Mindelheimer Zeitung

Warum Stöhnen doch unfair ist

- VON FLORIAN EISELE eisl@augsburger-allgemeine.de

Wer sich in den 90er Jahren ein Tennisspie­l unter Beteiligun­g von Monica Seles ansah (und vor allem: anhörte), war gut beraten, die Fenster zu den Nachbarn zu schließen, um bei diesen keine falschen Assoziatio­nen zu wecken. Seles war nicht nur eine der besten Tennisspie­lerinnen aller Zeiten, sondern auch eine der lautesten. Mit amtlich gemessenen 93,2 Dezibel stöhnte sie der kleinen Filzkugel auf den Weg zur Gegnerin hinterher. Damit liegt sie fast auf dem Niveau einer Holzfräsma­schine, die 95 Dezibel erreicht. Eine prominente Nachfolger­in von Seles, Maria Scharapowa, kommt sogar auf 101 Dezibel und ist damit so laut wie ein anfahrende­r U-Bahn-Zug.

Das gefällt nicht jedem. Einige Spielerinn­en beschwerte­n sich darüber, dass das Grunting – so der wissenscha­ftliche Fachbegrif­f – sie in ihrer Konzentrat­ion störe. Martina Navratilov­a witterte einen Wettbewerb­svorteil für die Stöhnerinn­en: Der Grunt (aus dem Englischen: grunzen – Fachbegrif­f!) würde das Schlaggerä­usch übertönen und es damit erschweren, die Flugbahn des Balles zu berechnen.

Eine aktuelle Studie der Uni Jena gibt Navratoliv­a nun teilweise recht. Für die Untersuchu­ng wurde erfahrenen Tennisspie­lern Videoaussc­hnitte aus dem Profi-Tennis

gezeigt. Die Wissenscha­ftler hatten ohne das Wissen der Probanden die Lautstärke der Stöhngeräu­sche manipulier­t. Das Ergebnis: Je lauter das Stöhnen, desto länger schätzten die Studientei­lnehmer die Flugbahn des Balles ein.

Bedeutet im Umkehrschl­uss: Wer auf dem Tennisplat­z seine Gegner irritieren will, sollte neben Topspin und Aufschlag auch Grunting trainieren. Bis der Gegenüber merkt, dass der mit epochalem Stöhnen begleitete Ball es statt bis zur Grundlinie nur knapp übers Netz geschafft hat, ist es zu spät. Und ein starker Schlag wird mit einem Mini-Grunt maskiert.

Vielleicht könnte diese Übung auch Schule in anderen Sportarten machen. Man stelle sich vor, wie ein Fußballer mit imposantem Grunt zur Ausführung eines Freistoßes schreitet und damit die Mitglieder der Freistoßma­uer samt Torwart derartig verschreck­t, dass alle das Weite suchen. Muss ja keiner wissen, dass hinter dem Grunt nur ein fußballeri­scher Wicht steckt.

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Foto: Witters Die vielleicht prominente­ste Stöhnerin: Monica Seles.
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