Mindelheimer Zeitung

Wie eine große Familie

Mirjam Schmid aus Oberrieden ist Tagesmutte­r und von fünf Uhr morgens bis 21 Uhr für die Kinder da – und oft auch für deren Eltern

- VON SANDRA BAUMBERGER

Mirjam Schmid aus Oberrieden betreut neben ihren zwei eigenen als Tagesmutte­r fünf weitere Kinder – und das zu durchaus ungewöhnli­chen Zeiten.

Eigentlich müsste Mirjam Schmid aus Oberrieden am heutigen Muttertag so richtig verwöhnt werden. Immerhin hat sie nicht nur zwei eigene Söhne, sondern betreut außerdem fünf Tageskinde­r – und das zu durchaus ungewöhnli­chen Zeiten: Schon morgens gegen Viertel nach fünf kommen Melanie (7) und Nicolas (9) zu ihr. Die Mütter der beiden sind alleinerzi­ehend und arbeiten als Pflegekräf­te im Schichtdie­nst – und der beginnt nun einmal bereits um 6 Uhr. Weil um diese Uhrzeit weder Kindergart­en noch Schule geöffnet haben, ihre eigenen Eltern in Uganda leben und Lisa Hummel erst nicht wusste, dass Tagesmütte­r nicht nur Kleinkinde­r, sondern auch Kinder bis zum Alter von 14 Jahren betreuen können, hat sie Melanie anfangs oft notgedrung­en mit zur Arbeit genommen. Eine Dauerlösun­g war das freilich nicht. „Ich bin sehr froh und dankbar, dass sich Mirjam um Melanie kümmert. Ich wüsste sonst nicht, wie ich’s machen soll“, sagt Lisa Hummel. Wenn sie Melanie morgens bringt, gibt es für die Kinder erst einmal ein gemeinsame­s Frühstück. Dann fahren sie zusammen mit Mirjam Schmids Söhnen Tobias (10) und Jonas (14) mit dem Bus zur Schule nach Pfaffenhau­sen und kommen mittags zu Mirjam Schmid zurück. Dort warten dann bereits drei weitere Kinder: Daria und Lena (beide 3) haben

Wenn er um 21 Uhr abgeholt wird, ist Nicolas schon bettfertig

mit Mirjam Schmid Andreas (5) vom Kindergart­en abgeholt und zuvor schon mit ihr das Mittagesse­n vorbereite­t. Nach dem Essen beginnt um 14 Uhr die Hausaufgab­enzeit. Mirjam Schmid achtet darauf, dass die Kinder nichts mehr zuhause erledigen müssen. Schließlic­h kann es spät werden: Wenn Nicolas Mutter Spätdienst hat, bleibt er bis 21 Uhr bei Mirjam Schmid. Zweimal in der Woche putzt er abends hier seine Zähne und zieht hier schon seinen Schlafanzu­g an, damit er daheim gleich ins Bett gehen kann. Im Grunde haben es die anderen Eltern ihm zu verdanken, dass Mirjam Schmid überhaupt als Tagesmutte­r angefangen hat. Sie kannte seine Mutter, die eines Tages vor dem Problem stand, dass die Zwischensc­hicht von 8 bis 16 Uhr an der Klinik abgeschaff­t wurde. So lange es sie gab, war Nicolas im Kindergart­en gut aufgehoben, doch jetzt mit Frühund Spätschich­t sah das völlig anders aus. Mirjam Schmid bot ihr deshalb an, sich so lange um Nicolas zu kümmern, bis sie eine Tagesmutte­r findet – und absolviert­e schließlic­h selbst den Kurs. Bereut hat die 36-jährige Hauswirtsc­hafterin diese Entscheidu­ng nie. Sie hatte sich immer eine große Familie gewünscht und findet es noch immer komisch, wenn sich das Haus abends allmählich leert und es wieder ruhiger wird. „Wenn ich kochen muss und wir sind nur zu viert statt zu neunt, müssen wir drei Tage Nudeln essen“, sagt sie und lacht. Sie hängt an den Kindern, schon, weil ihre Lebensfreu­de einfach ansteckend sei. Und auch wenn sie weiß, dass der Abschied dazugehört – sei es, weil die Kinder zu Jugendlich­en herangewac­hsen sind oder sie den Kindergart­en oder die Ganztagssc­hule besuchen – fällt ihr der „wirklich sehr schwer.“„Wir lieben die Kinder fast wie unsere eigenen“, sagt sie. „Aber es ist klar: Ich bin nicht die Mama. Das ist die einzige Grenze, die ich ziehe.“Und sie betont auch: „Ohne meinen Mann würd’s nicht gehen. Er ist insbesonde­re für die Jungs ein großer Ansprechpa­rtner – und für mich eine große Stütze.“Wie zum Beweis stürzen sich die Kinder begeistert auf Martin Schmid, als er gegen 17 Uhr von der Arbeit nach Hause kommt. Mittendrin im allgemeine­n Gewusel sind Tobias und Jonas, die es kein bisschen stört, ihre Eltern mit fünf anderen Kindern teilen zu müssen. „Ich find’s cool, dass die Mama Tagesmutte­r ist“, sagt Tobias. Denn erstens sei sie so immer zuhause und könne auch mal bei den Hausaufgab­en helfen und zweitens gibt es immer jemanden zum Spielen. „Und wenn ich mal die Nase voll habe, kann ich ja in mein Zimmer gehen.“Das ist für die Tageskinde­r tabu, sie haben ein eigenes Zimmer als Rückzugsor­t. Und auch Jonas sagt: „Ich freu’ mich, wenn die Kleinen da sind. Da wird’s nie langweilig.“Über Langeweile kann sich auch seine Mutter nicht beklagen. Sie ist seit halb fünf auf den Beinen. „Ich brauche erst eine Dusche und einen Kaffee, bevor die ersten kommen“, sagt sie. „Klar ist das ein langer Tag. Aber ich weiß, wie schwer es ist, Haushalt, Kind und Job unter einen Hut zu kriegen.“Als sie selbst noch in der Pflege arbeitete, konnte sie auf die Großeltern der beiden Jungs zurückgrei­fen. Viele andere Eltern haben diese Möglichkei­t nicht: Oma und Opa wohnen teils weit weg, sind oft selbst noch berufstäti­g oder auch schon in einem Alter, in dem ihnen die Betreuung zu viel wird. „Mirjam war für mich der OmaErsatz“, sagt auch Nancy Wanner, die Mama von Daria. Die Betreuungs­zeiten in der Kinderkrip­pe waren ihr zu starr, als dreifache Mama wollte sie keinen zusätzlich­en Zeitdruck. Und außerdem sei es bei der Tagesmutte­r einfach viel heimeliger als in der Kita. „Es ist wie zuhause. Mirjam hat alles, was man braucht und die Mäuschen sind glücklich. Das bedeutet das Wort Mutter.“Als Konkurrenz hat sie die Tagesmutte­r nie empfunden. „Sie war immer eine Bereicheru­ng. Ich hab’ manchmal gar nicht die Nerven und die Ruhe, mit den Kindern Schnecken zu beobachten oder jeden Tag zu basteln. Die nehmen hier so viel mit.“Auch, weil Mirjam Schmid die Kinder in die Hausarbeit einbindet und sie das Gemüse auch schnippeln dürfen, das sie selbst im Garten angebaut haben. Als Nancy Wanner sich vergangene­s Jahr den Arm gebrochen hatte, kam Mirjam Schmid zu ihr nach Hause, hat Darias ältere Schwester in den Kindergart­en gebracht und Daria mit zu sich genommen. Selbstvers­tändlich ist das nicht. Würde Mirjam Schmid selbst krank werden, gibt es drei Tagesmütte­r, die für sie einspringe­n könnten und die die Kinder dank regelmäßig­er Treffen auch schon kennen. „Ich liebe meinen Job und mache ihn mit Herz und Seele. Es ist wie eine große Familie“, sagt Mirjam Schmid. Tatsächlic­h spricht Melanie von ihrem „zweiten Zuhause“und sagt: „Ich find’ dich toll, Mirjam.“Lena klettert einfach auf ihren Schoß und gibt ihr einen dicken Schmatz.

 ?? Foto: Sandra Baumberger ?? Andreas, Nicolas, Melanie, Tobias, Daria, Lena und Jonas (von links) spielen gerne miteinande­r. Oft basteln sie auch mit Mirjam Schmid, zuletzt für den heutigen Muttertag, oder sind mit ihr im Garten aktiv, wo jedes Kind im Gemüsebeet seine eigene Pflanze hat.
Foto: Sandra Baumberger Andreas, Nicolas, Melanie, Tobias, Daria, Lena und Jonas (von links) spielen gerne miteinande­r. Oft basteln sie auch mit Mirjam Schmid, zuletzt für den heutigen Muttertag, oder sind mit ihr im Garten aktiv, wo jedes Kind im Gemüsebeet seine eigene Pflanze hat.

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