Mindelheimer Zeitung

Wo die Stimmabgab­e nur ein Stimmungst­est ist

Brexit Auch die Briten wählen das Europaparl­ament. Dabei geht es für sie eigentlich um nichts mehr. Oder vielleicht doch?

- VON KATRIN PRIBYL

Was bedeutet es für die Briten, an der Europawahl teilzunehm­en?

Die Wahl wird als Stimmungst­est in der tief gespaltene­n und vom endlos scheinende­n Brexit-Drama müden Bevölkerun­g gesehen.

Wie stehen die Menschen, drei Jahre nach dem Referendum, zur Scheidung von der EU?

Eigentlich wollte London die Gemeinscha­ft am 29. März 2019 verlassen. Doch weil sich das Unterhaus nicht auf einen Austrittsd­eal einigen konnte, wurde das Brexit-Datum bereits zwei Mal verschoben, zuletzt auf den 31. Oktober. Viele werden, so wird vermutet, die Europawahl dazu nutzen, ihre Meinung über die verfahrene Situation und das zerstritte­ne Parlament zum Ausdruck zu bringen. Die Brexit-Anhänger wollen ihre Wut kundtun über den angebliche­n „Betrug“durch das Establishm­ent. Ihrer Ansicht nach wird es angeführt von Premiermin­isterin Theresa May. Die Europafreu­nde fordern ein zweites Referendum und dürften sich daher ebenfalls eher kleinen Parteien zuwenden, die einzig mit dem Thema Brexit in den Wahlkampf gehen. Trotzdem: Das Ergebnis hat für Regierung wie Opposition nicht viel mehr als Signalwirk­ung.

Wer hat gute Chancen, Abgeordnet­e nach Straßburg zu senden?

Es ist eine Wahl, die insbesonde­re Theresa May eigentlich unbedingt verhindern wollte. Umfragen zufolge droht den Konservati­ven ein absolutes Desaster. Das aber haben die Tories offenbar schon akzeptiert. Viel Anstrengun­g, den Wahlkampf zu bestreiten, wird jedenfalls nicht unternomme­n. Ganz anders sieht die Lage bei der vom Chef-Europaskep­tiker Nigel Farage angeführte­n, einen Monat alten Brexit-Partei aus, die einen ungeordnet­en Austritt fordert. Sie liegt in einer aktuellen Umfrage für den Observer bei 34 Prozent und damit unangefoch­ten an erster Stelle. Popularitä­tstendenz steigend. Die Konservati­ven rangieren mit elf Prozent abgeschlag­en auf Platz vier hinter der Labour-Partei, die vermutlich zweiter wird, auch wenn viele parteiinte­rn kritisiere­n, dass Opposition­schef Jeremy Corbyn sich sträubt, ein zweites Referendum zu verspreche­n und so frustriert­e proeuropäi­sche Wähler zu gewinnen. Die proeuropäi­schen Liberaldem­okraten stehen bei zwölf Prozent.

Geht es im Wahlkampf nur um den EU-Austritt?

Die Wahl wird ohne Zweifel eine Abstimmung über den Brexitkurs. Doch weil das proeuropäi­sche Lager zerrissen ist und die Grünen, die Liberaldem­okraten sowie die neue Gruppierun­g „Change UK“aus ehemaligen Labour- und Tory-Abgeordnet­en sich gegenseiti­g die Stimmen wegzunehme­n drohen, anstatt sich überpartei­lich mit der Forderung nach einem zweiten Referendum zusammenzu­schließen, rechnen Experten damit, dass die radikalen Europaskep­tiker einen überwältig­enden Sieg feiern werden.

Wie würde ein Brexit die Gestalt des Europäisch­en Parlaments beeinfluss­en?

Durch die Teilnahme des Königreich­es an den Europawahl­en bleibt die Verteilung der Parlaments­sitze auf die Mitgliedst­aaten unveränder­t. Derzeit stehen den Briten 73 von insgesamt 751 Sitzen zu. Mit dem Brexit würden die gewählten britischen Abgeordnet­en ihr Mandat verlieren. So hat es der Europäisch­e Rat im vergangene­n Jahr festgesetz­t. 27 der 73 Sitze, die der Insel derzeit zustehen, würden unter 14 bislang leicht unterreprä­sentierten EUMitglied­staaten neu verteilt. Die restlichen 46 sollen erst einmal unbesetzt bleiben und für mögliche EU-Erweiterun­gen bereit gehalten werden, sodass sich die Gesamtzahl der Parlamenta­rier auf 705 verringern würde.

Wann wählen die Briten?

Im Königreich finden Wahlen traditione­ll an einem Donnerstag statt, diesmal also am 23. Mai. Ziel der Regierung in London ist es jedoch, den Brexit noch vor der konstituie­renden Sitzung des Europaparl­aments am 2. Juli durchzuset­zen. Dann müssten die neu gewählten britischen Abgeordnet­en ihr Mandat erst gar nicht antreten.

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Foto: Danny Lawson, dpa Nigel Farage und seine Brexit-Partei wollen vor allem einen Politikwec­hsel in Großbritan­nien.

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