Mindelheimer Zeitung

So klingt ihr erstes Album nach zehn Jahren

Rockmusik Lange hat es auf sich warten lassen, jetzt ist das neue Rammstein-Album da. Doch kann es sein, dass die Berliner inzwischen zu nett sind für ihr provokativ­es Kerngeschä­ft?

- VON STEFFEN RÜTH

Sie fackelten – und im Falle von Rammstein und ihren pyrotechni­sch legendär hochgerüst­eten Liveshows ist das Bild wörtlich zu nehmen – wirklich lange mit ihrem siebten Studioalbu­m, das am Freitag erscheint und einfach „Rammstein“heißt. Und immer mal wieder in den zurücklieg­enden Jahren mussten sich alle Interessie­rten gar fragen, ob das überhaupt noch einmal etwas werden würde. Oder ob die kreative Wucht dieser sechs Männer, die bis auf Bassist Oliver Riedel ja bereits länger als ein halbes Jahrhunder­t auf Erden wandeln, womöglich nicht mehr ausreicht für ein weiteres Werk.

Die beruhigend­e Erkenntnis für Rammstein-Freunde: Doch, doch, das tut sie. 24 Jahre nach ihrem Debüt „Herzeleid“und zehn Jahre nach dem letzten Werk „Liebe ist für alle da“feuern Rammstein auf „Rammstein“aus allen ihren Rohren. Man sollte sich das ja nicht zu einfach vorstellen, nach legendärbr­achialen Liedern wie „Mutter“, „Engel“oder „Mein Teil“, mit denen die sechs Wahl-Berliner um die ganze Welt gereist sind und Triumphzüg­e von der amerikanis­chen Westküste bis ins allertiefs­te Sibirien feierten, noch neue Songdiaman­ten zu schürfen, die es mit dem Frühwerk aufnehmen können.

Welche Band hat das schon geschafft? Die Beatles vielleicht, die wurden praktisch immer besser. Aber wer in erster Linie mit Druck und Härte hantiert, dessen Sound kann das gute Leben, das die Rammsteine­r fraglos genießen, auch schon mal etwas weicher spülen. Und wieso auch nicht. Es kommt ja immer noch etwas Vernünftig­es dabei heraus, und die Konzerte waren sowieso im Handumdreh­en ausverkauf­t, also kein Stress. Um im Bild zu bleiben, ein Lied mit dem Titel „Diamant“gibt es in der Tat auf „Rammstein“. Es ist das mit knapp zwei Minuten Laufzeit kürzeste, und es ist eine schlichte, zärtliche, ergreifend­e und, na ja, einfach nur schön pathetisch­e Liebeserkl­ärung – ganz ohne erkennbare­n Abgrund.

Überhaupt, die Burschen waren echt auch schon mal böser, so rein in musikalisc­her Hinsicht. Sänger/ Texter und Vorzeige-Provokateu­r Till Lindemann und seine fünf Kollegen haben im Zusammenwi­rken mit dem Produzente­n Olsen Involtini, der zuletzt auch Gitarrist Richard Kruspes Emigrate-Album produziert hat, sowie dem Mixer Rich Costey (Muse, Biffy Clyro) ein für ihre Verhältnis­se sehr bekömmlich­es Album eingespiel­t. Okay, mit Betonung auf „für ihre Verhältnis­se“.

Denn erregungsö­konomisch ging es gleich steil nach oben, sobald die ersten Sekunden des neuen Materials veröffentl­icht waren. Selten wurde ein Kunstwerk in jüngerer Vergangenh­eit so kontrovers und mitunter geifernd diskutiert wie das Video zur vor einigen Wochen vorab veröffentl­ichten Single „Deutschlan­d“. Im Trailer zum Clip sah man die Musiker als offenkundi­g kurz vor der Hinrichtun­g stehende KZInsassen, die Empörung war gigantisch, wieder schrieben und sprachen alle von Grenzübers­chreitunge­n, Geschmackl­osigkeiten und Tabubrüche­n. Das ist weder falsch, noch kam eine Aktion dieser Art unerwartet.

Seit jeher werfen Rammstein gerne Stöckchen, über die dann alle folgsam springen. Aus RammsteinS­icht hätte es nicht besser laufen können, Aktion Aufmerksam­keitsmaxim­ierung erfüllt. Im finalen 11-Minuten-Video galoppiere­n die Jungs sprichwört­lich durch gut 2000 Jahre deutsche Geschichte und Lindemann schreising­t „Deutschlan­d! Meine Liebe kann ich dir nicht geben“. Also letztlich doch nur wieder viel Krawall und kaum Skandal, vielmehr ein weiteres geschickte­s Spiel mit der Teutonenha­ftigkeit, mit der die (nach eigenem Bekunden eher linksorien­tierte) Band schließlic­h schon immer kokettiert­e, man erinnere sich an die Leni-Riefenstah­l-Optik des „Stripped“-Videos oder gucke sich halt einfach das auf martialisc­h-bedrohlich gebürstete Gesamtgeba­ren der im Alltag übrigens sehr umgänglich­en Jungs an.

Aber weitere Kontrovers­en werden nach „Deutschlan­d“rund um dieses Album nicht mehr folgen. Völlig zahm und praktisch poppig klingt die neue Single „Radio“, mit der die in der DDR aufgewachs­enen Musiker ihre tiefe Liebe zum Westradio sowie ihr Leiden und Darben aufgrund der kulturelle­n Abgeschnit­tenheit ihrer Jugend bekunden („Jede Nacht ich heimlich stieg auf den Rücken der Musik“). Der Sound von „Radio“orientiert sich ein bisschen an Kraftwerk, der anderen deutschen Ikonenband.

Überhaupt fällt auf, dass Rammstein trotz immer wieder einsetzend­er harter Gitarren wohl noch nie so melodisch und regelrecht freundlich klangen wie auf „Rammstein“. Zwar spielte die Plattenfir­ma den Journalist­en das Werk in einem Köln-Ehrenfelde­r Lokal vorab in geradezu ohrenbetäu­bender Lautstärke vor, sodass es härter und lauter und Metal-näher wirkte, als es ist. Doch selbst unter derartigen Extrembedi­ngungen bleibt die relative Unanstößig­keit von „Rammstein“nicht verborgen.

So ist „Zeig dich“, harte Gitarrenri­ffs hin oder her, eine erwartbare und etwas effekthasc­herische (alle Begriffe fangen mit „V“an, Vergebung, Verfehlung, Vergnügen usw.) Kirchenkri­tik zum Mitsingen, „Sex“eine nur ganz leicht perverse Hymne auf selbigen, mit einem Refrain, der auch im Kölner Karneval einsetzbar ist („Wir leben nur einmal, wir lieben das Leben“).

Und „Ausländer“, ein Lied über Männer, die liebestoll vor fremdsprac­higen Frauen stehen? Sehr

Der Sound etwas weicher gespült

Am Freitag veröffentl­ichen Rammstein ihr neues Album „Rammstein“.

Manche Lieder hinterlass­en keinen bleibenden Eindruck

wohlwollen­d betrachtet prangert die rhythmisch­e, leicht in Richtung Indie-Disco-Schlager driftende, Nummer den weltweiten Sextourism­us an. Man könnte „Ausländer“aber auch für eine Hymne auf das Liebeslebe­n von Sprachschü­lern halten.

Manche Lieder hinterlass­en auch überhaupt keinen bleibenden Eindruck, in einem, es heißt „Tattoo“, wirkt der über seine Tätowierun­gen singende Lindemann fast schon von sich selbst gelangweil­t, aber zwei Mal noch ist er richtig gut. In „Hallomann“, dem letzten Lied, gibt er den fiesen Kindesräub­er, der ein blondes Mädchen entführt, um es am Strand mit Muscheln und Pommes frites zu füttern. Der heimliche Höhepunkt aber heißt „Puppe“, es ist der sowohl musikalisc­h als auch textlich neben „Deutschlan­d“interessan­teste Song. In der sich ruhig entfaltend­en Ballade über eine märchenhaf­te, abgründige Horrorund Gewalteska­lation („Und dann beiß’ ich der Puppe den Hals ab“) ist Till Lindemann wirklich zum Fürchten gut.

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Foto: Jes Larsen

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