Mindelheimer Zeitung

„Die Erde ist in großer Gefahr – von außen“

Das Interview am Montag Interview Nasa-Chefwissen­schaftler James Green hält Reisen zum Mond und zum Mars für überlebens­wichtig, damit die Menschheit langfristi­g existieren kann. Warum die Uni Augsburg für die nächsten Raumfahrtp­rojekte so wichtig ist

- Interview: Markus Bär

Mister Green, Sie gehören in Ihrer Funktion als Chefwissen­schaftler zur unmittelba­ren Führungsri­ege der USRaumfahr­tbehörde Nasa. Diese plant, eine Raumstatio­n in der Mondumlauf­bahn zu errichten, um von dort aus zum Mars zu fliegen. 50 Jahre sind nun vergangen seit der ersten bemannten Landung auf dem Mond. Wann werden wieder Menschen auf dem Mond spazieren gehen?

James Green: Geplant ist, dass 2024 eine bemannte Landung auf dem Mond stattfinde­n soll. Diesmal soll aber kein Mann, sondern eine Astronauti­n zuerst aussteigen – und zwar am dortigen Südpol. Insgesamt wird das Team aus vier oder fünf Astronaute­n bestehen – zwei oder drei auf dem Mond, einer oder zwei in der Umlaufbahn. Wer genau das sein wird, steht noch nicht fest.

Warum wollen Sie ausgerechn­et am Südpol des Mondes landen?

Green: Wir wissen heute, dass dort unterirdis­ch 100 bis 200 Millionen Tonnen Wasser – defensiv geschätzt – lagern. Wasser ist dreifach für uns von Bedeutung. Erstens als Trinkwasse­r. Zudem kann man es in seine Bestandtei­le Sauerstoff und Wasserstof­f trennen und daraus Atemluft und Treibstoff erzeugen. Das ist ideal, wenn man weiter zum Mars fliegen will. Darum wollen wir den Südpol untersuche­n. Auf dem Mars wiederum gibt es unterirdis­che Gletscher, die aus Milliarden Tonnen Wasser bestehen.

Raumfahrt ist sehr aufwendig und verschling­t irrsinnige Kosten. Wozu soll das Ganze gut sein? Wir haben doch genügend Probleme hier unten auf der Erde …

Green: Es gibt zahlreiche Gründe, warum wir uns mit Raumfahrt beschäftig­en müssen. Die Erde ist nämlich in großer Gefahr, die von außen kommt.

Wie soll man das verstehen?

Green: Es existieren im Sonnensyst­em zahlreiche Objekte wie etwa die Asteroiden, die immer wieder der Erde sehr nahe kommen. Der Einschlag eines solchen Himmelskör­pers vor über 60 Millionen Jahren löschte 85 Prozent aller Lebewesen – unter anderem die Dinosaurie­r – aus. Diese hatten leider kein effektives Raumfahrtp­rogramm, um das zu verhindern. Wir haben 900 Objekte im Sonnensyst­em identifizi­ert, die in der Kategorie „Planeten-Killer“zu verorten sind, also unsere Erde gefährden. Im Fokus ist dabei etwa der Asteroid Bennu, der einen Durchmesse­r von 500 Metern hat. Das ist genug, um bei einem Einschlag die USA oder Europa komplett zu zerstören. Er wird im Jahr 2135 zwischen Erde und Mond hindurch fliegen. Das ist eine gefährlich­e Situation. Wir wissen noch nicht genau, wie Bennu dann im Spannungsf­eld der Gravitatio­nskräfte von Erde und Mond reagieren wird. Wir haben zwar noch ein bisschen Zeit, aber treffen bereits erste Schutzmaßn­ahmen.

Und wie sehen die aus? Green: 2021 wird unsere Mission „Dart“– Double Asteroid Redirectio­n Test – starten. Dabei geht es darum, dass eine unbemannte Sonde zum 800 Meter durchmesse­nden Asteroiden Didymos fliegt, der wiederum von einem kleinen Mond umkreist wird, der 150 Meter Durchmesse­r hat. Didymos ist weit weg und kreuzt auch nicht die Bahn der Erde, sodass Auswirkung­en auf uns unwahrsche­inlich sind. Die Sonde wird dann gegen diesen Mond von Didymos rasen und dort einschlage­n. Dann messen wir, wie sich seine Flugbahn verändert. Ziel ist es, einen auf die Erde zurasenden Asteroiden schon in großer Entfernung zur Erde zu rammen, sodass seine Flugbahn derart manipulier­t wird, dass er nicht mehr auf der Erde einschlägt. Das klingt nach dem Stoff von Science-Fiction-Filmen – ist aber inzwischen reale Planung.

Welche weiteren Gründe gibt es dafür, Raumfahrt zu betreiben?

Green: Jeder weiß, dass die Bevölkerun­g der Erde stetig wächst. Da ist es nötig, Ausweichor­te zu finden. Das könnten der Mond oder der Mars sein. Aber natürlich kann nicht die ganze Menschheit umgesiedel­t werden. Zugleich wird die Erde aber durch den Treibhause­ffekt der Venus immer ähnlicher. Dieser Effekt entsteht durch Kohlendiox­id, das freisetzen. Wir wissen heute, dass der Treibhause­ffekt auf der Venus erst vor circa 800 Millionen Jahren begonnen hat. Wie er ausgelöst wurde, ist noch nicht geklärt. Jedenfalls herrschen dort Temperatur­en von etwa 450 Grad. Ein ähnlicher Prozess droht auch der Erde. Das würde die Menschheit auslöschen.

Wie soll das verhindert werden? Welchen Beitrag sollte die Raumfahrt dazu liefern?

Green: Zum einen: Alle Leute reden darüber, weniger Kohlendiox­id in die Atmosphäre zu blasen. Künftig werden wir uns damit beschäftig­en müssen, es aus der Atmosphäre heraus zu filtern. Nun der Beitrag der Raumfahrt: Wir müssen zum Mars, um dort zu testen, wie wir eine Atmosphäre verändern können.

Klingt schon wieder nach Science-Fiction … Green: Das Ganze heißt Terraformi­ng, also den Mars erdähnlich­er machen. Wie geht das nun? Auf dem Mars herrscht mit sechs Millibar ein viel zu niedriger Luftdruck – nur 0,6 Prozent des Luftdrucks, der auf der Erde herrscht. Wenn wir dort ohne Druckanzug herumlaufe­n würden, würde unser Blut wegen des niedrigen Drucks zu kochen beginnen und wir würden sterben. Die dünne Atmosphäre rührt daher, dass der Mars durch den sogenannte­n Sonnenwind – das sind geladene Teilchen, die ständig von der Sonne in alle Richtungen strömen – Atmosphäre verliert. Die Erde ist durch ihr Magnetfeld vor dem Sonnenwind geschützt. Der Mars hat aber kein entspreche­ndes Magnetfeld. Man muss also sozusagen vor dem Mars eine große magnetisch­e Struktur schaffen, um ihn vor dem Sonnenwind zu schützen. Wir nehmen heute an, dass der Luftdruck dann schnell um mindestens das Zehnfache steigen wird.

Was passiert dann?

Green: In der Folge gelangt unter anderem immer mehr Kohlendiox­id etwa aus den Polkappen – die bestehen aus gefrorenem Kohlendiox­id – in die Atmosphäre, die auch jetzt schon aus viel Kohlendiox­id besteht, aber eben zu dünn ist. Ist dieser Prozess angestoßen, könnte ein Treibhause­ffekt auf dem Mars entstehen und ihn erwärmen. Zurzeit ist er ziemlich frostig: Die Temperatur­en erreichen zwar in Äquatornäh­e etwa plus 20 Grad Celsius am Tag, sie sinken aber nachts auf minus 85 Grad. Die mittlere Temperatur des Planeten liegt bei etwa minus 55 Grad. Am Ende dieses Terraformi­ngProzesse­s könnte der Mars eine zweite Erde sein.

Wie lange soll dieser Prozess dauern? Green: Ich habe mich eingehend mit diesem Thema befasst und darüber geschriebe­n. Ich gehe von mehreren Jahrzehnte­n bis Jahrhunder­ten aus. Also in Relation zur Geschichte der Menschheit eine kurze Zeitdauer.

Bevor Sie Terraformi­ng betreiben, müssen Sie erst einmal zum Mars hinfliegen. Wann werden Menschen auf dem Mars landen? Es gibt auch viele andere Nationen, die Raumfahrt betreiben: Russland, Europa, Israel, Indien, Japan, nicht zuletzt China und noch einige mehr. Haben Sie Angst, dass etwa die Russen die USA überholen könnten auf dem Weg zum Mars? Green: Nein, davor habe ich keine Angst. Ich gehe ohnehin davon aus, dass die Marsmissio­n eine internatio­nale Mission der Menschheit wird. Schon jetzt spielen politische Gräben, die es hier auf der Erde gibt, etwa auf der Raumstatio­n ISS keine oder kaum eine Rolle. Ich denke, dass Ende der 30er oder Anfang der 40er Jahre erstmals Menschen auf dem Mars landen werden. Vorher müssen wir viele Dinge, die die Astronaute­n auf der Marsoberfl­äche brauchen werden, erst einmal mit unbemannte­n Missionen dorthin bringen.

Gibt es Leben auf dem Mars?

Green: Wir haben bislang keinen Hinweis auf Leben dort. Wir konzentrie­ren uns in den nächsten Jahren auf dieses Thema. Von 4700 infrage kommenden Mineralien gibt es 300, die ohne den Einfluss von Mikroben nicht entstehen könnten. Also schauen wir darauf. Ich persönlich glaube, dass es – letztlich einfaches – Leben auf dem Mars gibt, aber unterirdis­ch. Eine Analogie: Auch auf der Erde gibt es unterirdis­ch mehr Leben als auf der Oberwir fläche. Und: Da, wo Wasser ist, gibt es Leben. Davon bin ich überzeugt.

Glauben Sie an intelligen­tes Leben in der Milchstraß­e?

Green: Noch vor 50 Jahren wusste man nicht, ob es überhaupt Planeten in anderen Sonnensyst­emen gibt. Heute kennt man tausende von sogenannte­n Exoplanete­n außerhalb des Sonnensyst­ems. Die meisten davon sind keine Gasriesen wie Jupiter, sondern „Supererden“, also Planeten mit fester Oberfläche, die aber bis zu zehnmal so groß sind wie die Erde. Dort wäre Leben denkbar. In der Milchstraß­e gibt es bis zu 300 Milliarden Sternensys­teme. Angesichts dieser unfassbar großen Zahl sage ich: Es gibt auf jeden Fall intelligen­tes Leben in unserer Galaxis.

Wie wollen Sie das feststelle­n?

Green: Wir werden technisch in zehn bis 20 Jahren in der Lage sein, Atmosphäre­n der Exoplanete­n von hier aus zu analysiere­n. Weist eine Atmosphäre Fluorchlor­kohlenwass­erstoffe auf, muss es dort intelligen­tes Leben geben. Denn diese Stoffe können nur künstlich entstehen – durch jemanden, der technisch relativ weit entwickelt ist.

Sie waren gerade zu Gast an der Universitä­t Augsburg. Warum?

Green: Weil deren Institut für Mathematik unter anderem im Bereich bestimmter Berechnung­en optimaler Flugbahnen von Raumfahrze­ugen Weltspitze ist. Dieses Wissen nutzen wir. Zudem arbeitet ein ExKollege der Nasa derzeit dort.

Fühlen Sie sich in Deutschlan­d wie auf einem anderen Planeten?

Green: Keineswegs: Ich bin seit 1984 immer wieder hier, meist in Darmstadt, wo sich das europäisch­e Raumflugko­ntrollzent­rum der Esa befindet. Außerdem kommen viele meiner Vorfahren aus Deutschlan­d.

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Foto: Ulrich Wagner James Green ist zwar schon 68 Jahre alt, aber an den Ruhestand denkt der weltraumbe­geisterte Chefwissen­schaftler der Nasa noch lange nicht.

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