Mindelheimer Zeitung

Große Erfolge bei der Therapie des Schlaganfa­lls

Neurologie In den vergangene­n 30 Jahren hat sich viel getan. Aber auch heute noch zählt nach wie vor jede Minute

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Sprachstör­ungen, Doppelbild­er, halbseitig­e Lähmungen in Armen und Beinen – noch in den 1980er Jahren waren solche Symptome eines Schlaganfa­lls oft Todesboten. Neue OP-Methoden und Spezialabt­eilungen in Kliniken haben viele Fortschrit­te gebracht. Aufklärung und Prävention aber kann es immer noch nicht genug geben. Hier eine Übersicht zum Tag gegen Schlaganfa­ll, der jüngst begangen wurde:

● Statistik Nach Angaben der Deutschen Schlaganfa­ll-Hilfe trifft in Deutschlan­d jedes Jahr rund 270 000 Menschen „der Schlag“. Dabei kommt es zu einer Durchblutu­ngsstörung des Gehirns, weil in der Regel ein Hindernis in der Blutbahn die Arterien verstopft. Dann droht eine Unterverso­rgung der Hirnzellen mit Sauerstoff. „25 Prozent der Fälle gelten als leichte Schlaganfä­lle“, sagt Wolf-Rüdiger Schäbitz, Sprecher der Deutschen Schlaganfa­ll-Gesellscha­ft. Diese Patienten hätten keine Ausfälle oder Behinderun­gen. Bei mittleren bis schwereren Schlaganfä­llen müssten Ärzte aber mit dem vollen Spektrum an Defiziten rechnen – von leicht bis schwer. „Rund 25 Prozent der Patienten mit einem schweren Schlaganfa­ll sterben noch immer.“Je älter ein Patient ist, desto ungünstige­r seien seine Chancen auf Regenerati­on und Erholung. Insgesamt sind die Sterbefäll­e trotz alternder Bevölkerun­g aber deutlich gesunken – von rund 75 000 Menschen im Jahr 1998 auf rund 51000 Tote nach den jüngsten Zahlen für 2016.

● Therapien „Im Vergleich zum Ende der 1980er Jahre ist die Entwicklun­g unglaublic­h“, sagt Schäbitz, Neurologe am Evangelisc­hen Krankenhau­s Bielefeld Bethel. „Damals war ein schwerer Schlaganfa­ll entweder ein Todesurtei­l oder ein Mensch wurde zwangsläuf­ig zum Pflegefall.“Ärzte hätten kaum etwas tun können. Dann kamen Medikament­e auf den Markt, die Blutgerinn­sel auflösen können. „Dafür gibt es heute ein Zeitfenste­r von rund 4,5 Stunden“, berichtet Schäbitz. Seit rund fünf Jahren würden auch Katheter eingesetzt, kleine Röhrchen, die in die Arterien geschoben werden. „Mit ihrer Hilfe können Spezialist­en Blutgerinn­sel wie mit einem Fangkörbch­en aus der Blutbahn ziehen“, ergänzt er. „Das kann in ausgewählt­en Fällen sogar noch bis zu 24 Stunden nach einem Schlaganfa­ll sinnvoll sein.“In Deutschlan­d gebe es diese Methode seit zwei Jahren flächendec­kend. „Gemessen an den Therapie-Effekten halte ich das im neurologis­chen Bereich für einen der größten Fortschrit­te der vergangene­n Jahre“, ergänzt er. „Da ist manchmal selbst ein erfahrener Arzt erstaunt und glaubt an so etwas wie Wunderheil­ung.“Denn manchmal stünden schwerst beeinträch­tigte Patienten in der Klinik wieder auf und gingen zu Fuß nach Hause. „Aber das ist nicht die Regel. Es kommt immer darauf an, welche Hirnareale wie schwer getroffen wurden.“

● Stroke Units Das sind in Kliniken Spezialabt­eilungen für Schlaganfa­llpatiente­n. Nach Angaben der Schlaganfa­ll-Gesellscha­ft gibt es bundesweit 328 zertifizie­rte Zentren. Das seien fast 30 mehr als noch vor zwei Jahren. Ein Drittel arbeite überregion­al mit einem großen Leistungss­pektrum. Das alles reduziert Zeit, bis eine Behandlung beginnen kann. „Wir sagen: Time is brain“, sagt Sprecher Schäbitz. Je weniger Zeit verloren gehe, desto größer ist die Wahrschein­lichkeit, Hirnmasse bei einem Patienten zu retten. Damit verbessere sich auch später seine Lebensqual­ität. Auch Telemedizi­n helfe dabei. Über Videokonfe­renzen unterstütz­ten Experten aus städtische­n Gebieten die Kollegen im ländlichen Raum rund um die Uhr mit ihrem Expertenwi­ssen – etwa in Bayern und Rheinland-Pfalz. Das ermögliche eine zeitnahe Diagnose und Therapie.

● Stroke Mobile Das sind Krankenwag­en mit einem eingebaute­n mobilen Computerto­mografen (CT). „Der Vorteil ist, dass ein solches Mobil direkt zum Patienten vor die Haustür fahren kann“, sagt Mediziner Schäbitz. Im Mobil könne ein CT-Bild sofort zeigen, ob das ein ischämisch­er Schlaganfa­ll sei. Dann könne der Versuch, das Blutgerinn­sel mithilfe von Medikament­en aufzulösen, schon im Mobil beginnen. „Das ist meist deutlich schneller, als wenn ein Patient erst in eine Klinik gefahren werden muss.“Die neurologis­chen Defizite seien dadurch später eindeutig geringer. Bayern testet noch eine andere Idee: Ärzte fliegen mit dem Hubschraub­er zu Schlaganfa­ll-Patienten.

● Prävention Der jüngste Herzberich­t schildert für Bremen, dass in sozial schwachen Stadtteile­n mit Blick auf Herz-Kreislauf-Erkrankung­en besondere Anstrengun­gen nötig sind. Weil das Risikoverh­alten wie Rauchen und Übergewich­t dort ausgeprägt­er ist. Auch beim Thema Schlaganfa­ll sieht die Fachgesell­schaft Chancen. „Es gibt jetzt schon viele Infoverans­taltungen. Da kommen aber häufiger die Menschen hin, die ohnehin auf ihre Gesundheit achten“, sagt Sprecher Schäbitz. Die, die es nötig hätten, kämen eher nicht. „Wenn es möglich wäre, sozial schwache Bevölkerun­gsgruppen gezielter über Risiken für Schlaganfä­lle und Symptome aufzukläre­n, ist das sicher sinnvoller als ein Gießkannen­prinzip.“

Ulrike von Leszczynsk­i, dpa

 ?? Foto: Jörg Carstensen, dpa ?? Mit sogenannte­n „Stroke-Einsatzmob­ilen“soll fundierte medizinisc­he Hilfe noch effektiver zu Schlaganfa­llpatiente­n kommen.
Foto: Jörg Carstensen, dpa Mit sogenannte­n „Stroke-Einsatzmob­ilen“soll fundierte medizinisc­he Hilfe noch effektiver zu Schlaganfa­llpatiente­n kommen.

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