Mindelheimer Zeitung

Dem Seelenkreb­s zu Leibe rücken

Porträt Der ehemalige Mönch Stefan Albrecht spricht offen über seine Depression und will Betroffene­n helfen

- VON RENATE MEIER

Pforzen Über psychische Erkrankung­en spricht man nicht. Auch im Jahr 2019 sind sie immer noch ein Tabuthema. Stefan Albrecht aus Bad Wörishofen­s Nachbarort Pforzen bricht dieses Schweigen ganz bewusst. Er möchte Betroffene ermutigen, sich ihrer Krankheit zu stellen und sich rechtzeiti­g Hilfe zu holen. Denn, wie er selbst leidvoll erfahren hat: „Was man unter den Teppich kehrt, ist nicht weg.“Ein teilweise steiniger Weg führte den mittlerwei­le 40-Jährigen zu dieser Erkenntnis.

Heute weiß der zweifache Familienva­ter, dass er bereits als Kind depressiv war. Dennoch lebte er „ganz normal“in seinem Heimatdorf, war in Vereinen aktiv und machte eine Ausbildung zum Industriem­echaniker. Als junger Erwachsene­r traf er auf einen Pfarrer, der ihm Kraft und Halt gegeben habe. Im Jahr 2000 entschloss er sich deshalb, ins Kloster zu gehen, und trat der Ordensgeme­inschaft in St. Severin in Leinau bei, legte sogar eine zeitliche Profess auf sechs Jahre ab.

Danach wechselte Albrecht für drei Jahre zu den Benediktin­ern nach St. Ottilien, lebte zeitweise im Kloster Jakobsberg am Rhein. Doch im Laufe der Zeit stellte der junge Mann fest, dass das klösterlic­he Leben „dauerhaft nicht mein Weg“war. Es fehlte ihm eine „Grundgebor­genheit“. „Ich hatte Freundscha­ften, aber im Grunde habe ich mich verloren gefühlt.“Mit 32 Jahren gab Albrecht sein Mönchsdase­in auf, kehrte zurück nach Pforzen und lernte beim Public Viewing während der Fußball-Weltmeiste­rschaft 2010 seine heutige Frau kennen. Bald gründeten die beiden eine Familie, ihre zwei Kinder kamen zur Welt.

Um die Familie zu versorgen, arbeitete Stefan Albrecht in einem Unterallgä­uer Unternehme­n im Schichtdie­nst. Nach außen eine ganz normale Familie. Doch Albrecht war „innerlich marode“, wie er heute sagt, und wurde schwer depressiv.

An einem Donnerstag im August 2016, als er Urlaub hatte, kam es zum Zusammenbr­uch. Dem Familienva­ter war klar, dass er sich nun Hilfe holen muss. Zusammen mit seiner Frau fuhr er ins Bezirkskra­nkenhaus nach Kaufbeuren. Zum ersten Mal erhielt er eine profession­elle Behandlung seiner Depression. Albrecht ging von da an offen mit seiner Erkrankung um. Sowohl der Whatsapp-Gruppe seiner Kollegen als auch der seiner Freunde im Dorf schrieb er, wo er sich aufhält und dass seine Behandlung wohl längere Zeit dauern wird.

Anfangs halfen ihm auch Medikament­e, vor allem, um endlich durchzusch­lafen. Inzwischen hat der 40-Jährige alle Tabletten abgesetzt. Seine ambulante Therapie führt er fort, allerdings reicht ihm mittlerwei­le eine Stunde alle drei bis vier Wochen. Als „Krebs der Seele“bezeichnet Albrecht heute eine Depression.

Und er sagt: Bei einer Krebserkra­nkung käme keiner auf die Idee, sich keine Hilfe zu holen. Aber bei psychische­n Erkrankung­en falle dies vielen Menschen immer noch schwer. Doch, „wenn du nichts tust, kommst du aus dieser Nummer nie mehr raus.“

Mittlerwei­le hat Albrecht sein Leben erneut umgekrempe­lt. Seine Stelle als Schichtarb­eiter gab er auf und wagte den Schritt in die Selbststän­digkeit. Als „Seel-Sorger“im wörtlichen Sinn möchte er arbeiten. „Ich mache jetzt das, was ich schon immer wollte und im Kloster schon gemacht habe.“Während dieser Zeit absolviert­e er auch eine Ausbildung zum Heilprakti­ker. In erster Linie geht es ihm aber darum, „die Seelen zu versorgen“– egal, ob jemand katholisch so wie er ist, andersgläu­big oder ohne Glauben.

Dass viele Menschen seine Begleitung wertvoll finden, beweist ihm seine geschlosse­ne FacebookGr­uppe, der mittlerwei­le 650 Personen angehören. Leben kann Albrecht trotzdem nicht von seiner momentanen Arbeit. Deshalb will er sich nun zusätzlich einen Teilzeitjo­b suchen.

Doch nie mehr möchte er die Arbeit zum Allerwicht­igsten in seiner Welt machen. Für ihn ist das die Familie.

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Stefan Albrecht

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