Die Alternative zu Antibiotika?
Mikrobiologie Bakteriophagen kennt man zwar schon seit rund 100 Jahren. Sie sind aber bislang nicht groß im Fokus der Forschung gewesen. Dabei könnten sie bald eine wichtige Rolle spielen
Zunehmend wird die Waffe der Menschheit gegen Bakterien – Antibiotika – stumpf. Durch übermäßigen Einsatz der Medikamente sind eine Reihe von Bakterienstämmen resistent geworden. Vor allem für Kliniken stellen sogenannte multiresistente Keime eine große Bedrohung dar. Dadurch könnte nun eine Alternative zusehends interessanter werden: Bakteriophagen.
Bakteriophagen sind seit gut hundert Jahren bekannt, waren aber – zumindest in der westlichen Welt – für die Forschung nicht besonders interessant. Die Braunschweiger Forscherin Christine Rohde arbeitet nun daran, Phagen und ihr Potenzial mehr ins Blickfeld zu rücken. Sie ist Leiterin der Arbeitsgruppe Klinische Phagen am Leibniz-Institut DSMZ, der Deutschen Sammlung von Mikroorganismen und Zellkulturen. Unter hunderttausenden Proben von Bakterien, Viren und Pilzen, die im Institutskeller lagern, befinden sich auch über 350 verschiedene Bakteriophagen. Um sie für die Medizin zu nutzen, müsste man sie aber erst aus ihrem „Dornröschenschlaf“holen. Zusammen mit anderen internationalen Phagenforschern bemüht sich Rohde um die Anerkennung der Phagentherapie in der EU: „Die Belgier preschen voran. Dort ist die Phagentherapie seit 2016 erlaubt.“
Wie wirken nun Bakteriophagen? Überall auf der Erde gibt es Bakterien, im Wüstensand, in heißen Quellen, in der Tiefsee und nicht zuletzt in und auf uns Menschen. Die Tatsache, dass sie nicht überhandnehmen, ist unter anderem winzigen Mikroben zu verdanken, nämlich den Bakteriophagen. Sie bestehen nur aus einer Eiweißhülle und ihrer Erbinformation, der DNA. Um sich zu vermehren, brauchen sie Bakterien. Sie heften sich an ihnen an, infiltrieren sie mit ihrer DNA und programmieren sie so um, dass sie nur noch neue Bakteriophagen produzieren und bei deren Freisetzung zugrunde gehen.
Biologisch gesehen gehören Bakteriophagen, kurz Phagen, zu den Viren. Sie kommen überall vor, wo auch Bakterien befinden, allerdings in größerer Zahl. Man schätzt, dass es weltweit zehnmal so viele Phagen wie Bakterien gibt. Ihr großes Plus: Sie greifen nur Bakterien an und sind Mensch und Tier gegenüber vollkommen harmlos. Das Faszinierende an den Phagen ist die Tatsache, dass sie ein ganz enges Wirkungsspektrum haben: Sie greifen fast immer nur Bakterien einer Art an und manchmal auch nur wenige Stämme innerhalb dieser Bakterienart. Nur hier passt ihre Andockstelle genau zur Oberflächenstruktur auf der Bakterienhülle.
Antibiotika dagegen haben ein viel breiteres Wirkungsspektrum, vernichten also meist auch ganz andere Bakterien als die vorgesehenen Krankheitserreger. Hinzu kommt, dass Bakterien relativ leicht und schnell Abwehrmechanismen gegenüber Antibiotika entwickeln und dann – wie schon erwähnt – resistent werden können. Die Information für diese Eigenschaft wird im Erbmaterial gespeichert und kann fatalerweise an andere Bakterien weitergegeben werden. Auf diese Weise verbreiten sich Antibiotika-Resistenzen auf der ganzen Welt. Da die Suche nach neuartigen Antibiotika extrem aufwendig und teuer ist, kommen derzeit keine neuen Substanzen auf den Markt. Auch gegen Phagen können Bakterien resistent werden, aber dies betrifft dann nur diesen einen speziellen Phagen. Aus der großen Fülle der Phagen könnte man dann einen neuen, passenden Angreifer aussuchen.
Die Idee, Bakterien etwa in einer eiternden Wunde mit Bakteriophagen zu bekämpfen, ist nicht neu. Während aber westliche Länder auf die fortschrittlichen Antibiotika setzten, hielt sich die Phagentherapie in den Staaten Osteuropas. So wurden und werden etwa in Georgien und Polen Patienten mit Phagen behandelt. In Georgien sind sogar verschiedene Phagenpräparate in der Apotheke zu kaufen. Doch Experten betonen, dass diese Phagenanwendungen nicht den bei uns üblichen Standards entsprechen. Es fehlten etwa klinische Studien.
Phagen als Therapieoption gibt es derzeit in der Europäischen Union offiziell überhaupt nicht. Zudem sei die Infrastruktur ein großes Prosich blem, wie die Phagenforscherin Rohde betont. „Die Phagentherapie ist immer individuell auf den jeweiligen Infektionserreger zugeschnitten.“Es müsse also zunächst der passende Phage ausgewählt und anschließend vermehrt sowie aufbereitet werden. Bis jetzt gibt es keine Unternehmen, die das anbieten. Änderung verspricht ein Projekt, das die DSMZ zusammen mit der Berliner Charité und dem Fraunhofer Institut für Toxikologie und Experimentelle Medizin vorantreibt: Unter dem Namen Phage4Cure sollen Phagenpräparate gegen bakterielle Infektionen entwickelt werden.
Das Bundesforschungsministerium unterstützt das Projekt mit drei Millionen Euro. In einem ersten Schritt soll ein inhalierbarer Wirkstoff für Patienten mit einer Lungenentzündung, verursacht durch das Bakterium Pseudomonas aeruginosa, hergestellt werden. Der dann vom Fraunhofer Institut entwickelte Wirkstoff muss internationalen Qualitätsrichtlinien für Arzneimittel genügen. Dann wird das Präparat in der Klinik auf Sicherheit und Verträglichkeit geprüft. Wenn die Studie mit der Charité gut läuft, rechnet Rohde mit einem Zeitrahmen von fünf Jahren, bis die Phagentherapie bei uns Fuß gefasst hat.
Ein zweites Projekt mit dem Namen PhageFlow beginnt in diesem Frühjahr am Bundeswehrkrankenhaus Berlin. Hier geht es darum, ob es für die Krankenhausapotheke möglich ist, ein individuell auf den Patienten abgestimmtes Phagenpräparat zuzubereiten.
Die Projektbeteiligten sehen die Phagentherapie als Ergänzung zur klassischen Antibiotikatherapie, insbesondere dann, wenn bei Resistenzproblemen Antibiotika nicht mehr helfen. Das Einsatzgebiet von Bakteriophagen könnte aber noch größer werden: So ließe sich beispielsweise eine aus der Balance geratene Bakteriengemeinschaft im Darm durch das gezielte Eingreifen von Phagen sanieren, wie Christine Rohde meint. Sie hat kürzlich einen Appell an Bakteriophagenforscher in aller Welt gerichtet, ihre Phagen in der Sammlung der DSMZ zu hinterlegen, damit die Auswahl an den hochspezifischen Viren zur Bakterienbekämpfung noch größer wird.
Phagen programmieren Bakterien einfach um