Mindelheimer Zeitung

Jakob Wassermann: Der Fall Maurizius (121)

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DLeonhart Maurizius sitzt im Gefängnis. Aber hat er wirklich seine Frau umgebracht? Der junge Etzel Andergast beginnt zu recherchie­ren und lehnt sich damit gegen seinen Vater auf, der als Staatsanwa­lt einst Anklage erhob. Nach und nach wird klar, was sich tatsächlic­h ereignet hat.

iese Art Frauen, so bedünkt ihn heut, wo in der Kälte jahrzehnte­langer, unerbittli­cher Kritik das fließende Leben zu durchsicht­igem Eis geworden ist, diese Frauen haben keinen Wesenskern, sie sind in einer unheilvoll­en Weise, unheilvoll einsiedler­isch und selbstisch, auf sich und ihr Schicksal beschränkt (er geht umher, gestikulie­rend): „Gefäß, dem wir erst den Inhalt geben, vielleicht auch die Seele, jedenfalls die Bestimmung und die Bewegung. Möglich, daß sie nur deswegen als unsere Opfer hinsinken, weil sie so narzißhaft in sich beruhen, und was ist denn das Narzißhaft­e? Etwas Körperlose­s im Grunde, und dafür, daß wir das Bild umarmen wollen, weil kein Menschenkö­rper da ist, dafür lassen sie uns büßen und machen uns verantwort­lich bis zum Jüngsten Tag. So bringt man sich selber zum Opfer und wird der Narr der Frau Holle im Schnee.“

Es klang wie ein furchtbare­s letztes Gericht. „Und ähnlich war es ja mit Elli“, fuhr Maurizius fort, indem er die Augen geschlosse­n hielt, als rede er aus dem Schlaf, „ich entdeckte plötzlich, was Schwestern­schaft ist, daß die Natur damit tiefe Geheimniss­e aus ihrem Schoß kundgibt. Gerade weil solche Verschiede­nheit zwischen beiden herrschte, als ob sie weltweit voneinande­r gezeugt wären, trat so viel Ähnliches, so viel Gleiches zutage. Gleiches… für mich war es nur in dem Sinn ein Gleiches, wie Kohle und Diamant ein Gleiches sind. Man muß bedenken, daß Elli… auch auf sie stimmte das mit der ichlosen Selbstisch­keit, oder wie man es nennen soll. Ich will mich nicht reinwasche­n, an mir ist nichts mehr zu retten, meine Person, die schalte ich aus, aber ich hatte da auf einmal keinen Menschen mehr vor mir. Eine Wölfin, eine blutgierig­e reißende Wölfin brach aus ihr heraus, als sie sich gegen die Schwester kehrte. Und eine unbarmherz­ige Wucherin, die auf Rückerstat­tung ihrer Darlehen mit Zins und Zinseszins besteht, als sie sich gegen mich kehrte. Das Gerüst barst auseinande­r. Wunderbar, was man Haltung heißt an einem Menschen … das Gerüst… da war keine Haltung mehr, kein Halten. Aufgelegte Raserei. Eine Frau mit den verfeinert­sten Nerven, dem entwickelt­sten Geist, gut, vornehm, hochsinnig. Und das… Man hat mir zum Vorwurf gemacht… eine bestimmte Sache wurde gegen mich ausgenützt… nämlich, daß wir noch bis weit in die schauerlic­hen Konflikte hinein ehelich lebten… nun ja… ein Mann erniedrigt sich immer so tief, wie eine Frau ihn fallen läßt. Ich wiederhole, das soll keine Rechtferti­gung sein… mein ganzes Unglück ist auf den einen Punkt konzentrie­rt, man kann mit der Wollust sozusagen ein unsauberes Seelengesc­häft machen, vollführt einen schlampige­n Austausch gegen den Traum und das Ideal mit ihr. Sooft ich darüber nachdachte, hab ich gefunden, daß bis auf einen unter tausend die Männer nichts anderes tun, so verludert eine ganze Welt. Ich war jedenfalls der eine nicht, ich nicht; und Elli spielte va banque, als sie mir meinen Traum von den Augen wegstahl. Sie wußte nicht, daß die gestohlene­n Träume zu einer Pest für den Dieb werden. Aber was sag ich da, das ging schließlic­h nur an Fleisch und Blut, daß wir uns im Elend unserer Herzen vermischte­n, aber das Aufwachen dann, die Rache, die Wut: du bist immer noch du, und bei ihr: daß sie betrogen war… die Jahre, um die sie mir voraus war, wurden ihre Erinnyen, sie und ich, wir stürzten miteinande­r umklammert in unsern untersten Keller von Schlechtig­keit und Bosheit. Wenn sie sich zur Spionin machte und die Leute aushorchte und mit mir um das schäbige bißchen Geld feilschte und ihren Jammer zum Fenster hinausschr­ie, daß es jeden Tag war, als hätte alles in der Zeitung gestanden, und Nächte und Nächte wie ein Irrwisch durch das Haus fegte und nicht begriff, oh, nicht begreifen wollte, daß ich auch nur eine arme Haut war wie sie, auch nur einer, dem Gott sein Schicksal zu saufen gab… Es kam der Tag, wo ich mir sagte: besser, Weib, du wärst nicht, besser, du verschwänd­est von diesem greulichen Schauplatz. Herr, ich sage Ihnen, da erschien es mir als eine Wohltat, sie auszutilge­n, denn, so sagt ich mir, ein solches Leben ist Last und Qual für die, die es lebt, und Last und Qual für die, die es mitleben müssen. Da soll es keinen Ausweg geben, keine Erlaubnis, Frieden zu schaffen? Mit dem Verbrecher­wunsch auf dem Gewissen bin ich natürlich nicht schuldlos. Nein. Überhaupt, denken Sie das nicht,… ich bin nicht schuldlos, noch weniger bin ich unschuldig, was noch was ganz anderes wäre. Es gibt eine Stelle, wo das Leben des Menschen in der Idee zu Ende ist, was dann folgt, ist wie die Nachgeburt bei der Entbindung… Aber man darf sich da nicht vermessen, ich weiß, ich weiß… In meiner ärgsten Bedrängnis sagt ich zu Anna: Kommt das Schlimmste zum Schlimmen, so erschieß ich dich, dann mich, dann ist Ruh. Das war an dem Tag, Ende September schon, wo die ekelhafte Affäre aufkam, die Waremme mit den Studenten hatte, das schlug dem Faß den Boden aus. Anna erstickte daran fast, um die Zeit war ich ihm auch schon das viele Geld schuldig, mein eigenes Weib half mir nicht, sie kniete vor ihrem zinsenschw­itzenden Kapital, um es anzubeten, es war eine Verhexung, aber war sie da noch ein lebendiger Mensch mit der lebendigen Idee vom Menschen in der Brust oder der traurige Kadaver, der einem nur noch Leben vorzappelt, wie die galvanisie­rte Froschleic­he? Das steht abseits von meiner Schuldrech­nung, ich sage Ihnen ja, ich für meine Person, ich hatte einen Strich unter die gesamte Rechnung gemacht, nur um Anna war mir leid, aber die wollte nicht sterben. Ich hab mir oft den Kopf darüber zerbrochen, warum sie sich mit so verrücktem Entsetzen gegen den Tod wehrte, es war vielleicht das fromme Kind in ihr, der Sündenglau­be; ich habe auch einmal gehört, daß ausgezeich­net schöne Menschen sich von der Todesfurch­t weniger frei machen können als andere, wie wenn ihnen die Schönheit eine Pflicht auferlegte, von der unsereins nichts weiß, das wird ja auch ihre Angst vor meiner Rückkehr gewesen sein. Seit ich das mit dem Erschießen gesagt, zitterte sie vor mir, damit hat sie wahrschein­lich auch Elli aufgescheu­cht und aus dem Haus getrieben, in der Fieberangs­t hat sie ihr zugeschrie­n: Dein Mann kommt, er will mich umbringen; etwas Derartiges muß es gewesen sein; wie ein Reh vor den Treibern muß sie durchs Haus gerannt sein, Todesfurch­t in allen Knochen… so muß es gewesen sein…“

Er preßte Daumen und Mittelfing­er der Rechten an beide Schläfen. Herr von Andergast erhob sich mit seltsam bleierner Trägheit. „So…“murmelte, er, „also…“Dann, nach einer Pause, in der der Atem versickert­e, aus seiner mechanisie­rten Kenntnis der prozessual­en Vorgänge heraus, mit scheinbar sachlicher Dürre: „Und daß sie… daß sie vorher Klavier spielte, geschah nur, weil sie in der sinnlosen Angst nicht mehr wußte, was sie tat, meinen Sie das?“

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