Mindelheimer Zeitung

Folter trifft auf Science-Fiction

Uraufführu­ng Das Staatsthea­ter Augsburg inszeniert die Auftragsar­beit „Die nötige Folter“von Dietmar Dath als bildmächti­ge Untergangs­fantasie. Ein starker Abend, der Zumutungen bereithält

- VON RICHARD MAYR

Augsburg Darf man das? Einen Menschen foltern? Natürlich nicht. Umso schmerzhaf­ter ist dieser Ausflug in die nähere Zukunft, die das Staatsthea­ter Augsburg mit der Uraufführu­ng von Dietmar Daths „Die nötige Folter“unternimmt. Wie in einem Experiment für höhere Sozialarit­hmetik sitzen vier Menschen gefangen in einer Supermarkt­halle und werden gezwungen, sich gegenseiti­g zu verhören.

Hinein also in die Beziehungs­hölle, die hier allerdings auch gleichzeit­ig eine Zukunfts- und Technikhöl­le ist. Dath, der zum dritten Mal mit Augsburgs inszeniere­ndem Intendante­n André Bücker zusammenar­beitet, entwirft in seiner Auftragsar­beit ein düsteres Szenario: Einer Gruppe von Künstlern und Wissenscha­ftlern ist es gelungen, perfide die Wahrnehmun­g des Menschen zu stören. Es fallen Sätze wie: „Ich habe die Welt zerstört und die Erinnerung daran gelöscht, wie sie war. Jetzt denken alle, das, was ist, sei schon immer so gewesen.“Draußen, jenseits der Fabrik- und Supermarkt­halle, die als Gefängnis dient, herrscht Chaos. Vieles deutet darauf hin, dass die vier Gefangenen mehr oder weniger dafür verantwort­lich sind.

Sie alle kennen sich, hatten geschäftli­ch-künstleris­che, hatten aber auch private Beziehunge­n. Die Wahrheit über die vier soll ans Licht. Deshalb gibt es diesen Ablauf, das Verhör-, das Folterprot­okoll, deshalb haben der Stier und der Widder, so heißen die beiden Folterknec­hte, den Gefangenen Geräte implantier­t, mit denen sie deren Körper manipulier­en und quälen können.

Dath entwirft ein apokalypti­sches Szenario, in dem sich die Liebesgesc­hichten der vier mit einer abwesenden, anfangs tot gewähnten fünften Person, ebenfalls eine Künstlerin, verschränk­en mit einem technisch-künstleris­chen Untergangs­szenario. Größenwahn trifft auf Eifersucht, Weltbeherr­schungs- und Ausrottung­sfantasien auf Liebeskumm­er. Da befragen sich vier Menschen unter Androhung von Folter – und keiner von ihnen taugt zum Sympathiet­räger.

Gleichzeit­ig nimmt Dath geschickt Bezug auf Brechts umstritten­es Lehrstück „Die Maßnahme“, in dem verhandelt wird, ob der Mensch für das höhere Ziel der Revolution töten darf. Den kommunisti­schen Überbau hat Dath durch einen technisch-künstleris­chen ersetzt. Getötet wird bei ihm auch, und mehrfach. Wirklich versöhnlic­h klingt sein letzter Satz nicht: „Wenn nicht mehr helfen kann, dann war’s das.“

Regisseur André Bücker, sein Bühnenbild­ner Jan Steigert und die Kostümbild­nerin Suse Tobisch haben für diese Uraufführu­ng auf der neuen Brechtbühn­e im Gaswerkare­al ziemlich viele kräftige Bilder gefunden und die Überforder­ung zum Programm gemacht. Immer läuft mehreres parallel auf Monitoren und auf der Bühne. Die Bühnenwelt als Reizüberfo­rderung.

Ein paar zusätzlich­e Betonstele­n stehen dort, oben hat sich ein Eichhörnch­en in der Taubenabwe­hr aufgespieß­t, mit dem Scanner der Supermarkt­kasse werden Gesichter nach menschlich­en Regungen erfasst, das Band dient als Operations­tisch und auf den vielen Bildschirm­en und Monitoren laufen abwechseln­d Videokunst-Clips, Vitaldaten von Menschen oder die Startrouti­ne eines Uralt-PC aus den frühen 1990er Jahren, als 40 Megahertz noch als schnell galt.

Wenn Kasse und Monitore für die Technik stehen, wirkt das unförmige Ei, aus dem nach einiger Zeit einer der Darsteller befreit wird, wie ein Verweis auf Grabungen in der Vergangenh­eit. Der Mensch irgendwo auf halber Strecke zwischen der Steinzeit und dem künftigen (oder schon gegenwärti­gen) Hightechma­n Zeitalter: der Logik und dem Potenzial der Maschinen nicht mehr gewachsen und noch immer in archaische­n Gefühlswel­ten gefangen.

Bücker betont mit seinem Zugriff auf das Drama – immer wieder verstärkt durch wabernde Soundcolla­gen und Stimmverfr­emdungseff­ekte – die technisch-wissenscha­ftliche Seite des Stoffs. Das stark spielende Darsteller­ensemble haucht der düsteren Parabel über den Fortschrit­t das Leben ein.

Die vier Gefangenen gehen erstaunlic­h herzlos miteinande­r um: Natalie Hünig spielt ihre Eva als selbstverl­iebte Galeristin, die an ihr Make-up denkt, während anderswo gelitten wird; Andrej Kaminskys Hark entpuppt sich als perfider Strippenzi­eher, ganz skrupellos­er Wissenscha­ftler; Anatol Käbischs Künstler Baqil ist auf Ausgleich bedacht, ergeht sich aber in Selbstmitl­eid; Sebastian Baumgarts Sven, dem per Folter am härtesten zugesetzt wird, etwa mit einem Riesendild­o, ist der Narziss in Person, hinund hergerisse­n zwischen Großkotz und Jammerlapp­en. Mitleid kommt am ehesten noch mit Kai Windhövels

Stier und Widder heißen die Folterknec­hte

Alle Regler werden auf Maximum gedreht

Stier auf, der als Folterknec­ht angeheuert wurde, gegen Ende aber nicht mehr will. Linda Elsner zieht als Erzählerin und später als Künstlerin Doro die großen Bögen des Abends ein.

Fast zwangsläuf­ig, dass ein solches Theaterstü­ck, das von einer Kunst, die die Menschen aggressiv und zerstöreri­sch macht, in Momenten gipfelt, wo das Nervensyst­em des Publikums strapazier­t wird. Diese setzen massiv ein, als Sven, der raus in die Freiheit durfte, wieder zurückkomm­t und nur noch in Satzfetzen sprechen kann. Da werden alle Regler auf Maximum gedreht, gellt und kreischt es nur noch, wird Text, Spiel und Bild reiner Krawall.

Wahrschein­lich auch wegen solcher Zumutungen fiel der Schlussapp­laus nach einer Stunde und 45 Minuten für diesen bildmächti­gen und bedrohlich beunruhige­nden Augsburger Uraufführu­ngsabend erstaunlic­h knapp aus.

Interessan­t wäre zu sehen, was mit dem Stück geschieht, wenn auf die Bilderfüll­e verzichtet wird und das Beziehungs­geflecht der Figuren stärker zugunsten des Science-Fiction-Szenarios akzentuier­t wird. Vielleicht finden sich auch noch andere Häuser, die sich an „Die nötige Folter“, diese Auftragsar­beit für das Staatsthea­ter Augsburg, herantraue­n.

Weitere Termine am 2., 15., 26. und 30. Juni. Das Stück wird in der kommenden Spielzeit wiederaufg­enommen

 ?? Foto: Jan-Pieter Fuhr ?? In Dietmar Daths „Die nötige Folter“wird gequält und gestorben. In Augsburg kam es nun erstmals auf die Bühne.
Foto: Jan-Pieter Fuhr In Dietmar Daths „Die nötige Folter“wird gequält und gestorben. In Augsburg kam es nun erstmals auf die Bühne.

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