Weiße betrachten Kunst, Schwarze räumen auf
In Venedig stoßen sich die Realitäten gerade besonders obszön im Raum. Wenige Meter voneinander entfernt liegen Luxusjacht und Todesschiff
Wie zu Zeiten Tizians und Tintorettos ist Venedig auch heute noch ein Brennpunkt der Bildenden Kunst. Jedenfalls alle zwei Jahre, wenn dort anlässlich der Biennale viele Staaten und dazu ein angesehener Ausstellungsmacher zeigen, was sie für bedeutend halten in der zeitgenössischen Kunst. Dabei wird diese Biennale mittlerweile unübersehbar akzentuiert von aufgeladener politischer Kunst, die Missstände aufzeigt und Hinweise gibt, wie die Welt besser werden könnte.
Dass sich die Dinge tatsächlich hart im Raum stoßen, dass die Welt auseinanderklafft, und dies obszön, kann in Venedig auch besichtigt werden – besonders 2019. Prominent vor dem Ausstellungsgelände ankern die Luxusjachten der superreichen Kunstsammler, während drinnen auch jenes Schiffswrack
zu beschauen ist, in dem 2015 hunderte von zusammengepferchten afrikanischen Flüchtlingen im Mittelmeer ertranken.
Dieses Wrack ein Kunstwerk zu nennen, wäre zynisch. Doch ist es eingereiht im Katalog zur Schau. Ohnehin müssen sich seine Betrachter fragen, wie voyeuristisch ihr Blick ist – auch wenn die Aktion aufklärend, aufrüttelnd, gut gemeint ist. Aber gut gemeint ist mitunter das Gegenteil von gelungen.
Doch weiter in der Beschreibung dessen, was in Venedig vor sich geht: Die Menge der mehr oder weniger feinsinnigen Kunstbetrachter ist weiß, die Menge derer, die den Dreck vom Ausstellungsgelände räumen, ist schwarz. Und ein Gutteil von jenen, die betroffen den preisgekrönten Beitrag aus Litauen oder im Arsenale-Hafenbecken die Installation „Aero(s)cene“betrachten – beide haben die Folgen des weltweit weiter wachsenden CO2-Ausstoßes auch durch Flugzeuge zum Thema –, ist selbst mit dem Jet angereist. Man kann es sich ja leisten. Vor der Verantwortung rangieren Bequemlichkeit und Schnelligkeit.
Wie die Dinge stehen, das spannen natürlich auch Künstler und Kuratoren. Und so hat sich die Präsentation (gesellschafts)politisch motivierter Kunst nicht nur vermehrt in den vergangenen Jahren; sie dominiert in ihrer Brisanz mittlerweile auch die großen Weltkunstausstellungen in Venedig und Kassel – während das rein Ästhetische im Rückzug begriffen ist. Es gilt: Das Schöne ist ja ganz schön, doch wichtiger ist jetzt was anderes. Konkret scheint das in Venedig auch der venezolanische Pavillon zu vermitteln: „Wegen geplantem Umbau geschlossen“. Ist das wirklich so – oder eine politische Metapher für die derzeitigen Verwerfungen im Staat? Ist das Kunst?
Wie komplex, missverständlich und provokant es zugeht in der Lagune, das zeigt eben auch besagtes Schiffswrack. Natürlich ließe sich argumentieren, dass spätestens seit Marcel Duchamp alles ein Kunstwerk werden kann, wenn es nur dazu erklärt wird. Gleichzeitig ist aber auch darauf hinzuweisen, dass dem Wrack jegliche künstlerische Überwölbung, jegliche Gestaltungshöhe fehlt. Aber ist ein solcher Schlagabtausch angesichts des Objekts nicht auch obszön?
Die berechtigte Funktion des Wracks ist klar: mahnen. Das freilich ist auch auf manch anderem Themenfeld möglich (und notwendig): Sollten wir uns nicht mal eine ausrangierte Kalaschnikow genauer anschauen? Oder einen kampferprobten Leopard-Panzer? Inklusive Erläuterungen, woher sie kommen, wofür sie gebaut wurden, was sie exakt getan haben und so weiter und so fort?
Nicht, dass das Wrack nicht auch die Kunstfreunde anginge, aber es gehört nicht in eine Kunstausstellung, sondern auf den venezianischen Markusplatz – und dann vor die Parlamente vieler Staaten der Erde.
Mit dem Jet zum Betrachten des Klimawandels