Die Patronin des Durchschnitts
Nachruf Doris Day ist mit 97 Jahren gestorben. Die Sängerin, Tänzerin und Schauspielerin war ein Phänomen. Amerika liebte den Star über Jahrzehnte hinweg
Augsburg Man musste Doris Day nicht mögen. Schon gar nicht, wenn sie ihre Manierismen ins Spiel brachte. Und zornig aus dem Zimmer stürmte, sich die Ponyfransen aus der Stirn blies, die Augen verdrehte und ein „huuh“ausstieß. Kein Wunder, dass dieser Typ Frau mit 40 noch keinen Kerl im Bett hatte. Der verführerische Blick, wie ihn Marilyn Monroe und Elizabeth Taylor mühelos drauf hatten, er ging Doris Day ab. Dass Schauspieler in Hollywood über sie witzelten, blieb nicht aus. Der Satz „Ich kannte Doris Day, bevor sie Jungfrau wurde“machte in der amerikanischen Film-Metropole die Runde.
Dabei war sie im amerikanischen Kino eine der wenigen Frauen, die glaubwürdig Charaktere verkörperten, die sich ihre Bestätigung nicht in der Erfüllung männlicher Wünsche und Fantasien holten. Wer abseits der abgegriffenen Jungfrauenwitze willens ist, die Heldinnen in ihren Filmen genauer zu studieren, könnte entdecken, dass Doris Day eine der faszinierendsten Erscheinungen der Filmgeschichte war.
Ja, war. Am Montag ist die Sängerin, Tänzerin und Schauspielerin im Alter von 97 Jahren in ihrem Haus im kalifornischen Carmel-by-theSea gestorben. Das berichtete die Doris Day Animal Foundation, eine Tierschutzstiftung, die der Filmstar ins Leben gerufen hatte. Todesursache sei eine Lungenentzündung gewesen, berichteten Freunde.
Vor kurzem noch hatte sie bei einer privaten Feier erklärt, wie sehr sie ihre „wunderbare“Zusammenarbeit mit Rock Hudson in „Bettgeflüster“und zwei weiteren Filmen genossen hat. „Bettgeflüster“war der Auftakt zu einer Reihe von Frau/Mann-Filmen, in denen Doris Day entweder die eifersüchtige Ehefrau spielte oder erfolgreich eine Innenarchitektin, eine PR-Expertin und eine resolute Hummerzüchterin.
Zugegeben, dieser Nachruf fällt liebevoller aus als die übliche Bestandsaufnahme eines Nachrufs. Das liegt einfach am Verfasser dieser Zeilen, der in den 60er Jahren der Karl-May-Filme und Heimatschnulzen überdrüssig wurde und schnell merkte, dass es noch etwas anderes gab im Leben, was bereits die Filmtitel versprachen. „Ein Pyjama für zwei“, „Eine zuviel im Bett“oder „Meisterschaft im Seitensprung“. Dass in „Bettgeflüster“im Schlafzimmer von Doris Day lange nichts stattfand, störte nicht. Ping-Pong-Dialoge, Nachtklub-Besuche, das Spiel des Playboys Rock Hudson, der sich als Hinterwäldler ausgibt, nächtliche Kutschfahrten – so stellte man sich das voreheliche Leben vor. Obwohl man eigentlich auf Audrey Hepburn stand. Erst viele Jahre später, als der homosexuelle Hudson an Aids starb, verstand man die Anspielung auf die Sorge von Film-Doris, der Baum von einem Mann könne nach den Maßstäben der 50er Jahre gar kein richtiger Mann sein.
Doris Day sollte auf Drängen ihres Managers und dritten Ehemanns Marty Melcher wohl bis ans Ende ihrer Tage Comedy spielen. Als Melcher 1968 starb, kam auf, dass er zusammen mit einem Anwalt Millionen Dollar veruntreut hatte. Was ihr künstlerisch blieb, war die TVKomödienserie „Die Doris Day Show“. Das Kinogeschäft tickte 1968 längst anders als Doris Mary Ann von Kappelhoff, Tochter deutscher Einwanderer aus Cincinnati (Ohio), gedacht hatte.
Als sie die Chance hatte, die Mrs. Robinson in „Die Reifeprüfung“zu spielen, lehnte sie ab. Sie hätte den Bräutigam ihrer Filmtochter verführen müssen. Keine Chance. Ann Bancroft übernahm bekanntlich die Rolle.
Trotzdem wäre es falsch, Doris Day, nach ihren Fluchten zu beurteilen, als sei der Teufel hinter ihr her. Alfred Hitchcock sah nicht nur die Blonde in ihr, sondern erkannte auch ihr Potenzial. „Der Mann, der zuviel wusste“bescherte ihr an der Seite von James Stewart auch einen Riesenhit: „Que Sera, Sera“. War sie trotz des Erfolges von „Sentimental Journey“in den 40er Jahren noch die Sängerin, die an der Seite saß und bei ihrem Einsatz brav nach vorne trippelte, wurde sie in den 50er Jahren zu einer markanten, sauber phrasierenden Stimme in Entertainment und Musical. Sogar mit 89 Jahren gelang ihr mit der CD „My Heart“, eine Kollektion älterer und neuerer Songs, ein Chart-Erfolg. War nun Doris Day, die im malerischen Prominenten-Ort Carmel-by-the-Sea ihre Haustiere hätschelte, für die Komödie, so ein Kritiker, „was der Nierentisch fürs Wohnzimmer war: bieder, solide und nicht wegzudenken?“Der Vergleich hinkt angesichts der Wandlungsfähigkeit der Schauspielerin.
Wenn Hollywood mal mehr Stars hatte als am Himmel stehen, war Doris Day irdisch. Eine Patronin des Durchschnitts. Und als solche hat sie Geschichte geschrieben. Alltagsgeschichte – ob sie Professorin für Journalismus war, Werbe-Agentin oder ihre Kinder in die Badewanne warf.
In einem ihrer wenigen Interviews hat Doris Day gegenüber einem Lokalradio nicht in Wehmut auf ihre Karriere zurückgeschaut. Sie sprach von Einsamkeit, ihrem einsturzgefährdeten Haus und den Streitigkeiten mit ihrer Schwiegertochter. Eine durchschnittliche Frau, sehr irdisch eben.