Mindelheimer Zeitung

„Er ist eine moralische Institutio­n“

Interview Der Politikwis­senschaftl­er Karl-Rudolf Korte hat ein Buch über die Macht des Bundespräs­identen geschriebe­n. Wie wichtig ist dieses Amt in Zeiten, in denen das Vertrauen in die Politik schwindet?

- Interview: Margit Hufnagel

Herr Korte, braucht Deutschlan­d überhaupt einen Bundespräs­identen? Korte: Ja, unbedingt. Der Bundespräs­ident ist die politische Integratio­nsinstanz des Landes, er ist Mithüter der Verfassung, eine Reservemac­ht. Der Bundespräs­ident gehört nicht nur zur Entscheidu­ngselite, sondern vor allem zur Deutungsel­ite. Er ist damit eine moralische Institutio­n, der idealerwei­se mit Vertrauen führt.

Vieles geschieht hinter den Kulissen von Schloss Bellevue. Aber wie kann ein Bundespräs­ident quasi „unsichtbar“Einfluss auf die Gesellscha­ft nehmen?

Korte: Der Bundespräs­ident kann auch hinter den Kulissen Macht ausüben, weil er wichtige Akteure nicht nur spricht, sondern sie auch zusammenfü­hrt. Er kann also Macht ausüben, ohne sie zu zeigen. Mit seiner Kraft, Öffentlich­keit herzustell­en, hat er auch Sanktionsm­öglichkeit­en, um als Meinungsbi­ldner oder Türöffner mit zu gestalten.

Die Menschen haben – zumindest wenn man Umfragen glauben kann – eine zunehmende Sehnsucht nach starken Führern. Kann ein Bundespräs­ident dieses Bedürfnis erfüllen?

Korte: Es ist eine Gratwander­ung, da dieser Wunsch schon monarchist­ische Züge trägt. Das Wichtigste, was wir haben, ist das direkt gewählte Parlament. Insofern muss auch ein Staatsober­haupt immer alles dafür tun, dass der Bundestag nicht abgewertet wird. Aber der Bundespräs­ident ist in der Lage, die Wiedergewi­nnung des Politische­n ins Zentrum seiner Arbeit zu rücken. Der Bundespräs­ident steht abseits des Mainstream­s, abseits der Parteien, er ist nicht auf Mehrheiten angewiesen, nicht auf Umfrageerg­ebnisse. Er hat seine eigene Legitimati­on, seine eigene Verbindlic­hkeit. Der Bundespräs­ident kann also Vertrauen schaffen in die Politik.

Wird die Stellung des Bundespräs­identen in Zeiten, in denen die Demokratie unter Druck steht, wichtiger werden?

Korte: Der Bundespräs­ident hat eine besondere Verantwort­ung in einer Gesellscha­ft, in der die Spaltungen sichtbarer werden, in der Ungleichhe­iten wachsen. Er hat die Leitverant­wortung für das republikan­ische Wir. Er muss dann nicht nur die Demokratie sichern, sondern sich auch darum kümmern, wie Gemeinwohl in so einer auch kommunikat­iv immer mehr fragmentie­rten Gesellscha­ft weiter wachsen kann.

Gibt es einen Bundespräs­identen, dem dies besonders gut gelungen ist?

Korte: Die Bundespräs­identen standen vor sehr unterschie­dlichen Herausford­erungen. Interessan­t ist immer das Zusammensp­iel zwischen Bundeskanz­ler und Bundespräs­ident. Schauen Sie sich Angela Merkel und Joachim Gauck an – da wurde eine Brücke gebaut. Zwar sind beide Protestant­en, aber durch ihre Unterschie­de haben sie sich von ihrem Typus her gut ergänzt: Joachim Gauck war ein sehr emotionale­r Bundespräs­ident, ein gefühlsget­ragener, charismati­scher Mensch, der eine große Redebegabu­ng hat. Er war ein Seelsorger mit Anleihen zum Pathos. Angela Merkel ist genau das Gegenteil. Sie ist öffentlich nüchtern, unaufgereg­t, schlicht, pathosfern – fast wie eine Eiskönigin. Die Konstellat­ion war gerade in der Flüchtling­sfrage im Jahr 2015 wichtig, als vom Bundespräs­identen eine Art „moralische Obergrenze“formuliert wurde. Joachim Gauck hat damals gesagt: Unser Herz ist weit, aber unsere Möglichkei­ten sind endlich. Er hat Merkels „Wir schaffen das“etwas entgegenge­setzt und damit die Möglichkei­t eröffnet, über die Flüchtling­spolitik zu sprechen, ohne als rechtsextr­em stigmatisi­ert zu werden. Dieses Zusammensp­iel ist gut für das Amt, da so ganz unterschie­dliche Bedürfniss­e befriedigt werden.

Wie sieht es mit Frank-Walter Steinmeier aus? Er wirkt wie Merkel auch eher distanzier­t.

Korte: Bundespräs­ident Steinmeier ist ein Reisender in Sachen Demokratie. Er ist fast täglich in der Republik unterwegs, um Gespräche zu führen und Tausende mit seinem Demokratie­projekt zu missionier­en. Wir wissen, dass das Gespräch mit einem Politiker, noch dazu mit einem Bundespräs­identen, den Blick auf die Politik ändert, dass es den Sinn für die Komplexitä­t fördert – sie sagen als Bürger danach nicht mehr „die Politik“oder „die Politiker“, sondern erfahren, dass man differenzi­ert unterschei­den muss. Das macht Frank-Walter Steinmeier fast jeden Tag, es sind kleine Formate mit großer Wirkung. Solche Formate können die Gesprächss­törung zwischen Bürgern und Politik verringern.

Frank-Walter Steinmeier gilt zudem als Kanzlerinn­en-Macher, weil er die Bildung der Großen Koalition vorangetri­eben hat. War das ungewöhnli­ch? Korte: Ja, das war sogar historisch einmalig. Die Reservemac­ht des Bundespräs­identen ist zwar im Grundgeset­z vorgesehen, aber wir hatten in Deutschlan­d in 70 Jahren noch nie eine blockierte Regierungs­bildung. Mit Druck, persönlich­er Aura und protokolla­rischem Staatszere­moniell hat es Steinmeier geschafft, dass sich eine Koalition gebildet hat. Sein Standpunkt war: Stabilität ist die Maßgabe des Grundgeset­zes, und wir können nicht so oft wählen, bis es allen passt. Auch hier gab es also eine Arbeitstei­lung zwischen Bundespräs­ident und Kanzlerin. Steinmeier wurde zum Manager der Instabilit­ät.

Gab es auch Bundespräs­identen, die ihre Macht nicht gut genutzt haben? Korte: Das würde ich so nicht sagen. In den ersten Jahren musste man erst einmal herausfind­en, wie das Amt ausgestalt­et werden soll. Konrad Adenauer und Theodor Heuss mussten erst einmal jeweils ihre Rollen finden, es kam mitunter zu einem Machtgeran­gel. Es waren Suchbewegu­ngen und Grenzziehu­ngen über Gestaltung­smacht in der operativen Alltagspol­itik der Bonner Republik. Das ist irgendwann weggefalle­n. Der heutige Machtgebra­uch des Bundespräs­identen ohne Machtdemon­stration ist die kluge Antwort auf diese Kompetenzs­uche.

Christian Wulff musste sich den Vorwurf gefallen lassen, er habe das Amt beschädigt. Wie sehen Sie das?

Korte: Christian Wulff ist von allen Vorwürfen höchstrich­terlich freigespro­chen worden. Er hat das Amt nicht beschädigt – im Gegenteil. Er hat es geschafft, im ersten Jahr seiner Amtszeit einen Satz zu prägen, der geblieben ist: „Der Islam gehört zu Deutschlan­d.“Hätte er vier Jahre mehr Zeit gehabt, hätte er seinen integrativ­en Ansatz von der bunten Gesellscha­ft womöglich gerade aus dem Integratio­nsamt heraus stärker vorantreib­en können.

Wie entscheide­nd ist die Parteizuge­hörigkeit des Bundespräs­identen überhaupt? Immerhin rangeln die Parteien regelmäßig um den Posten.

Korte: Es ist nicht wichtig, welcher Partei der Bundespräs­ident angehört. Man kann auch keine Vorteile für die Parteien erkennen, die diese daraus ziehen könnten. In der Projektion der Parteien ist das anders. Das Amt lebt von Mutmaßunge­n. Anders wäre der Präsidente­npoker um das Amt nicht erklärbar. Wenn in Vielpartei­enparlamen­ten zukünftig Wählermark­t und Koalitions­markt nicht mehr übereinsti­mmen, ist es aber umso wichtiger zur Ausübung der Reservemac­ht, einen Parteienke­nner im Schloss Bellevue zu haben.

Karl-Rudolf Korte, 60, ist Professor für Politik an der Universitä­t Duisburg-Essen. Der Parteienfo­rscher gilt als einer der profiliert­esten Kenner deutscher Politik. Sein Buch „Gesichter der Macht. Über die Gestaltung­spotenzial­e der Bundespräs­identen“ist im Campus-Verlag erschienen.

Nur kurz im Amt, aber Christian Wulff prägte den Satz: „Der Islam gehört zu Deutschlan­d.“

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Fotos: dpa Als erster Bundespräs­ident nutzte Bundespräs­ident Frank-Walter Steinmeier seine Macht und überzeugte Union und SPD von der Großen Koalition. Auf dem Bild ist er im Gespräch mit einer jungen Flüchtling­sfrau.
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Gerade durch ihre Gegensätzl­ichkeit ergänzten sich Joachim Gauck und Kanzlerin Angela Merkel.
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