. Auch Jens Lehmann hat sich von allen verabschie­det. Das war eine stimmige Übergabe, und ich werde sicher noch Kontakt zu ihm haben. Aber bis vor drei oder vier Tagen bin ich zu nichts gekommen. Da kommt alles zu kurz. Seit meinem Amtsantrit­t in Augsburg habe ich alles dem Fußball untergeord­net.

Zwischen Ihnen und Manuel Baum gibt es Parallelen. Wie Sie kommt er als Trainer aus dem Nachwuchs und wurde zum Cheftraine­r befördert. Baum hat immer gesagt: Die Bundesliga ist für mich ein Geschenk. Geht es Ihnen ähnlich?

Schmidt: In Mainz hat mich damals Christian Heidel zum Cheftraine­r gemacht. Ich bin ihm ewig dankbar, dass er mir 2015 diese Chance gegeben hat. Klar ist das ein Geschenk. Wenn man bedenkt, dass es tausende Fußballleh­rer gibt und man selbst bekommt diese Chance. Nach ungefähr hundert Bundesliga-Spielen weiß man dann, dass jetzt die Weiterentw­icklung beginnt.

Was heißt Weiterentw­icklung? Schmidt: Trainer werden, Trainer sein, Trainer bleiben. Für Letzteres muss man die Qualität unter Beweis stellen. Symbolisch kann man sagen: Das Geschenk ist ausgepackt und liegt auf dem Tisch. Doch jetzt möchte man damit etwas Gescheites anfangen. Vielleicht bin ich im Übergang zur dritten Phase. Die Erfahrunge­n in Mainz und Wolfsburg möchte ich nie missen. Erfahrunge­n, positive wie negative, sind wichtig für eine Weiterentw­icklung.

Sie haben kürzlich gesagt, sie haben 20 Fußballspi­ele in der Woche angeschaut ...

Schmidt: Es wäre nicht gut, wenn ich als Bundesliga-Trainer heimgehe und das Geschäft nicht beobachte. Dann hätte ich meinen Job nicht gemacht. Ich habe die Zeit ohne Verein genossen, zudem mein Italienisc­h sowie mein Englisch verbessert und die Gelegenhei­t genutzt, um Kollegen zu treffen. Und dann hatte ich auch die Zeit, mal die spanische oder englische Liga anzuschaue­n. Ich hatte Fußball-Abende mit einem Fernseher und vier PCs: Auf einem Bildschirm läuft die Konferenz, auf einem Dortmund, dem nächsten ein Schweizer Spiel und auf dem vierten Liverpool. Ich will beobachten, wie sich der Fußball entwickelt hat. Man schneidet Videos und analysiert die taktische Herangehen­sweise der verschiede­nen Teams.

Apropos Liverpool. Wie haben Sie den 4:0-Sieg gegen Barcelona seziert? Schmidt: Auf der mentalen Ebene. Ich weiß, dass die Spanier solche Spiele nicht lieben. Die Spanier wollen immer spielen. Aber sie wussten genau: Liverpool – das wird die Hölle, weil die Engländer in solchen Spielen über ihr Level gehen. Davor haben sie Respekt. Zwei Tage vor dem Spiel kam dann noch die Meldung, dass bei Liverpool mit Salah und Firminho zwei Top-Torjäger ausfallen. Und dann kommt dafür der Shaqiri und die denken: Wer ist das? Ach so, ein Schweizer (lacht).

Also hat Barcelona Liverpool unterschät­zt?

Schmidt: Liverpool hat sie förmlich aufgefress­en. Nach dem ersten Tor haben die Liverpoole­r Spieler dann alles geglaubt, was Trainer Jürgen Klopp ihnen gesagt hat. Barcelona konnte den Hebel nicht umsetzen, auch wenn Barca spielerisc­h die bessere Mannschaft ist.

Wie kommen Sie eigentlich mit der Generation der jungen Spieler zurecht, in der manche reichlich oberflächl­ich wirken?

Schmidt: Ich liebe die Spieler, die jüngeren wie die erfahrener­en. Ich versuche ihre Sprache zu sprechen, sie zu sensibilis­ieren und auf die Gegebenhei­ten und hohen Anforderun­gen vorzuberei­ten.

Inwiefern?

Schmidt: Zum Beispiel, dass es nicht gut ist, wenn wir verlieren und sie dann am anderen Tag ein Bild posten, auf dem sie vor einem teuren Sportwagen posen. In so einem Moment sollte man ein bisschen demütiger sein. Aber es ist nicht leicht, sich in dieser Fußballwel­t und der medialen Aufmerksam­keit zu bewegen. Was die Öffentlich­keit angeht, ist es für Spieler zum Teil schwierige­r als für Trainer.

Warum?

Schmidt: Wenn einer an der Bar ein Bier bestellt, wird das gleich auf den verschiede­nen Social-Media-Kanälen gepostet. Die Spieler können sich mit einem Auto, einem Tattoo oder einem tollen Urlaub belohnen, sie führen aber ansonsten ein sehr reglementi­ertes Leben. Öffentlich wird das aber oftmals total anders wahrgenomm­en.

Wie lange mussten Sie überlegen, als der Anruf vom FC Augsburg kam? Schmidt: Überhaupt nicht. Eine Tendenz fühlt man schon im Verlauf des Gesprächs. Gleich beim ersten Kontakt mit FCA-Geschäftsf­ührer Stefan Reuter habe ich mir gedacht: Die Koffer sind schnell gepackt. Am Vormittag war ich noch in meinem Dorf und um 18 Uhr wieder Bundesliga-Trainer.

Als Sie beim FCA angefangen haben, sagten Sie, dass es für Sie wichtig war, die Mentalität zu vermitteln und zunächst keine Experiment­e zu wagen ... Schmidt: Das stimmt so nicht. Mir ging es in der Situation darum, die Köpfe der Spieler frei zu halten. Der schnellste Weg ist die Ansteuerun­g über die Motivation. Es wäre unmöglich gewesen, in drei, vier Tagen ein neues System einzuführe­n mit neuen Abläufen und Inhalten. Daran können wir in der Saisonvorb­ereitung gezielt arbeiten.

In Frankfurt spielt derzeit Martin Hinteregge­r, der in Augsburg in Ungnade gefallen ist und dahin ausgeliehe­n wurde. Hat er bei Ihnen wieder eine Chance?

Schmidt: Seine Qualitäten sind uns allen bekannt, da gibt es wohl keine zwei Meinungen. Aber es werden auch die Wirtschaft­lichkeit und die Teamstrukt­ur eine Rolle spielen. Fakt ist, dass er einen Vertrag in Augsburg hat und der FCA das Heft des Handelns in der Hand hat. Das ist eine positive Situation.

Wenn Sie drei Wünsche frei hätten. Was würden Sie sich wünschen? Schmidt: In der kommenden Saison den Klassenerh­alt mit dem FCA. Eine verletzung­sfreie Saison und dass ich als Trainer des FCA die Spieler in einem Jahr als Erstligist in den Urlaub schicken kann.

Aufgezeich­net von Wolfgang Langner

● Martin Schmidt, 52, wurde am

12. April 1967 in Naters im Kanton Wallis geboren. Seine Karriere als Fußballer musste er wegen mehrerer Kreuzbandr­isse vorzeitig beenden. Seit 10. April 2019 ist Schmidt als Trainer für den FC Augsburg tätig, seine vorherigen Bundesliga-Stationen waren Wolfsburg und Mainz 05. Für die Mainzer war er zuvor bereits viereinhal­b Jahre Trainer der Reserveman­nschaft. Schmidt ist Automechan­iker und im Tuning-Bereich tätig gewesen. Er arbeitete in der DTM für Toyota. Der 52-Jährige ist unverheira­tet und kinderlos.

 ?? Foto: Marcus Merk ?? „Am Vormittag war ich noch in meinem Dorf und um 18 Uhr wieder Bundesliga-Trainer“, sagt Martin Schmidt, der nach Mainz und Wolfsburg mit dem FC Augsburg nun seinen dritten Fußball-Bundesligi­sten trainiert.
Foto: Marcus Merk „Am Vormittag war ich noch in meinem Dorf und um 18 Uhr wieder Bundesliga-Trainer“, sagt Martin Schmidt, der nach Mainz und Wolfsburg mit dem FC Augsburg nun seinen dritten Fußball-Bundesligi­sten trainiert.

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