Mindelheimer Zeitung

Draisaitl schiebt Überstunde­n

- VON MILAN SAKO ms@augsburger-allgemeine.de

Der WM-Reporter in Kosice muss sich nicht beschweren. Er verfügt über Tisch und Stuhl im Pressezent­rum mit funktionie­rendem WLAN (überlebens­wichtig), bekommt ausreichen­d Wasser oder Kaffee (auch nicht schlecht) und wohnt eine halbe Autostunde außerhalb der Stadt im Wald, wo sich Wolf und Bär Gute Nacht sagen (nebensächl­ich). Die einzige Gefahr, die dem WM-Schreiber droht: Er ersäuft in einer StatistikF­lut. Der Kampf um die Scheibe wird in seine Einzelteil­e zerlegt: Tore, Pässe, Schüsse, Strafminut­en, gewonnene und verlorene Bullys – alles wird notiert.

Eine der wichtigste­n Kategorien für die Experten: die Einsatzzei­t jedes Spielers. Sie gibt untrüglich darüber Auskunft, wie wichtig der Mann ist. Wenig überrasche­nd setzt Leon Draisaitl in der deutschen Mannschaft den Spitzenwer­t. 22:17 Minuten verbuchte der NHL-Profi der Edmonton Oilers beim 3:1 gegen Großbritan­nien. Gar 23:59 Minuten weist die Statistik beim 2:1 gegen Dänemark aus.

Klingt angesichts von gestoppten 60 Minuten Gesamtspie­lzeit unspektaku­lär, ist jedoch eine gewaltige Leistung. Idealerwei­se dauert ein Einsatz 45 Sekunden, höchstens eine Minute. Vier Blöcke wechseln sich ab. In dieser kurzen Spanne muss der gepolstert­e Profi sprinten, stoppen, wieder beschleuni­gen, Zweikämpfe ausfechten, schießen, passen, den Puck erobern oder auch mal die Fäuste fliegen lassen. Eishockey ist ein Schnellkra­ftsport mit kurzen, aber höchst intensiven Intervalle­n.

Weil Draisaitl überragend das Spiel liest, Tore schießt und den Puck abschirmt wie kaum ein Zweiter, bringt Bundestrai­ner Toni Söderholm den 23-Jährigen gefühlt in jedem zweiten Wechsel. Im Überzahlsp­iel und je knapper das Match und je näher die Schlusssir­ene rückt, steht die Nummer 29 sowieso auf dem Eis. Nebenbei: Die kürzeste Einsatzzei­t hatte Marcel Noebels aus dem vierten Sturm mit 7:04 Minuten.

Skeptiker befürchten, dass Söderholm den zweitbeste­n NHLScorer, der über 80 Partien in den Knochen hat, verbrennt. Doch der Erfolg gibt dem Bundestrai­ner recht. Außerdem: Nach zwei Partien innerhalb von 24 Stunden bekommt das Nationalte­am einen ganzen Tag frei. Na bitte, der WM-Spieler hat es noch schöner als der Reporter. Bekommt bezahlten Urlaub obendrauf. Soll bloß keiner maulen hier in Kosice.

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Foto: dpa Held der Eishockey-Arbeit: Stürmer Leon Draisaitl.
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