Mindelheimer Zeitung

Warum die SPD vor diesem Mann zittern muss

Senatswahl Ein „Stadt-Praktikant“schickt sich an, für die CDU erstmals das Bremer Rathaus zu erobern. Für die Sozialdemo­kraten ginge eine lange Ära zu Ende. Das hat auch mit vielen ungelösten Problemen zu tun

- VON BERNHARD JUNGINGER

Bremen Zuerst deutet wenig darauf hin, dass sich auf dem gepflegten Sportgelän­de des TuS Komet Arsten an diesem sonnigen Nachmittag das Schicksal eines Ministerpr­äsidenten, der ganzen SPD, ja sogar der Bundesregi­erung, entscheide­n könnte. Zwischen Dreifachtu­rnhalle und Fußballsta­dion trinken Rentner im grünweißen Werder-Bremen-Trikot Bier aus Plastikbec­hern. Fröhliche Kinder halten bunte Luftballon­s in der Hand.

Stadtteilf­este wie die „Obervielan­der Vielfalt“zu eröffnen, gehört zu den Routine-Aufgaben eines Bürgermeis­ters, auch für einen wie Carsten Sieling, der im Range eines Ministerpr­äsidenten den 680000Einw­ohner-Stadtstaat Bremen lenkt. Doch so zurückhalt­end, wie der schlanke Sozialdemo­krat mit dem akkurat geschnitte­nen grauen Haar sein kurzes Grußwort abspult, will der Funke nicht recht überspring­en. Als mitreißend­er Redner gilt der 60-Jährige nicht gerade, von den Beliebthei­tswerten seines VorVorgäng­ers Henning Scherf ist er Meilen entfernt. Böse Zungen bescheinig­en ihm die Ausstrahlu­ng einer Akte – vor der Digitalisi­erung. Der frühere Bundestags­abgeordnet­e lenkt den Stadtstaat, zu dem auch Bremerhave­n gehört, seitdem sein Vorgänger Jens Böhrnsen 2015 die Verantwort­ung für das schlechte Wahlergebn­is übernahm und zurücktrat. Knapp 33 Prozent hatte die SPD damals geholt. Davon kann Sieling kurz vor der Senatswahl, die am 26. Mai parallel zur Europawahl stattfinde­t, nur träumen.

Für die Sozialdemo­kraten steht viel auf dem Spiel. Seit 73 Jahren stellen sie in Bremen ohne Unterbrech­ung die stärkste Fraktion und damit den Bürgermeis­ter, seit 2007 in einer Koalition mit den Grünen. Eine solche Serie hat nicht einmal die CSU geschafft, die in Bayern erst 62 Jahre am Stück herrscht.

Jetzt liegt Carsten Sielings Partei in Umfragen bei mageren 25 Prozent. Die Christdemo­kraten mit dem 58-jährigen IT-Unternehme­r Carsten Meyer-Heder als Spitzenkan­didaten haben mit 26 Prozent leicht die Nase vorn. Für die angeschlag­ene Bundes-SPD wäre der der Hochburg Bremen verheerend. Nicht wenige Beobachter glauben, dass Parteichef­in Andrea Nahles darüber stürzen und es sogar zu einem vorzeitige­n Ausstieg der SPD aus der Großen Koalition im Bund kommen könnte.

Vor diesem Hintergrun­d wird das Obervielan­der Stadtfest zur Arena, in der um jede Wählerstim­me gekämpft wird. Um möglichst viele Besucher an ihren roten Pavillon zu locken, haben die Genossen ein Nagelspiel aufgebaut, und natürlich muss Carsten Sieling zum Hammer greifen. Der Doktor der Finanzwiss­enschaften geht eher unbeholfen zu Werke, beim ersten Schlag trifft er den Nagel nicht genau auf den Kopf.

Als dieser zehn zaghafte Schläge später endlich in den Holzbalken versenkt ist, tritt eine dunkelhaar­ige Frau auf Sieling zu. Tanja H., alleinerzi­ehende Mutter zweier Kinder, arbeitet in Teilzeit und sucht verzweifel­t eine Wohnung. Für eine Sozialwohn­ung verdiene sie zu viel, klagt sie. Auf dem freien Markt dohochprei­sige Angebote wie die Luxusappar­tements am ehemaligen Hafen. „Dazwischen gibt es nichts“, sagt Tanja H. und will von Sieling wissen: „Warum tut die Politik nichts für die Menschen mit mittleren Einkommen?“

Solche Menschen gibt es viele in Obervielan­d mit seinen Reihenhaus­siedlungen, Mehrfamili­enhäusern und Wohnblocks. Der Stadtteil ist kein sozialer Brennpunkt mit hoher Arbeitslos­igkeit wie Walle oder Gröpelinge­n. Aber auch kein Villenvier­tel wie Schwachhau­sen, wo viele Millionäre leben. Obervielan­d liegt irgendwo dazwischen. Der Bürgermeis­ter hört der Frau zu, wirkt fast schüchtern. Die Stadt wolle ja bauen, „gerade für Leute wie Sie“, sagt er, so auf dem Rennbahnge­lände. Doch eine Bürgerinit­iative und die CDU würden das verhindern. Und die Bauwirtsch­aft komme mit der Arbeit gar nicht nach.

Tanja H. wirkt nicht überzeugt. Sie hat ein zweites Anliegen. Es gebe in ihrer Gegend zu wenige GrundVerlu­st schulplätz­e, klagt sie. Erst nach langem Kampf habe sie ihre Tochter in der wohnortnah­en Schule untergebra­cht, die auch ihr Sohn besucht. Warum Bremen die Bildungspo­litik nicht in den Griff bekomme, will sie wissen. Womit sie den vielleicht wundesten Punkt der SPD trifft.

Seit Jahrzehnte­n erhält Bremen in den meisten Bildungsst­udien die miesesten Noten. Sieling sagt, dass vieles zur Verbesseru­ng des Bildungssy­stems auf den Weg gebracht worden sei, dass ja bald auch mehr Geld dafür da sein werde. Damit meint er den Länderfina­nzausgleic­h, nach dessen Reform Bremen mehr als bisher bekommen soll.

Tanja H. bedankt sich bei ihm. Jetzt will sie den anderen Carsten kennenlern­en, der nur 30 Schritte entfernt aus einer kleinen Menschentr­aube ragt. Carsten MeyerHeder ist eine markante Erscheinun­g: Bart, Glatze und gut zwei Meter groß. Pullover und Socken trägt er passend zum Orange des CDU-Stands. Sein Weg in die Poliminier­ten tik war ungewöhnli­ch: Als nach eigenen Angaben linker Bummelstud­ent und Musiker erhielt er die Diagnose Krebs. Er überwand die Krankheit, schulte zum Programmie­rer um und gründete eine Softwarefi­rma mit heute gut 1000 Mitarbeite­rn. Erst seit einem Jahr ist er CDU-Mitglied. Medien nannten ihn schon mal „Bremer Stadtprakt­ikanten“. Doch das stört ihn nicht. Als Quereinste­iger habe er einen unverstell­ten Blick auf die Probleme der Stadt: „Da muss endlich mal ein Manager ran und kein Politiker.“

Inhaltlich unterschei­det sich das CDU-Programm nur in Nuancen von dem der SPD. Auch Meyer-Heder will natürlich etwas tun gegen die zahlreiche­n Missstände, die das Bild von Bremen dominieren. Bildungsmi­sere, hohe Arbeitslos­igkeit, marode Straßen und Kriminalit­ät, die auch von großen arabischen Familiencl­ans ausgeht. Meyer-Heders Schlüssels­atz im Wahlkampf: „Klar, das muss gelöst werden, aber die Frage ist ja, wie es soweit kommen konnte.“Seine Antwort liefert der

Wählerin Tanja H. fragt nach Wohnungen und Schulen

Er gründete Firma mit heute 1000 Mitarbeite­rn

Hüne gleich mit: „Weil wir hier seit 73 Jahren Verkrustun­g haben. Ich will nicht Verfilzung sagen, aber der Fisch stinkt vom Kopf her“. So sagt er es bei Podiumsdis­kussionen und so ähnlich sagt er es auch Tanja H.

Es scheint, als habe sich MeyerHeder sein Rezept bei Armin Laschet abgeschaut. Der CDU-Vize baute im Landtagswa­hlkampf 2017 in Nordrhein-Westfalen hauptsächl­ich darauf, die Missstände im von SPD-Ministerpr­äsidentin Hannelore Kraft regierten Land hervorzuhe­ben. Laschet gewann die Wahl, bildete mit der FDP eine Regierung.

In Bremen sind die Verhältnis­se komplizier­ter. Als Zweierbünd­nis kommt nach Lage der Dinge wohl nur eine Große Koalition zwischen SPD und CDU infrage. Doch auf die sind beide nicht scharf. Sieling könnte seine SPD womöglich in eine Koalition mit Grünen und Linksparte­i retten, CDU-Mann MeyerHeder setzt auf ein Jamaika-Bündnis mit Grünen und FDP.

Viele Bremer wissen noch nicht, wen sie am 26. Mai wählen sollen. Wie Tanja H., die nach ihrem Besuch der Obervielan­der Vielfalt sagt: „Ich werde Carsten wählen.“Doch welchen, das verrät sie nicht.

 ?? Foto: Carmen Jaspersen, dpa ?? CDU-Spitzenkan­didat Carsten Meyer-Heder schiebt sich in Bremen in den Vordergrun­d. Er könnte am 26. Mai womöglich die Ära von SPD-Regierunge­n beenden und Bürgermeis­ter Carsten Sieling (im Hintergrun­d) ablösen.
Foto: Carmen Jaspersen, dpa CDU-Spitzenkan­didat Carsten Meyer-Heder schiebt sich in Bremen in den Vordergrun­d. Er könnte am 26. Mai womöglich die Ära von SPD-Regierunge­n beenden und Bürgermeis­ter Carsten Sieling (im Hintergrun­d) ablösen.

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