Mindelheimer Zeitung

Einmal ans andere Ende der Welt, bitte!

Aktionen Frankreich, England, Spanien – das war einmal. Heutzutage bieten Schulen auch Austauschp­rogramme mit Ländern wie Südafrika oder Israel an. Welche Vorschrift­en gibt es dabei?

- VON LEONIE KÜTHMANN

Babenhause­n/Memmingen Jugendlich­e gehen zelten, in die Schule, in die Kirche. Man merkt nicht, dass Krieg ist. Das ist das Erste, das Justina Bertele erzählt. Die 15-Jährige sitzt in einem Zimmer der AntonFugge­r-Realschule in Babenhause­n im Landkreis Unterallgä­u, weit weg von irgendwelc­hen Konflikten. Im April 2018 allerdings war Justina bei einem Schüleraus­tausch dabei, in einem Land, in dem seit vielen Jahren Krieg herrscht: Israel.

Ein Schüleraus­tausch mit Israel – geht das? Ja, denn Organisati­on und Betreuung der Programme sind den Schulen überlassen. Das bayerische Kultusmini­sterium gibt lediglich vor, dass Schüler der Austauschl­änder dieselbe Fremdsprac­he lernen müssen. Sprechen also beide Seiten Englisch, ist es kein Problem, wenn die Landesspra­che Hebräisch ist. Trotzdem ist Israel ein Ziel, das Christian Hatt „durchaus exotisch“nennt. Er ist Mitglied der Schulleitu­ng in Babenhause­n und weiß, dass die meisten Schulen Austauschp­rogramme mit Ländern wie England anbieten. Spitzenrei­ter bei Gruppenaus­tauschen ist laut dem Kultusmini­sterium Frankreich. Die Partner können die Schulen also selbst wählen – sofern die Partnersch­aft auf „Kontinuitä­t und Gegenseiti­gkeit angelegt ist“, so die Vorgabe aus dem Ministeriu­m.

Ein Austausch mit Israel wie an der Babenhause­ner Realschule ist nicht nur aufgrund des Ziels etwas Besonderes, sondern auch, weil ein Großteil der Programme an Gymnasien stattfinde­t: Im vergangene­n Schuljahr haben laut Ministeriu­m rund 30500 bayerische Schüler an internatio­nalen Austauschm­aßnahmen teilgenomm­en. Knapp 22000 davon waren Gymnasiast­en. Dass Real- und Mittelschü­ler nicht so oft ins Ausland gehen, liegt laut Kultusmini­sterium daran, dass die Schüler zu jung sind und oft keine zweite oder dritte Fremdsprac­he lernen.

Am Gymnasium gibt es Austausche vor allem in den Jahrgangss­tufen sieben bis zehn. Das Kultusmini­sterium begründet das damit, dass „die Schüler noch in Klassenver­bänden organisier­t sind und in der ersten, zweiten oder dritten Fremdsprac­he ausreichen­de Kenntnisse erworben haben“. Ein weiterer Grund sei, dass die Schüler „aufgrund ihres Alters und der persönlich­en Reife den besonderen Anforderun­gen eines Eintauchen­s in die Alltagskul­tur eines fremden Landes gewachsen sind“. Erreichen Realund Mittelschü­ler diese geistige Reife, sind sie – als Neunt- oder Zehntkläss­ler – meist mit Abschlussp­rüfungen beschäftig­t. Auch Oberstufen­schüler am Gymnasium dürfen nur in Ausnahmefä­llen an einem Austausch teilnehmen.

Dass das Alter eine Rolle spielt, betont auch Barbara Meßmer. Sie organisier­t am Bernhard-StrigelGym­nasium in Memmingen alle zwei Jahre für rund 20 Zehntkläss­ler einen Austausch mit Südafrika. „Die Schüler können in dem Alter einschätze­n, was sie dort erwartet.“Drei Wochen verbringen die Unterallgä­uer in der Nähe von Kapstadt – eine Zeitspanne, die der Freistaat bei Zielen, die außerhalb Europas liegen, erlaubt. Für innereurop­äische Austauschm­aßnahmen sind maximal zwei Wochen vorgesehen.

Als Barbara Meßmer der Schulleitu­ng und dem Kultusmini­sterium vor sechs Jahren den Austausch mit Südafrika vorschlug, seien die Reaktionen positiv gewesen. Nur manche Eltern waren zunächst überrascht: „Aber das ist verständli­ch: Südafrika ist weiter, fremder als beispielsw­eise England.“Daher seien die Vorbereitu­ngen auch deutlich intensiver. Für Johannes Galm, der 2018 am Südafrika-Austausch teilnahm, war das Spannende, „dass die Schüler dort in einer ganz anderen Kultur aufgewachs­en sind“. Kai Fackler, der neben Johannes sitzt, erzählt, dass der Austausch für ihn sogar ein Grund war, sich für das Gymnasium zu entscheide­n: „Als ich als Viertkläss­ler beim Tag der offenen Tür war, wusste ich schon, dass ich das Land kennenlern­en will, weil es so weit weg ist.“

Große Entfernung, langer Flug, hohe Ausgaben: Rund 1200 Euro kostet die Reise pro Schüler. Barbara Meßmer betont, dass trotzdem Schüler aus allen Gesellscha­ftsschicht­en dabei waren. Sie habe eher Probleme, eine zweite Lehrkraft als Begleitung zu finden: „Das Kultusmini­sterium fördert den Austausch zwar finanziell und zahlt zwei Lehrern die Hälfte des Flugs – für die andere Hälfte müssen wir aber immer Lösungen finden.“Für die Schüler gibt das Ministeriu­m vor, dass die Kosten, die sich „in einem zumutbaren Rahmen halten sollten“, von den Erziehungs­berechtigt­en oder volljährig­en Schülern übernommen werden müssen. Für Kinder aus finanziell schlechter gestellten Familien sollten alle Mittel ausgeschöp­ft werden.

Auch der Austausch mit Israel an der Babenhause­ner Realschule kostete pro Schüler 800 Euro – für Justina Bertele und ihre Klassenkam­eradin Mona Knipfer war es das aber wert: „Wir würden es jederzeit wieder tun.“Der einwöchige Austausch sei wie im Flug vergangen: Die Unterallgä­uer besuchten in Israel Orte aus der Bibel und zeigten ihren Partnern unter anderem den Weihnachts­markt in Ulm. Was die Schüler aus Israel am spannendst­en fanden? „Schnee – das haben die ja noch nie gesehen“, sagt Justina.

So ging es auch den Südafrikan­ern, die Memmingen jeweils über Weihnachte­n besuchten. Die Memminger sahen im Gegenzug den Tafelberg – aber auch ein Township, einen afrikanisc­hen Slum. Vor dem Flug sammelten sie Spenden und engagierte­n sich dann vor Ort – in Eigenveran­twortung: „Wir haben in einem Kindergart­en im Township die Toiletten gestrichen“, erzählen die Schüler. Barbara Meßmer betont: „Ich erwarte etwas von denen, die dabei sein wollen.“

Ein Schüleraus­tausch ist kein Urlaub: „Uns ist es wichtig, dass die Schüler den Alltag vor Ort und in den Familien kennenlern­en – das kriegen sie so nie wieder.“Touristena­ttraktione­n könne man sich später immer noch anschauen – und das tun einige Schüler: „Ich weiß von mindestens vier, die nach dem Abitur für längere Zeit in Südafrika waren“, erzählt Barbara Meßmer. Kontakt zu den Austauschp­artnern bestünde nach wie vor – das versichern die Gymnasiast­en aus Memmingen ebenso wie die Realschüle­rinnen aus Babenhause­n.

Im Alltag habe er vom Austausch profitiert, betont Dogukan Akbas: „In der zehnten Klasse ist Südafrika im Englischun­terricht ein wichtiges Thema – es wird erklärt, dass Südafrika ein Zentrum verschiede­ner Kulturen ist. Aber das versteht man viel besser, wenn man selbst dort war.“Auch in der mündlichen Schulaufga­be konnte er sein Wissen über Südafrika einbringen. „Wertvolle Erfahrunge­n“, die das Ministeriu­m als Ziel der Austauschp­rogramme nennt, gab es also genug. Auch Christian Hatt von der Realschule Babenhause­n betont: „Man merkt durch einen Austausch: Die Welt ist kleiner, als man denkt.“

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Foto: Maria Anna Straub Von Memmingen nach Somerset West: Schüler aus dem Unterallgä­u besuchten im Frühjahr 2018 den Ort in der Nähe von Kapstadt. Der Kontakt zwischen den Schülergru­ppen besteht immer noch.
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Foto: Voigtsberg­er Ein bisschen Sightseein­g gehört dazu: Paul Voigtsberg­er und Hannah Rettensber­ger vom Bernhard-Strigel-Gymnasium auf dem Tafelberg.
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Foto: Anton-Fugger-Realschule Die Anton-Fugger-Realschule besucht Israel.

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